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Tennisprofi Kyrgios im Wimbledon-FinaleGroßmaul vor Krönung

Mit dem Australier Nick Kyrgios steht die Reizfigur des Tennissports im wichtigsten Finale. Sein neues Team verhilft ihm zu mehr Konstanz.

Unterhaltungsgarant: Nick Kyrgios kämpft gegen die steifen Formen von WImbledon an Foto: Matthew Childs/reuters

Es ist noch nicht lange her, da ging Nick Kyrgios das größte Tennisturnier der Welt noch „ziemlich auf den Geist.“ Alles sei so „unentspannt und verkrampft“ im All England Lawn Tennis Club, mehr „Partystimmung“ sei dringend nötig: „Hier muss mal frischer Wind rein. Das ist viel zu muffig und angestaubt hier.“

Viele Jahre fiel Kyrgios auch an der Church Road durch Eskapaden und Exzesse auf, einen Schiedsrichter nannte er einst „dreckigen Abschaum“, einem anderen Unparteiischen schleuderte er sein Missfallen so entgegen: „Neuerdings holen sie die Leute wohl von der Straße.“ Zehntausende Dollar hat der exzentrische Australier, die Reizfigur schlechthin in seinem Sport, schon aufs Bußgeldkonto des Klubs überweisen müssen. Auch in diesem Jahr kamen Strafen für eine Spuckattacke in Richtung eines Fans und unflätige Beschimpfungen in der denkwürdigen Partie gegen den Griechen Stefanos Tsi­tsi­pas hinzu.

Aber nun greift Kyrgios als Finalist des Turniers auf einmal nach den Grand-Slam-Sternen, er ist in Schlagdistanz zur wertvollsten Trophäe der Welt. Im Halbfinale musste er zwar nichts mehr für diesen Überraschungscoup tun – sein Konkurrent Rafael Nadal zog seinen Start wegen einer Bauchmuskelverletzung zurück –, aber dass der 27-Jährige das sportliche Format für eine Thronbesteigung besitzt, ist in Fachkreisen unbestritten. „Wenn Kyrgios an seinem Limit spielt, auf der Höhe seiner Kunst“, sagt der frühere schwedische Weltranglisten-Erste Mats Wilander, „dann ist er einer der Allerbesten, dann kann er jeden schlagen.“

Obwohl Kyrgios sich gerade weitestgehend als frommer Wettkämpfer präsentierte, ging es auch dieses Mal nicht ohne Drama ab. Auf der Zielgeraden des Turniers liefen Meldungen aus der fernen Heimat ein, wonach Kyrgios Anfang August wegen eines tätlichen Übergriffs auf seine frühere Freundin Chia­ra Passari vor Gericht für eine Anhörung erscheinen müsse. In London äußerte er sich auf Anraten seiner Anwälte nicht zu den Vorwürfen.

Unbeeindruckt von Problemen

Erstaunlich genug, dass Kyrgios seine Sinne trotz der schwelenden juristischen Auseinandersetzung so weit beisammen hatte, um die ersten fünf Wimbledon-Matches zu gewinnen. Schon sein Halbfinal-Vorstoß war das Erforschen einer neuen Tenniswelt. Einst hatte er gesagt: „Es fällt mir schwer, bei den Majors zwei Wochen die Spannung aufrechtzuerhalten.“ Tennis öde ihn ja manchmal an, so Kyrgios, „da denke ich, ich hätte mir einen anderen, nicht so langweiligen Sport aussuchen sollen.“

Kyrgios’ Mutter Nill äußerte gegenüber dem Sydney Morning Herald die Vermutung, ihr Sohn habe sich in den letzten Monaten erstmals so richtig der Welt geöffnet: „Er führt jetzt ein ganz anderes Leben, normaler irgendwie“, so die Mama, „er setzt sich nicht in sein Zimmer und verbringt seine Zeit stundenlang an der Playstation.“ Sie sei erfreut, dass sie „Bilder von Nick am Big Ben“ gesehen habe: „Da wollte er früher nie hin.“ In der Umgebung seines neuen Teams fühle er sich „richtig wohl, das gibt ihm eine andere Sicherheit“.

Kyrgios selbst sprach zuletzt über die sehr dunklen Zeiten in seinem Leben, vor drei Jahren habe er alle möglichen Pro­ble­me gehabt und sich auch mit Selbstmordgedanken getragen. Es sei die „Hölle gewesen“, berichtete Kyrgios. Er gab auch eine Episode zu Protokoll, bei der sein Agent ihn früh morgens um vier Uhr aus einem Pub geschleppt habe – vor der Zweitrundenpartie gegen Nadal in Wimbledon 2019.

Nun hat er sich auch dank psychologischer Hilfe und der Unterstützung des „Teams Kyrgios“, allen voran Fitnesscoach Will Maher, zu bisher ungekannten Höhen aufgeschwungen. Kürzlich hatte er großmäulig behauptet, er sei eine der „wichtigsten Personen“ in seinem Sport, einer der fünf besten Rasenspieler. Mancher lachte da über ihn. Aber vielleicht lacht Kyrgios am Sonntag als Letzter.

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