: Den Traumata so rasch wie möglich begegnen
Teams der anthroposophischen Notfallpädagogik helfen Kindern und Eltern in und aus der Ukraine
Seine Stimme ist heiser. Vom vielen Reden. Vom vielen Organisieren in diesen Tagen des Krieges in Europa. Doch ist Bernd Ruf, Chef der Notfallpädagogik unter dem Dach der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e. V., keinesfalls hilflos oder gar kopflos. „Ich war in den letzten 17 Jahren in mehr als 100 Katastrophengebieten involviert. Diese schlimmen Erfahrungen geben mir, auch wenn es paradox klingen mag, Kraft und große Motivation, jetzt, in der größten Not in der Ukraine, nicht in Ohnmacht zu erstarren, sondern konkret zu helfen, das Leid vor allem der Kinder zu mindern.“
Eines seiner kleinen Teams ist derweil schon, über die polnische Grenze kommend, in der Ukraine unterwegs, um mit notfallpädagogischem Instrumentarium vor allem Kinder, die durch Mord, Bomben, Explosionen in den letzten Wochen traumatisiert worden sind, akut zu betreuen. Mit den seelisch erlittenen Wunden sei es letztlich so wie mit den physischen. Je schneller Menschen notfallmedizinisch betreut werden, desto größer sei am Ende auch die Heilungschance. Mit anderen Worten: Die Wunden können dann auch wirklich vernarben. „Wir haben bei der Psyche etwas mehr Zeit, vielleicht sogar einige Monate. Doch je früher wir den Traumata professionell begegnen, desto größer sind auch die Chancen, dass betroffene Kinder und Jugendliche sie verarbeiten können und es bei ihnen nicht zu Langzeitschäden kommt“, sagt Ruf.
Die Organisation „Notfallpädagogik ohne Grenzen“, die sich weitestgehend politischen Bewertungen entzieht und sich ganz auf ihre humanitäre Arbeit konzentriert, rechnet mit einer gewaltigen Flüchtlingsbewegung. Dabei gibt es seitens der Notfallpädagogen drei Einsatzebenen: Zum einen vor Ort, in der Ukraine, wo der Krieg tobt. Dann die Transitländer und schließlich die Ankunftsländer, zu denen eben auch Deutschland und andere gehören. Dafür braucht es viele geschulte Notfallpädagogen. Ruf spricht von 400 Mitarbeitern, die in der nächsten Zeit ausgebildet werden. Sie sollen die aus der Ukraine geflohenen Eltern und Kinder in ihren Notunterkünften in Deutschland, in Polen und anderswo betreuen. „Es haben sich viele Lehrer, Studenten und andere Freiwillige bei uns gemeldet, die helfen wollen“, freut sich Ruf über große Resonanz. Dierk Jensen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen