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Filmtipps für BerlinDas Wissen der Generationen

In Potsdam: Gespräch über die gut 100-jährige Geschichte der Geyer-Filmwerke. Das 18. „Achtung Berlin“-Festival zeigt „Köy“ von Serpil Turhan.

In „Köy“ (2021) von Serpil Turhan kommen Kurdinnen aus drei Generationen zu Wort Foto: Salzgeber

M eine persönlichen Erinnerungen an die Geyer-Kopierwerke in Neukölln gehen auf einen Studentenjob zurück, den ich in den frühen 1990er Jahren bei einem auf dem Gelände angesiedelten Videokopierwerk hatte: Irgendwann standen auf dem Hof diverse Containerpaletten mit Dosen voller alter 35mm-Kopien herum, die offenbar alle zur Vernichtung vorgesehen waren. Das war ein ganz schön trauriger Anblick, es wirkte wie ein Massengrab für Filmklassiker. Ich konnte mit den Filmkopien auch nichts anfangen, habe mir aber damals erlaubt, als Souvenir einen fleckigen, leeren kleinen Pappkarton der Technicolor Corporation, Hollywood 38, California mitzunehmen, in dem früher einmal ein 16mm-Film aufbewahrt worden war.

Die Geyer-Werke waren in Deutschland die wichtigste Firma für die analoge Filmbearbeitung, und das rund 100 Jahre lang von 1911 bis zur Schließung 2013, als die digitalen Filmkopien ihren unaufhaltsamen Siegeszug bereits angetreten hatten. Zur Geschichte der Geyer-Werke wird Christian Geyer, Enkel des Firmengründers Karl August Geyer, bei einem Vortrag im Filmmuseum Potsdam erschöpfend Auskunft geben.

Anschließend läuft der dänische Stummfilm „Die vier Teufel“ (R: Robert Dinesen, Alfred Lind), ein Melodram im Artistenmilieu, das mit der Herstellung von 375 Kopien im Jahr 1911 den ersten Großauftrag für die Geyer-Werke bedeutete. Für musikalische Begleitung sorgen Leisa Bill (E-Piano) und an der Geige Rainer Sohst (23.4., 19 Uhr, Filmmuseum Potsdam).

Kurdisches Wissen

„Achtung Berlin“, das Festival für – im weitesten Sinne – Filmproduktionen aus Berlin und Brandenburg öffnet in dieser Woche in seiner 18. Ausgabe die Tore der verschiedenen Festivalkinos. In der Reihe Berlin Spotlights zu sehen ist Serpil Turhans schöne Dokumentation „Köy“, in der sie drei in Berlin lebenden Kurdinnen verschiedener Generationen über drei Jahre lang begleitet, befragt und porträtiert hat, darunter auch ihre mittlerweile verstorbene Großmutter.

Köy, das bezeichnet „das Dorf“, einen Sehnsuchtsort, von dem die Frauen träumen: von der Landschaft, von Menschen, die ihre Sprache sprechen. „Köy“ gibt kleine Einblicke in das Leben der Protagonistinnen in Berlin, doch den Kern des Film machen die Gespräche aus, die Serpil Turhan mit ihnen als Dialog unter miteinander vertrauten Menschen über eine Leerstelle im Leben führt. Ein kluger Film über Identität und Heimat.

Ebenfalls sehenswert ist der Film „Mayor, Shepherd, Widow, Dragon“ im Wettbewerb Dokumentarfilm. Die bulgarisch-deutsche Regisseurin Eliza Petkova porträtiert die im bulgarischen Bergdorf Pirin lebenden Ti­tel­hel­d:in­nen ihres Films mit sanfter Empathie: überwiegend alte Witwen mit ihren erwachsenen, unverheirateten Söhnen. Denn Frauen im heiratsfähigen Alter gibt es im Dorf nicht mehr, sie haben sich längst in bessere Lebensverhältnisse verabschiedet. Was bleibt, sind Menschen, die sich mit mildem Fatalismus in einer verschwindenden bäuerlichen Welt eingerichtet haben („Köy“, 23.4., 19 Uhr, Wolf Kino + 25.4., 17.45 Uhr, Babylon Mitte; „Mayor, Shepherd, Widow, Dragon“, 24.4., 19 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain + 25.4., 18.30 Uhr, fsk).

Filmklassiker auf großer Leinwand in der Astor Film Lounge: In „Red River“ (1948) führt uns Regisseur Howard Hawks mit der Geschichte eines großen Viehtrecks hinaus in die Prärie. Dabei kommt es zu Konflikten zwischen dem starrsinnigen Anführer und seinem Ziehsohn, was auch einen interessanten Zusammenprall von Schauspielertypen bedeutet: den von seiner sagenhaften Aura zehrenden John Wayne und den Method-Actor Montgomery Clift (24.4., 11 Uhr, Astor Film Lounge).

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