Bluttat in Schweden: Psychiaterin von Neonazi getötet
Der Täter ist ein Fördermitglied der militanten „Nordischen Widerstandsbewegung“. Die Staatsanwaltschaft geht von einem gezielten Angriff aus.
Das Opfer dieser Bluttat ist eine engagierte Psychiaterin. Die 64-jährige Ing-Marie Wieselgren war Oberärztin am Akademischen Krankenhaus in Uppsala und bei Schwedens kommunalem Spitzenverband „Sveriges Kommuner och Regioner“ verantwortlich für die Koordination aller mit dem Thema der psychischen Gesundheit zusammenhängenden Fragen.
Die Frage nach der Identität des wegen dieser Tat verhafteten Mannes können mehrere Medien nach mehreren Stunden beantworten: Ein 33-jähriger Neonazi. Nach Informationen der antirassistischen Publikation „Expo“ war er 2015 als Fördermitglied der nazistischen „Nordischen Widerstandsbewegung“ (NMR) beigetreten, jahrelang eine der aktivsten und militantesten skandinavischen Neonazigruppen. In den Folgejahren nahm er wiederholt an deren Demonstrationen im ganzen Lande teil. Die Teilnahme dokumentierte er jeweils selbst auf seinem Facebookaccount. In der NMR-Netzpublikation „Nordfront“ veröffentlichte er mehrmals Texte, vorwiegend mit antisemitischem und den Holocaust verleugnendem Inhalt.
Auf „Almedalen“, einer traditionellen jährlichen Politikwoche auf Gotland, bei der er nun diese Tat beging, war er laut „Expo“ schon vor seinem Engagement in der NMR aufgefallen: 2014 mit einem T-Shirt der rassistischen Parlamentspartei „Schwedendemokraten“. Diese und eine mittlerweile wieder verschwundene Splittergruppe lobte er dabei als „Speerspitze der nationalen Bewegung“. Die Polizei wollte zur Person des Festgenommenen zunächst keine Angaben machen, dementierte die Medieninformationen aber auch nicht. Man teilte lediglich mit, der Mann habe bei seiner Festnahme einen „verwirrten Eindruck“ gemacht, es gebe Fragen nach seiner psychischen Verfassung. „Mein Mandant gibt die Tat zu“, erklärte der Verteidiger des 33-Jährigen am Donnerstagmittag.
Das Opfer äußerte sich regelmäßig in Medien und Debatten
Zu einem mutmasslichem Motiv wollte sich Gotlands Polizeichef Fredrik Persson am Donnerstagvormittag nicht äussern: „Dafür ist es zu früh.“ Auch Daniel Poohl von „Expo“ wollte nicht darüber spekulieren, ob es einen Zusammenhang zwischen der Tat und dem ideologischem Hintergrund des Mannes geben könnte: „Aber es ist klar, dass es nicht irrelvant sein könnte, wenn eine Person, die ein Gewaltverbrechen begeht, ein Unterstützer dieser Art von Ideologie ist.“
Man gehe davon aus, dass Ing-Marie Wieselgren kein zufälliges Opfer sei, sondern „wegen ihres öffentlichen Profils“ angegriffen worden sei und die Tat deshalb möglicherweise auch geplant war, teilte die zuständige Staatsanwältin Petra Götell am frühen Donnerstagnachmittag mit. Wieselgren war eine öffentliche Person, die sich regelmässig in Medien und Debatten zum Thema der psychischen Gesundheit geäussert hatte. Sie sei ein Mensch gewesen, „der daran geglaubt hat, dass weniger Segregation und eine gleichberechtigtere Gesellschaft die psychische Gesundheit verbessern können, und der sich sein ganzes Berufsleben lang für Menschen eingesetzt hat, die es schwer haben“, formuliert es am Donnerstag die Chefredakteurin der Medizinzeitschrift „Dagens Medicin“, Lisa Blohm.
Im Rahmen von Almedalen war sie seit Montag bereits bei mehreren Veranstaltungen aufgetreten, am Mittwochnachmittag sollte sie auf dem Donners Plads über die Kinderrechtsorganisation „Maskros-Barn“ („Löwenzahn-Kinder“) sprechen, die ein umfangreiches Förderangebot für Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren hat, deren Eltern suchtkrank oder psychisch erkrankt sind.
Schwedens Sozialministerin Lena Hallengren twittert von der „Bestürzung“, die diese Tat bei ihr ausgelöst habe: „Ing-Marie war für mich eine wichtige Wissens- und Inspirationsquelle in der Arbeit mit psychischen Erkrankungen.“ – „Auf dem offenen Platz, in der offenen Stadt ist ein Leben ausgelöscht worden“, twittert Bildungsministerin Anna Ekström. Im Sinne von Wieselgren wolle man weiterhin mit starker Entschlossenheit für die Menschenwürde einstehen, damit nicht die Gewalt die Oberhand gewinnen könne: „Wir bauen gemeinsam eine offene Stadt, keine befestigte.“
In Medien tauchten am Donnerstag erste Fragen an die Polizei auf, ob man in Visby womöglich nicht ausreichend wachsam und genügend darauf vorbereitet gewesen sei, dass sich ein mit einem Messer bewaffneter Mann mit offenen Nazi-Sympathien dort so frei bewegen konnte. Für den Rest der Almedalen-Woche „sehen wir kein gestiegenes Gefahrszenario“, sagt Fredrik Persson.
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