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Ein Clanprozess, der keiner ist

Fast ein Jahr lang wurde am Landgericht Osnabrück gegen die Brüder Z. und ihre Komplizen verhandelt. Die Urteile stehen in einem seltsamen Verhältnis zum Aufwand. Geht so die „Bekämpfung von Clankriminalität“?

Von Nadine Conti

Am Ende sind sie nicht einmal mehr eine Bande. In der vergangenen Woche ist vor dem Landgericht in Osnabrück ein Verfahren zu Ende gegangen, das eigentlich das erste große Strafverfahren der Ende 2020 eingerichteten Schwerpunktstaatsanwaltschaft Clan-Kriminalität hätte sein sollen. Mit einem gewaltigen Ermittlungsaufwand und rund 50 Verhandlungstagen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen wurde hier den Brüdern Osman und Hadi Z. der Prozess gemacht – zusammen mit den Komplizen Anatoli N. und René K.

Trotz dieses Aufwands zerbröselten große Teile der Anklage im Laufe des Prozesses: Von den ursprünglich angeklagten 23 Straftaten – 22 Einbrüche und ein Raub – werden am Ende neun Einbrüche und ein Raub nachgewiesen. Und an denen waren nicht alle Angeklagten beteiligt, weil sie jeweils in unterschiedlicher Zusammensetzung loszogen. Deshalb will die Vorsitzende Richterin hier nicht von Bandenkriminalität sprechen – und von Clankriminalität schon gar nicht. Als „unglücklich“ bezeichnet sie den Begriff.

Die Bilanz am Ende: Osman Z. bekommt fünf Jahre und zehn Monate für fünf Einbrüche und einen Raub. Hadi Z. vier Jahre und vier Monate für vier Einbrüche. René K. drei Jahre und sechs Monate für neun Einbrüche und Beihilfe zum Raub. Anatoli N. zwei Jahre und fünf Monate für Raub. Übrig bleiben aber auch eine Menge Ungereimtheiten und offene Fragen. Vor allem eine ganz große: Kann diese Strategie gegen Clankriminalität aufgehen?

Der Clan, das Dorf, die Medien

Wenn man mit den Augen eines Drehbuchschreibers auf die Geschichte guckt, ist sie nahezu unwiderstehlich – vor allem, weil sie so starke Bilder produziert. Die Großfamilie Z. trägt einen dieser Nachnamen, die schon oft Schlagzeilen gemacht haben. Aber dieser Zweig der Familie herrscht nicht über die Straßenzüge eines Großstadt-Ghettos wie in „4 Blocks“. Diese Familie lebt seit Anfang der 90er-Jahre in einer Siedlung namens „Bergfrieden“, im Dörfchen Haaren in der Gemeinde Ostercappeln im Osnabrücker Land.

Die Siedlung ist geprägt von bescheidenen Einfamilienhäusern mit gepflegten Vorgärten, doch an einer Ecke steht – erkennbar am hohen dunklen Sichtschutzzaun und einem verschnörkeltem Metalltor – das Haus der Familie Z. wie ein bedrohlicher Fremdkörper.

Zu zwei Razzien rückte die Polizei mit einem so gewaltigen Großaufgebot an, dass die Einsatzwagen die gesamte Straße herunter standen. „So etwas habe ich noch nicht gesehen“, sagt Dr. Jan von Lengerich, einer der Anwälte der Familie. Sehen konnte es dafür der Rest des Landes: Die Bilder liefen bei NDR, RTL, SAT1 und Spiegel-TV, auch die Regionalzeitungen berichteten groß. Sowohl das niedersächsische Innenministerium als auch das Justizministerium hatten mit Pressemitteilungen den „Schlag gegen die Clan-Kriminalität“ gefeiert. Die Neue Osnabrücker Zeitung legte später sogar einen mehrteiligen Podcast dazu auf.

Clan, Bande oder Gangster?

Abgesehen von ihrem Wohnort in der Provinz passt die Familie Z. auf den ersten Blick perfekt ins Klischee. Sie gehören zu den Mhallamiye, jener ethnischen Gruppe, die vor allem im Libanon und im Süden der Türkei angesiedelt ist – und in beiden Staaten diskriminiert und als nicht zugehörig betrachtet wird. In Deutschland wurden sie als abgelehnte Asylbewerber auch nur geduldet und durften nicht arbeiten. Ärger gibt es allerdings weniger mit den ursprünglich Zugewanderten als viel mehr mit der zweiten und dritten Generation. Auch die beiden in Osnabrück angeklagten Brüder sind in Deutschland geboren.

