Europa an der Spitze der Rüstungsspirale

Noch nie seit Ende des Kalten Kriegs wurde weltweit so viel Geld für Militär ausgegeben wie 2021

Von Reinhard Wolff

Gute Aussichten für Rüstungskonzerne wie Raytheon, Airbus oder Thales: Nicht nur weil die neue Aufrüstungswelle künftige Rekordaufträge verspricht – die Trendwende hat schon vor Russlands Krieg gegen die Ukraine begonnen. Das zeigt ein Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri zu den weltweiten Ausgaben für Waffen und Rüstung 2021.

Erstmals seit 1988 – als Sipri anfing, die Daten zu erheben – gaben die Staaten mehr als 2 Billionen US-Dollar für Rüstungskäufe aus. Exakt beziffert sie der World Military Expenditure-Bericht auf 2.113.000.000.000 US-Dollar, eine Verdopplung binnen 25 Jahren.

Wie immer entfällt der Löwenanteil mit 801 Milliarden Dollar oder 38 Prozent auf die USA, danach folgen China (14 Prozent), Indien (3,6 Prozent), Großbritannien (3,2 Prozent) und Russland (3,1 Prozent). Deutschland und Frankreich kommen auf je 2,7 Prozent, was Ausgaben über gut 56 Milliarden Dollar entspricht. Sie alle zusammen plus Saudi-Arabien, Japan und Südkorea stehen für drei Viertel der weltweiten Rüstungsausgaben. Bei den Regionen verzeichnete Europa das größte Wachstum: Sanken die Ausgaben in den USA seit 2012 um 6,1 Prozent, stiegen sie in Europa um 19 Prozent. Die europäischen Nato-Staaten steigerten ihre Militärausgaben 2021 um 3,1 Prozent auf zusammen 342 Milliarden US-Dollar.

Setzt man die Ausgaben ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, kommt Russland mit einem Anteil von 4,1 Prozent auf ein Niveau, das nur von einigen Staaten im Mittleren Osten wie Israel oder Saudi-Arabien übertroffen wird. Möglich gewesen sei das wegen der hohen Einnahmen aus dem Gas- und Ölexport, sagt Sipri-Forscherin Lucie Béraud-Sudreau. Die Ukraine hatte auf die russische Annexion der Krim 2014 mit einer Erhöhung des Militärbudgets reagiert. In den letzten zehn Jahren stiegen die Ausgaben um 142 Prozent. Ihr Anteil am BIP lag 2021 bei 3,2 Prozent. Deutschland steckte mit 1,3 Prozent einen relativ geringen Anteil in seine Rüstung. Damit gehört es zu den 18 der 26 europäischen Nato-Staaten mit eigenem Militär, die die 2014 beschlossene Marke von mindestens 2 Prozent nicht erreicht haben.

Die nächsten Jahresberichte könnten von einer neuen Gefährdung handeln. Angesichts der jüngsten Entwicklungen könne Moskau sich veranlasst sehen, sein atomares Arsenal auszubauen, vermutet Kristian Søby Kristensen vom Zentrum für Militärstudien der Uni Kopenhagen: „Es könnte eine Änderung der russischen Atomdoktrin geben. Ein Absenken der Schwelle für den Gebrauch solcher Waffen.“