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Waffe der Tagelöhner

Die Per­for­me­r*in­nen Nuray Demir und Minh Duc Pham zelebrieren in „Semiotiken der Drecksarbeit“ im HAU3 die Pause als Profitmaximierungstechnik

Von Tom Mustroph

Der Job geht offenbar schon lange vor Vorstellungsbeginn los. Während das Premierenpublikum im HAU noch fröhlich miteinander im Hof plaudert und die mittlerweile klassisch gewordenen Rituale des Bändchen-Erhaltens beim Corona-Check-In vollzieht, haben Demir und Pham schon ein paar Eimer Wasser im Treppenhaus ausgekippt. Die Treppen glänzen jeweils feucht. Die Aktion passt auch zum Titel. Und wenn man das Zuschauerpodest erklimmt, sieht man Pham auf der Bühne mit dem klassischen Wisch- und Eimerwagen.

Das ist ein recht pragmatischer Auftakt. Kollegin Demir setzt dann noch einen drauf und wischt ein paar Zuschauer, die sich auf der Treppe niedergelassen haben, entschlossen weg. Ordnung muss sein.

Wer sich in der Folgezeit elaborierte Exkurse über prekäres Arbeiten und Ausbeutungspraktiken von Dienstleistungsgewerbe bis Kulturbetrieb erhofft hatte, sah sich allerdings enttäuscht. Natürlich, das Thema Gast­ar­bei­te­r*in­nen tauchte auf, sehr prominent sogar mit dem Gedicht „Mein Name ist Ausländer“. Verfasst hat es Semra Ertan, eine junge Dichterin, geboren im türkischen Mersin, durch Selbstverbrennung umgekommen vor ziemlich genau 40 Jahren in Hamburg. Ertan, damals 25 Jahre jung, wollte ein Fanal setzen. Sie hatte ihren Suizid sogar im NDR-Rundfunk angekündigt. Sie wies auf die hohen Hürden der Mehrheitsgesellschaft hin, die andere eben nicht aufnahm. Als Friseurin, was sie gelernt hatte, vielleicht noch. Als Dichterin, die sie eben auch war, erlebte sie die Hürden als noch höher, die Mauern als noch undurchdringlicher.

Von diesem biografischen Hintergrund erfährt man während der Performance nicht. Die Assoziationen stellen sich nur für die Eingeweihten her; es ist eine besondere Art der Exklusion, die Demir und Pham hier betreiben.

Auf der Handlungsebene immerhin kann man ihrem gelassenen Minimalismus etwas abgewinnen. Etwa 100 Plastestühle sind auf der Bühne gestapelt. Die beiden Per­for­me­r*in­nen arrangieren sie mehrfach zu neuen Konstellationen. Stuhlgebirge entstehen, dann wieder Tribünenlandschaften. Mal wirken die Stuhlreihen auch wie Militär bei der Parade.

Bei ihrer Möbel-Choreografie lassen sie sich Zeit. Und ungefähr genauso viel Zeit, wie sie für das Stühlerücken verwenden, genehmigen sie sich für Pausen. Dann sitzen sie da, trinken schweigend Tee oder Kaffee, knabbern auf Sonnenblumenkernen und spucken die Schalen auf den Boden. Sie zelebrieren die Pause. Und während man ihnen so zuschaut, der Flugkurve der Schalen hinterhersinniert, stellen sich Assoziationen zum eigenen Pausemachen und dem der Kumpels von früher ein. Pause war ein Genuss, war der Ausbruch aus dem Arbeitstakt, war der Moment der Freiheit, den man sich gönnte, angestellt und gering bezahlt, wie man war.

Die Pause ausdehnen war dabei das Mittel, den eigenen Stundenlohn zumindest virtuell zu erhöhen. Eine Reduktion der effektiven Arbeitszeit trieb die Zahl der Mark, der Dollar, der Euro pro Stunde in Dimensionen, die akzeptabler schienen.

„Semiotiken der Drecksarbeit“ erinnert genau an diesen virtuosen Selbstbetrug, an die Kunst der Pause, die die erfahreneren Mitbewerber auf dem Tagelöhnerstrich regelrecht verinnerlicht hatten. Und so lädt sich die performative Arbeitsverweigerung im HAU3 doch noch mit symbolischem Mehrwert auf. Konsequent wäre eine durational Performance gewesen, von acht oder zwölf Stunden Länge, je nach Schichtdauer. Aber für den Kapitalismus der kleinen performativen Form, auf der kleinsten Bühne im HAU, werden eben auch nur die leichter verdaulichen Päckchen geschnürt. Ein Abend mit Potenzial, das allerdings erst gehoben werden muss.

14. 4., 19 Uhr, HAU3

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