In der Ermittlungsakte wimmelt es von rassistischen Zuschreibungen: Ein auffällig hoher Anteil der Mhallamiye sei kriminell, heißt es etwa, und in diesen Familien würden die Kinder traditionell zum Rauben und Plündern erzogen. Was dagegen nicht ganz ins Bild passt: Die BKA-Definition von Clankriminalität hebt auf eine „ethnisch abgeschottete Subkultur“ ab, die einer eigenen Wertordnung folge. Die Mit­angeklagten Rene K. und Anatoli N. sind allerdings, in den Worten des Anwalts, „biodeutscher“ und russlanddeutscher Herkunft. Und obwohl René K. derjenige ist, dem die meisten Einbrüche und Beihilfe zum Raub nachgewiesen werden, gilt er – genauso wie Anatoli N. – nur als Mitläufer. Als Boss gilt Osman Z., der den Ermittlern auch den Gefallen tut, sich gern in klassischen Gangsterposen zu fotografieren: Mit viel Bargeld, im Sportwagen, mit Designerklamotten. Insgesamt pflegt seine Familie einen Lebensstil, der weit über dem liegt, was sich Sozialhilfeempfänger leisten können.

Demonstrative Härte

Der Anlass für die erste Durchsuchung wirkt wie ein offensichtlicher Vorwand: In einem nahegelegenen Waldstück war illegal entsorgter Bauschutt gefunden worden. Die Durchsuchung bei Familie Z. sollte angeblich entlastende Entsorgungsnachweise zu Tage fördern – stattdessen führte sie zu weiteren Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Sozialhilfebetruges. Bei weiteren Durchsuchungen wurde dann Diebesgut aus verschiedenen Einbrüchen gefunden: ein Kaffeevollautomat, gefälschte Turnschuhe, ein Gemälde. Außerdem leiteten die Ermittler eine umfangreiche technische Überwachung in die Wege: Da wurden monatelang Telefone abgehört, Autos verwanzt, Bewegungsprofile erstellt.

Vor allem die Anwälte von Hadi Z., dem jüngeren Bruder, finden die Art und Weise wie hier Beweismittel erlangt wurden, fragwürdig. Das Gericht hält sie aber für zulässig, weil sie ja nur Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen waren. „Es kann doch nicht sein, dass hier rechtsstaatliche Prinzipien einfach ausgehebelt werden“, sagt Arabella Pooth. Die Anwältin aus Dortmund hat Erfahrung mit Clanverfahren.

Der emeritierte Kriminologie-Professor Thomas Feltes, Pflichtverteidiger von Hadi Z., kritisiert den Begriff der Clankriminalität schon lange. Auch Hadi Z. sei ein Beispiel dafür, wie jemand aufgrund seines Nachnamens unter die Räder gerät, glaubt er. „Natürlich hat der Straftaten begangen, aber das ist ein intelligenter, zugewandter junger Mann – der könnte auch andere Wege gehen. Dieses Vorgehen ist doch vollkommen unverhältnismäßig und führt dazu, dass er das Bild des Clantäters letztlich dann auch annimmt.“

Feltes ärgert, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, und auch, dass entlastende Beweise nicht berücksichtigt wurden: Obwohl seine Handydaten zeigen, dass Hadi Z. nicht am Tatort war, wird er zusammen mit den anderen für einen Raub in Braunschweig angeklagt. Außerdem wurden mindestens zwei Einbrüche praktisch unter den Augen der Ermittler begangen, die das aber nicht verhindert haben.

Demonstrative Härte zeigt der Staat jedenfalls nur gegenüber den Gebrüdern Z. – nicht gegen die Komplizen. Osman und Hadi Z. werden in getrennten Haftanstalten untergebracht, sitzen monatelang in Einzelhaft. Die Beschwerden der Anwälte darüber werden als taktische Spielchen abgetan. Die Anwälte beklagen außerdem, dass ihnen die Akten zu spät und unvollständig zugehen. Sie werden das Gefühl nicht los, dass man versucht, sie über den wahren Umfang der Ermittlungen im Unklaren zu lassen.

Wie bei einem Terrorprozess

Ihre Fragen nach Anzahl der Ermittler oder der Dauer von Überwachungsmaßnahmen bleiben unbeantwortet. Vor den Türen des Gerichtssaals filzt ein Polizeiaufgebot jeden Besucher, als ginge es um einen Terrorprozess. Es sei doch klar, meint Feltes, dass die Familie all dies als Krieg gegen sich empfinden müsse – und daher die Reihen erst recht schließe.

Allerdings gönnen sich auch die Geschwister Z. immer wieder kleine Respektlosigkeiten gegenüber dem Gericht: Mal lümmelt ein älterer Bruder demonstrativ in den Zuschauerbänken herum, dann stöckelt die Schwester bei der Urteilsverkündung laut durch den Saal. Einen der Einbrüche unternahm Hadi Z. in der Nacht unmittelbar vor einer anderen Gerichtsverhandlung, hält ihm die Richterin vor. Die Frage ist, ob irgendjemand diese Eskalationsspirale der Respektlosigkeiten gewinnen kann. Das zähe juristische Gemetzel ist jedenfalls nicht zu Ende: Die Anwälte wollen in Revision gehen.

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