piwik no script img

Restauratorin Vanessa Müller im Brandenburgischen Landeshauptarchiv und den NS-Akten Foto: Stefanie Loos

Provenienzforschung zu NS-RaubkunstSpurensuche nach mehr als 70 Jahren

Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam lagern viele Akten zu NS-Raubkunst. Nun findet deren erste systematische Untersuchung statt.

Von Karlotta Ehrenberg aus Potsdam

E ndlich kann die Spurensuche losgehen: und zwar in den rund 42.000 Akten der sogenannten Vermögensverwertungsstelle – dem Amt, das die Nationalsozialisten eigens dafür einrichteten, um das von Juden und anderen Verfolgten geraubte Eigentum systematisch zu verwerten. Provenienzforscherin Dr. Irena Strelow will die Akten, die seit Jahrzehnten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam liegen, mit ihrem Team nach NS-Raubkunst durchforsten.

Dass Strelows Projekt mit 3,6 Millionen Euro vom Bund gefördert wird, verwundert nicht. Mit der Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung von 1998 hatte sich Deutschland dazu verpflichtet, in Fällen von NS-verfolgungsbedingtem Entzug von Kulturgütern eine „faire und gerechte Lösung“ zu finden.

Wie oft es seither zu einer Rückgabe oder Entschädigung kam, ist ungewiss. Es gibt keine Statistik darüber. Ex­per­t*in­nen sind sich jedoch einig, dass es zu wenig ist.

Dass die deutsche Politik Wiedergutmachung immer noch in das Kulturressort abschiebt und nicht im Sinne der historischen Verantwortung priorisiert, dafür sprechen fehlende oder unterfinanzierte Provenienzforschungsstellen an Museen sowie die Antragsbedingungen bei der öffentlichen Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. Die schüttet Forschungsgelder nur dann aus, wenn der Antragsteller den nötigen Eigenanteil aufbringen kann.

Privatpersonen müssen das nach Auskunft der Stiftung nicht, jedoch ist davon auszugehen, dass hier zum Teil erhebliche Vorleistungen nötig sind, um den Antrag überhaupt stellen zu können. Und natürlich muss das Wissen um eine solche Möglichkeit vorhanden sein. An entsprechender Kommunikation scheint es jedoch ebenfalls zu hapern.

Langsame Aufarbeitung

Provenienzforscherin Irena Strelow in ihrem Büro im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam Foto: Stefanie Loos

Die Mit­glie­der der Beratenden Kommission, die Schlichtungsstelle in Sachen Raubkunst, arbeiten rein ehrenamtlich, ihre Empfehlungen sind nur für Institutionen bindend, die vom Bund finanziert werden – Museen sind aber oft Ländersache. Trotz vieler Beteuerungen kann die Kommission bis heute nicht einseitig angerufen werden – verweigern sich die Museen einer Schlichtung, ist für die Opfer hier Endstation. Was deutlich macht, dass es vor allem an einem fehlt: dem politischen Willen für ein Restitutionsgesetz, das es den Opfern und ihren Angehörigen ermöglicht, ihr Recht einzuklagen.

Das ist das erste Mal, dass ein Aktenbestand dieses Umfangs komplett durchgegangen wird

Julia Moldenhawer, Informationswissenschaftlerin

Aber nicht nur die Politik ist schuld an der langsamen Aufarbeitung, meint Irena Strelow. Ihrer Ansicht nach hat man in der Provenienzforschung bisher auf die falsche Methode gesetzt. So wird hier stets vom Kunstobjekt ausgegangen, indem man etwa Inventarbücher von Museen konsultiert. „Solche Spuren enden schnell im Nichts“, sagt Strelow. Stattdessen müsse „man von den Akteuren ausgehen, die an dem Raub beteiligt waren“. Also bei den Tätern und ihren schriftlichen Hinterlassenschaften.

„Das ist das erste Mal, dass ein Aktenbestand dieses Umfangs komplett durchgegangen wird“, erklärt Informationswissenschaftlerin Julia Moldenhawer, die das archivarische Mammutprojekt in Potsdam leitet: Seit 2019 konnten mehr als die Hälfte der über 1,5 Millionen Blätter restauriert werden, sie wurden entsäuert und an Bruchstellen repariert. Von elf Aktenpaketen, die sich auf 169 Regalmetern stapeln, sind bisher drei digitalisiert worden. Für eine komplexe elektronische Suche wurde ein Schlagwortkatalog erarbeitet.

Der digitalisierte Bestand soll nicht nur dem eigenen Team, sondern auch den Angehörigen der Opfer sowie anderen Forschungsprojekten langfristig dienen. Schließlich geht es in den Akten um die Verwertung jeglichen jüdischen mobilen und immobilen Eigentums. Von der Aktie über das Grundstück zum Bidet wurde alles zu Geld gemacht.

Geraubte Kunstschätze

Unter den Dokumenten, die der Computer auf die Suche hin ausspuckt, sind Inventarlisten, die bei einer Beschlagnahme erstellt wurden, sowie die Protokolle amtlich bestellter Versteigerer. Quittungen belegen, wann welches Werk wohin gegangen ist und was dafür gezahlt wurde.

Korrespondenz gibt es auch zu finden. Sie belegt, dass die geraubten Kunstschätze nicht zufällig in die Bestände staatlicher Museen gelangt sind. So erkundigte sich beispielsweise der Direktor der Berliner Nationalgalerie, Paul Ortwin Rave, gezielt nach Kunstwerken aus dem Besitz der nach England geflohenen Marie Busch. Diese erbte die Sammlung ihres Mannes nach dessen Suizid im Sommer 1938. „Felix Busch hat direkt neben dem Pergamonmuseum gewohnt“, weiß Irena Strelow. „Dahinter befand sich die Nationalgalerie. Die kannten den alle, die wussten, was der in seiner Sammlung hatte.“

Julia Moldenhawer ist die Leiterin des Pilotprojektes zur Provinienzforschung in Sachen NS-Raubkunst Foto: Stefanie Loos

Die Verwertung jüdischen Kulturguts hatte System, das zeigen auch die Forschungen von Strelows Kolleginnen Stella Baßenhoff und Johanna Heil. Anhand konkreter Fälle versuchen sie die Systematik im Vorgehen der NS-Behörden zu ermitteln. Irena Strelow: „Wenn wir die Abläufe verstanden haben, können wir in der Recherche schneller werden.“

Und um Tempo geht es, wenn man es mit NS-Raubgut zu tun hat. „Je mehr Zeit verstreicht, desto schwieriger wird es“, sagt Prof. Dr. Julius Schoeps. Er ist nicht nur der Enkel von Marie Busch, sondern gehört auch zu den 29 Erben von Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Als Sprecher der Erbengemeinschaft setzt sich Schoeps für die Restitution von Picassos „Madame Soler“ ein, die von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit 13 Jahren verweigert wird. „In fünf Jahren wird sich die Zahl der Erben verdoppeln und verdreifachen. Dann können solche Fälle kaum mehr gelöst werden“, so Schoeps. „Der Verdacht besteht, dass gerade darauf spekuliert wird.“

Suche nach den Lücken in der Akte

Zurück ins Brandenburgische Landeshauptarchiv. Hier hat die Recherche in digitalisierten Bestand begonnen. „In einem bestimmten Fall hat sich ein Anfangsverdacht nicht bestätigt“, sagt Strelow zu den Treffern, die sie bisher untersucht hat. „Aber dafür hat zwei Zeilen drüber etwas gestanden, wo ich dachte: das muss doch zu finden sein. Das war der erste Fund aufgrund der elektronischen Suche.“ Die Beweisführung ist abgeschlossen, das Dossier an das Museum versandt. Da der Eingang noch nicht bestätigt wurde, will Strelow jedoch nicht darüber sprechen.

Dafür öffnet sie die Akte eines anderes Falls, der auch gerade abgeschlossen wurde. „Ich suche immer nach den Lücken in der Akte: aufscheinende Objekte, die im Verlauf der Verwertung nicht nochmals auftauchen, weil sie selektiert wurden.“ Gemeint ist hier unter anderem ein Gemälde von Karl Blechen „Das Mühlental von Amalfi“, das für das Führermuseum Linz aussortiert wurde und heute im Besitz der Kulturverwaltung des Bundes ist.

Das Werk gehörte zu einer großen Sammlung, die der ins Ausland emigrierte Jude Edgar Moor von seinen Onkeln Arthur und Eugene Goldschmidt erbte, die sie wiederum von ihrem Vater geerbt hatten. Wenige Tage nach der Reichspogromnacht nahmen sich Moors Onkel das Leben.

Neben den Testamenten gibt es Dokumente, die Strelow aus etlichen anderen Archiven zusammengetragen hat. Sie beweisen, dass es sich bei dem Großvater von Edgar Moor genau um den Dr. H. Goldschmidt handelte, der auf einer Karteikarte der Alliierten als Vorbesitzer eingetragen ist: Dazu gibt es Einträge aus Adressbüchern, einen Wohnungsgrundriss sowie eine an Goldschmidt adressierte Baugenehmigung.

Aufwändige Beweisführung

Eine ziemlich komplizierte und aufwändige Beweisführung, wie auch eine Rekonstruktionsgrafik zum Fall zeigt. Strelow sagt von sich selbst, dass sie von ihren Recherchen „besessen“ ist. „Ich wache nachts auf, da fällt mir ein, wo sich ein Objekt befinden könnte, dann mache ich Licht an und schreib mir das auf. Also ich arbeite immer. Auch im Urlaub.“

Das Dossier zu dem Fall „Das Mühlental von Amalfi“ ist jüngst an die Kulturverwaltung des Bundes gegangen. Auf taz-Anfrage wird bestätigt, dass sich das Gemälde derzeit im Fürst-Pückler-Museum in Cottbus befände und man eigene Recherchen anstelle. Sollte sich der Verdacht bestätigen, werde „eine Restitution an die noch zu ermittelnden Berechtigten beabsichtigt“.

Irena Strelow fällt es nicht leicht, den Fall loszulassen, ehe endlich Gerechtigkeit geschieht
taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Was Irena Strelow angeht, so kann sie nur hoffen, dass es tatsächlich zur Rückgabe kommt. „Wir haben keinen Einfluss darauf“, sagt sie. „Das Projekt sieht ja nur vor, dass wir die Museen benachrichtigen und die Rechtsnachfolger der Betroffenen auch informieren.“ – Sofern diese denn bekannt sind.

Hier wird eine weitere Besonderheit des Potsdamer Projekts deutlich: Während bisherige Verdachtsfälle von NS-Raubkunst meist auf Betreiben beziehungsweise Druck der Opfer oder ihrer Rechtsnachfolger untersucht wurden, führt Strelows Methode dazu, dass auch Fälle bearbeitet werden, um die sich bisher niemand bemüht hat. Sei es, weil die Nachkommen nichts von ihrem Erbe wissen, sie nicht die nötigen Mittel aufbringen können, sich der enorme finanzielle und auch Kraftaufwand nicht lohnt – oder es keine Erben gibt.

Irena Strelow fällt es nicht leicht, den Fall „loszulassen“, ehe das Objekt bei den Nachkommen der Geschädigten oder, im Fall deren Nichtexistenz, bei jüdischen Institutionen landet, also endlich Gerechtigkeit geschieht. Aber die Arbeit geht weiter. Der nächste Fall wartet schon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!