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DFB-Team mit breiter StärkeBullerbü in Brentford

Das bereits fürs Viertelfinale qualifizierte deutsche Team lebt von seiner Harmonie. Hilfreich dafür ist, dass wirklich alle das Spiel bereichern.

Starke Bank: Die eingewechselten Lena Lattwein (l.) und Linda Dallmann (r.) freuen sich mit Huth Foto: Lisi Niesner/reuters

In Brentford wurden jüngst wieder Otter gesichtet. Wo der Fluss Brent sich mit einem Kanal vereinigt und wenig später in die Themse fließt, just am DFB-Hauptquartier, hat man ein Stückchen Land der Wildnis zurückgegeben. Nun nisten hier Wasservögel, gibt es reiche Fischgründe, Eisvögel, eine Vielfalt von Insekten und eben Otter. Ein bisschen wie aktuell beim Nationalteam: sehr ruhig, sehr friedlich, geradezu idyllisch.

Die Hauptquartiere von deutschen Na­tio­nal­teams sind seit jeher Gegenstand endloser Interpretationen. Da gab es den Geist von Campo Bahia, den Horror von Watutinki, und die Älteren werden sich noch an die legendäre Vorbereitung am Schlucksee erinnern. Wenn Brentford etwas sagt über den Geist der deutschen Elf, dann spiegelt es das Gefühl tiefer Harmonie. „Wir haben hier viel Zeit und Ruhe“, beschreibt es Linda Dallmann, während Lattwein von den Spaziergängen im grünen Brentford schwärmt. Bis auf das letzte Gruppenspiel am Samstag gegen Finnland, für das das Team nach Milton Keynes reist, verbrachten die Deutschen die gesamte Vorrunde hier und werden auch zum Viertelfinale zurückkehren.

Die beiden Ersatzspielerinnen haben die recht angenehme Aufgabe, vor dem bedeutungslosen letzten Spiel gegen Finnland mit den Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen zu plaudern, bei strahlendem Sonnenschein am Kanal und einer sportlichen Lage, an der es nichts zu mäkeln gibt. Nach zwei sehr überzeugenden Auftritten gegen Dänemark (4:0) und Spanien (2:0) hat das deutsche Team sich zu Titelfavoritinnen gemausert und ist vorzeitig als Gruppenerster fürs Viertelfinale qualifiziert; vor allem in der Heimat hat das viele überrascht.

Auch für die Spielerinnen ist das Ergebnis nicht selbstverständlich. „Es lief nicht immer so, wie wir das wollten, auch von der Zusammenarbeit untereinander her und mit dem Trainerteam“, so deutet Lattwein interne Konflikte rund um die Serbien-­Niederlage an, die die Spielerinnen mittlerweile oft umrissen haben, wenngleich sie dabei im Ungefähren bleiben. „Wir haben es geschafft, uns auszusprechen und neu zu finden.“

Neue Solidarität mit Prinz

Den Knall nach der 2:3-Pleite, dann das lange Trainingslager in Herzogenaurach, wo man auch mal zusammen am Pool gechillt und Kaffee getrunken habe, beschreiben alle Teammitglieder als prägend für diese EM. Eine wichtige Rolle für die neue Solidarität spielt offenbar auch die als Teampsychologin tätige Birgit Prinz. „Nach schweren Spielen wie gegen Serbien mussten wir überlegen, wie wir da wieder rauskommen“, erzählt Linda Dallmann. „Wir hatten das ein oder andere Treffen mit Birgit und der Mannschaft. Jede hat gesagt, was ihr persönlich wichtig ist. Was sie von den Teamkolleginnen braucht, wie wir sie unterstützen können. Das hat der Mannschaft sehr geholfen. Birgit hat sehr großen Einfluss.“

So oft fällt auf dieser Pressekonferenz das Wort Mannschaft, dass man glauben könnte, der DFB werde den schon eingemotteten PR-Slogan wieder hervorkramen. Das hier ist ein Team, das sich als ein solches fühlt.

Deutlich wird das etwa, wenn es um die Rolle der Einwechselspielerinnen geht. Lattwein und Dallmann werden vermutlich gegen Finnland von Anfang an zum Zuge kommen. Beide kamen gegen Dänemark und Spanien von der Bank, Lattwein traf gleich zum 3:0 gegen die Däninnen. Das sei ein gutes Gefühl, dass „auch zählbare Tore von der Bank kommen“, sagt die Wolfsburgerin. Die Münchnerin ergänzt: „Es ist eine große Stärke, weil andere diese Breite und Qualität nicht haben. Uns zeichnet das extrem aus, dass wir Akzente setzen können, wenn der Gegner müde wird.“

Und offenbar ist die Rolle der Bank neu abgesprochen. Man sehe sich nun als wichtige Stimmungsmacherinnen im Spiel. „Das hätte früher besser sein können. Seit Turnierstart leben wir das sehr gut. Wir merken, dass wir die Elf auf dem Platz erreichen und dass wir nach den 90 Minuten genauso kaputt sind wie die, die spielen.“ Eine Möglichkeit, den nicht zum Zuge Kommenden sportliche Bedeutung und Wertschätzung zu geben und dem Team auf dem Platz Rückhalt. Die Alpha-Bänklerin ist offenbar Laura Freigang, die, wie Lattwein sagt, „noch keine Minute gespielt hat, aber sich bei jedem Spiel das Herz aus der Seele schreit“.

„Wir haben einfach Bock“

Die beiden erfolgreichen Spiele in Brentford haben die Stimmung denkbar beflügelt. Es lässt sich den Spielerinnen durchaus abnehmen, dass sie gegen die vermutlich tief stehenden, schon ausgeschiedenen Finninnen im sportlich bedeutungslosen letzten Spiel nicht relaxen möchten. „Wir haben einfach Bock, die Gruppe zu null zu beenden und noch mal einen draufzusetzen“, sagt Linda Dallmann.

Wenn es eines gibt, was die Bullerbü-Atmosphäre dabei marginal trübt, ist es Corona. Lea Schüller hat es erwischt, in anderen Teams traf es Superstars wie die Niederländerin Vivianne Miedema. Das deutsche Team hat deshalb, auch auf Wunsch der Spielerinnen, einen geplanten Nachmittag mit den Familien im Hotel abgesagt. Man sei sehr vorsichtig, treffe die vielfach mitgereisten Verwandten und Part­ne­r:in­nen nun nur draußen und einzeln. Ein Ausbruch würde die viel gelobte Breite des Kaders schnell ausdünnen.

Lena Lattwein, die Wolfsburgerin, und Linda Dallmann, die Münchnerin, stehen dabei auch für die beiden zentralen Achsen des Kaders. Ob die großen Bayern- und Wolfsburg-Blöcke ein sportlicher Vor- oder Nachteil sind, darüber sind die beiden ausnahmsweise uneinig. Lattwein hält es für eine Stärke, wenn „die Automatismen drin sind und viele Spielerinnen den gleichen Fußball spielen und verstehen“. Linda Dallmann erklärt überraschend, ihr „mache es mehr Spaß, mit vielen Ideen und Vereinen zusammenzuspielen“. Was Lattwein dazu veranlasst, schnell nachzuschieben: „Das war nicht so gemeint, dass ich es nicht mag, mit euch Bayern zu spielen.“ Harmonie first.

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