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Pleite-Unternehmen WirecardWahn, Betrug und sterbende Pflanzen

Markus Braun, Ex-Boss von Wirecard, ist in München angeklagt. Zwei frühere Beschäftigte erinnern sich an eine bizarr-denkwürdige Zeit.

Jörn Leogrande ist ehemaliger Mitarbeiter bei Wirecard und Autor des Buchs „Bad Company“ Foto: Thomas Dashuber

Er überlegte, sich sein altes Leben zurückzukaufen. Schreibtisch, Bürodrehstuhl oder Grünpflanzen im Hydrocontainer? Alles war Mitte Februar zu haben bei der Online-Auktion, als die Überreste der Pleitefirma Wirecard versteigert wurden – das Inventar vom Unternehmenssitz in Aschheim bei München. „Ich habe 20 oder 30 Euro auf ein paar Sachen geboten“, erzählt Jörn Leogrande. „Aber schnell ging immer jemand drüber.“ Alles kam unter den Hammer.

Ihn hätten die „Todespflanzen“ interessiert, wie sie in der Firma genannt wurden – „das waren so Topfpflanzen, die keiner gegossen hat und die völlig vertrockneten“. Jörn Leogrande, 58 Jahre alt, war mal was bei Wirecard. Erst Werbetexter und zuletzt Chef der globalen Innovationsabteilung, bis die Firma im Juni 2020 zusammenkrachte. 15 Jahre hatte er für Wirecard gearbeitet, nun sagt er: „Die meiste Zeit meines beruflichen Lebens war ich auf dem falschen Dampfer.“

Vor Kurzem hat die Staatsanwaltschaft München in dem Betrugskomplex die erste Anklage erhoben gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun und zwei weitere Ex-Manager. Die Vorwürfe lauten bandenmäßiger Betrug, Veruntreuung und Bilanzfälschung. Das Landgericht dürfte die Anklage bis zum Sommer annehmen, dann beginnt der Prozess im Herbst.

An einem schönen Frühlingstag sitzt Jörn Leogrande am Ufer des Weßlinger Sees, knapp 30 Kilometer südwestlich von München. Mit seiner Familie wohnt er in der Nähe. Ein guter Ort, um nachzudenken. Etwa darüber, wie es zu diesem größten Wirtschaftsbetrugsfall der Nachkriegsgeschichte kommen konnte, bei dem Aktienanleger 20 Milliarden Euro verloren haben.

Analystentalks

Hatte man denn nie Zweifel an den von der Firmenspitze regelmäßig gemeldeten riesigen Steigerungen bei Wachstum und Gewinn? „Mit Markus habe ich immer wieder Analystentalks gemacht“, erzählt Leogrande. „Da waren Leute von Goldman Sachs dabei, von der Deutschen Bank und anderen Großbanken. Da hat nach meiner Erinnerung keiner etwas hinterfragt.“ Er nennt die Bosse mit Vornamen, so wie sich bei Wirecard alle geduzt hatten. Markus ist der Vorstandsvorsitzende Markus Braun. Er spricht von Henry, dem Briten Henry O'Sullivan, engem Vertrauten von Jan. Das wiederum ist Jan Marsalek, Vorstandsmitglied und weiterhin flüchtig.

Viele Bürger haben nie richtig verstanden, was Wirecard eigentlich gemacht hatte. Es geht um die Entwicklung digitaler Zahlungssysteme. Wie kann ein Produkt oder eine Dienstleistung bezahlt werden ohne Bargeld oder Banküberweisung? Begonnen hatte das Geschäft 1998 klein mit der Schaffung von Zahlungsmöglichkeiten in den Schmuddelecken des Internets – Online-Glücksspiel etwa oder Pornos. Die Firma expandierte, schuf mehr und mehr Produkte, die Kundenzahl stieg.

Die drei Beschuldigten sollen laut der Anklage unter anderem 3,1 Milliarden Euro Bankkredite erhalten haben, mit denen sie sich die eigenen Gehälter und Boni sicherten. Zum Bankrott führten letztlich 1,9 Milliarden Euro, die in Singapur gebucht, aber nicht aufzufinden waren. Dies hatten die Rechnungsprüfer der Gesellschaft Ernst & Young (EY) so festgestellt. Gab es diese 1,9 Milliarden? „Das weiß ich nicht“, sagt Jörn Leogrande. Zum System gehörte seiner Meinung nach vor allem auch, dass kriminelles Handeln nur „unter sehr wenigen Personen“ abgelaufen ist.

Vom SEK gestürmt

Lisa B. (Name geändert) war bei Wirecard beschäftigt. Sie hat die Pleite erlebt und die Übernahme des Kerngeschäfts durch die spanische Großbank Santander im Januar 2021. Vor einem halben Jahr hat sie gekündigt. „Für die Ermittlungen wurden wir zweimal vom SEK gestürmt“, erinnert sie sich, „Polizei und Staatsanwaltschaft waren in Scharen da.“

B. erzählt, dass die meisten Beschäftigten auch teils erheblich in Wirecard-Aktien investiert hatten – alles ist dahin. Weltweit hatte Wirecard 5.100 Beschäftigte, bei den Santander-Nachfolgern sind es in der Zentrale noch 400, die internationalen Außenstellen werden vom Konkursverwalter abgewickelt. „In diesem Jahr zog Santander mit dem Betrieb aus dem Gebäude in Aschheim aus und wechselte nach München. Aschheim hatte schlechte Energien“, meint Lisa B. Es gab mehrere Versuche, Betriebsräte zu gründen, die von der Unternehmensleitung aber „rigoros blockiert“ wurden. Sie erinnert sich an „Psychopathen und Aufschneider“ unter den Führungskräften. Vorstand Jan Marsalek, der wie Markus Braun aus Österreich stammt, bezeichnet sie als „skurrile Type“ mit hohem Geltungsdrang.

Sein Foto hängt nun in vielen Polizeidienststellen aus, Marsalek ist flüchtig und zur Fahndung ausgeschrieben wegen „Betrugs in Milliardenhöhe“. Der heute 42-Jährige hatte Einreisen auf die Philippinen und in China fingiert. Tatsächlich soll er nach Belarus und dann weiter nach Moskau geflogen sein und wird nun, so wird vermutet, vom russischen Geheimdienst untergebracht.

Parallelwelt

München, Prinzregentenstraße 61. Eine riesige, strahlend weiß gestrichene Villa, vier Stockwerke, 1.844 Quadratmeter, erbaut am Ende des 19. Jahrhunderts. Allerbeste Lage in Bogenhausen, direkt an der Isar und dem Friedensengel. Jan Marsalek hatte das Haus für 680.000 Euro jährlich angemietet, um in seiner „Parallelwelt“ zu leben, wie es Jörn Leogrande bezeichnet. Wohl fast niemand bei Wirecard wusste von dieser Bleibe. Empfangen wurden Leute aus seinem Netzwerk, offenbar jenseits von Wirecard – von russischen Oligarchen ist die Rede, einflussreichen Libyern ebenso wie österreichischen Geheimdienstlern. Aschheim, Einsteinring 35. Ein Gewerbegebiet. An diesem leeren Bürohaus mit seiner schwarzen Fassade erinnert nichts mehr an Wirecard, obwohl es mal die Zentrale war. Kein Schild, keine Namen, gar nichts. Von außen sieht man, dass die Räume völlig leer sind, das Mobiliar wurde ja versteigert, die Erlöse fließen in die Insolvenzmasse.

Die einstige Firmenzentrale von Wirecard in Aschheim steht leer Foto: Patrick Guyton

„Ich war da nie glücklich“, meint Jörn Leogrande. Nachdem er gegangen war, ist er noch einmal nach Aschheim gefahren und hat eine Runde um den alten Firmensitz gedreht. „Ich habe mich super unwohl gefühlt.“

Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Bad Company“, darin schildert er seine persönlichen Erlebnisse bei Wirecard. Ein Insiderbericht, der viel aussagt über die Zustände, über eine toxische Mischung aus Allmachtsfantasien und Kleinkariertheit. „Es ist eine ehrliche Bilanz“, sagt Jörn Leogrande. „Anfangs war ich bei Wirecard Texter, jetzt habe ich das Buch geschrieben. So schließt sich der Kreis.“

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2 Kommentare

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  • Jörg Leogrande, eine der umstrittensten Persönlichkeiten der damaligen Firma. Wussten Sie, dass er in seinem Büro ein riesiges Poster von Kim Jong-Un hatte? Und da er ständig in Kontakt mit der asiatischen Niederlassung stand und jedes Mal, wenn er Besuch bekam, sich über seine Ignoranz/Dummheit lustig machte? Fragen Sie jeden, der damals mit ihm gearbeitet hat. Und dann die Lügen, wie er zum Opfer wurde, wie unzufrieden er 15 Jahre lang war. Die Wahrheit war, dass er sich so wohl fühlte, eine Witzfigur zu sein und eine Menge Geld zu verdienen, dass es ihm völlig egal war...

  • Warum bleibt man 15 Jahre bei einer Firma, bei der man "nie glücklich" war? 5 Jahre fände ich schon lang. Aber 15 Jahre? Und dann mit den "skurrilen Typen" als Chefs? Klar gibt es sehr viele Menschen, denen kaum eine Wahl bleibt in ihren prekären Jobs und bei denen es nicht um Glück bei der Arbeit, sondern um Essen auf dem Tisch geht. Aber auf dem Weg vom Texter zum Chef der Innovationsabteilung gab es sicher einige Ausfahrten, die er hätte nehmen können. Nun gut, von außen ist man immer schlauer.