: Wanderung durchs Hartz-Biotop
Aktion „Agenturschluss“ geht spazieren: Kölner Hartz-Gegner auf Überraschungsbesuch beim Internationalen Bund, einem Träger, der Ein-Euro-Jobber mit Basteln beschäftigt
KÖLN taz ■ Ein Spaziergang sieht anders aus. Zwar sagt einer von ihnen, dass er die Natur liebe und sie laufend gerne bewundere. Die neun Menschen vor dem Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ in Ehrenfeld sind aber nicht gekommen, um zu genießen. Sie wollen aktiv werden. Sie wollen protestieren gegen etwas, das für sie Zwangsarbeit bedeutet. Die Ein-Euro-Jobs sind ihnen ein Dorn im Auge. Der Zwang, dem die Betroffenen von Hartz IV unterliegen, stört sie ebenso wie die Bereicherung, die Unternehmen ihrer Meinung nach aus dieser Maßnahme ziehen. Seit etwa einem Monat spazieren sie regelmäßig.
Gerade wird ein Schlachtplan ausgeheckt. Ziel ist heute die Verwaltungsbehörde des Internationalen Bundes (IB). Die bundesweite Einrichtung, die auch eine Niederlassung in Köln betreibt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei ihrer beruflichen wie persönlichen Lebensplanung zur Seite zu stehen. „Lasst uns sehen, wie sich die Leute an den Ein-Euro-Jobs bereichern“, sagt einer. „Wir müssen recherchieren, ob die Jugendlichen ihre Arbeit dort freiwillig machen“, wirft ein anderer ein. Unter 25 Jahre alte Arbeitslose sollen dort nach Recherche von „Agenturschluss“, wie sich die Gruppe nennt, Monitore zerlegen und dafür zwischen 70 Cent und 1,50 Euro pro Stunde erhalten.
„Wir befürchten, dass reguläre Arbeitsplätze durch die Ein-Euro-Jobs eingespart werden. Außerdem zweifeln wir daran, dass der Zwang zu einem Ein-Euro-Job dazu führt, dass der Betroffene eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt findet“, sagt der 37 Jahre alte Jens, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte.
Gudrun Kirch, in der Projektleitung des IB, und Aloysia Rasch, Koordinatorin für das Projekt „Sprungbrett 2005“, das unter 25 Jahre alte Erwerbslose betreut, reagieren angespannt-freundlich auf die Gruppe. Die steht zunächst fast ein wenig schüchtern im Eingangsbereich des Verwaltungsgebäudes an der Rolshover Straße in Kalk. Doch Rasch ist zuvorkommend, lädt die „Kontrollkommission“, wie man sich vorgestellt hat, zu einem Gespräch ein. Bei den meisten Fragen der neun Eindringlinge schüttelt sie allerdings entsetzt den Kopf. Wie eine indignierte ältere Dame, die auf einer Punker-Party gelandet ist.
„Sie denunzieren“, wirft eine Frau Gudrun Kirch vor. Diese gibt zwar zu, dass in den Berichten über jeden Ein-Euro-Jobber auch Fehlzeiten oder unpünktlicher Arbeitsbeginn vermerkt werden. Und dass auf dieser Grundlage die Mehraufwandsentschädigung schon mal gekürzt wird. Kirch nennt das aber lediglich „dokumentieren“.
Was der Kontrollkommission außerdem negativ aufstößt, ist Kirchs Rede von verschiedenen „Lohngruppen“. Je nach Leistungsfähigkeit, erklärt sie, erhalten die Arbeitslosengeld-II-Empfänger 70 Cent bis 1,50 Euro in der Stunde. Da es sich nach Meinung von Agenturschluss aber um eine Aufwandsentschädigung handle, könne die nicht abhängig sein vom Qualifikationsgrad der Teilnehmer.
Jens hat sich derweil zu den jungen Monitorbastlern im Erdgeschoss gesellt. Er möchte Beschwerden hören, möchte die jungen Leute in blauen Arbeitshosen aufrütteln – und dass sie seine Vermutungen bestätigen. Allerdings sagt keiner, dass ihm neben der Arbeit beim IB keine Zeit zum Bewerbungsschreiben bleibt, dass seine Lage eine nicht hinnehmbare sei. Die meisten finden die Arbeit, so sinnlos sie scheint, „besser als nichts“. Den Flyer, auf welchem die Rechte Hartz-IV-Betroffener aufgeführt sind und eine Adresse, an die man sich wenden kann, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, weist ein 20 Jahre alter Bastler zurück. „Sowas brauch‘ ich nicht. Ich will sowieso raus aus diesem Land. Ich will auswandern.“ CLAUDIA LEHNEN
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