Friseurin ist Erfinderin: Sie war nie zweite Garnitur
Mit der „Traumrolle“ ist Margot Schmitt vor vielen Jahren zur Unternehmerin geworden. Heute ist sie 84 – und ihre Arbeitslust ungebrochen.
Weil Kartoffel, Ei und Margarine nicht satt machen, legt Margot Schmitt sich ins Zeug, bei dem, was sie darf. Je leerer der Magen, desto hingebungsvoller massiert sie die Köpfe. Wenn die Frauen vor Wonne die Augen verdrehen, weiß Schmitt, dass sie das Kleingeld für ein Stück Kuchen aus der Bäckerei nebenan zusammenhat. Und lernt ganz nebenbei, dass sich echte Zuwendung verkaufen lässt.
Eigentlich wollte sie Floristin werden, Blumen sind ihre erste Liebe. Doch den Beruf gab es damals noch nicht, Gärtnerin hieß das, und da säße sie doch den ganzen Tag draußen, sagte die Mutter, mache sich die Finger schmutzig, bekäme Falten und raue Hände. Was, wenn sie dann mal einen Mann streichle?
Also fuhr die Mutter mit ihrer jüngsten Tochter zum Rudolfplatz und vereinbarte eine Lehrstelle im angesehensten Salon Kölns. „Früher hat man noch nicht gesagt: Was hat das Kind für Talente?“, sagt Margot Schmitt. „Da hat man gesagt: Wie sieht sie aus? Ist sie schön gekämmt, ist ihre Kleidung ordentlich gebügelt?“
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Schmitt ist heute 84 Jahre alt, sie sitzt an einem großen Konferenztisch in ihrer Firma bei Herford in Ostwestfalen. Neben ihr die langjährige Assistentin Anke Goesling, vor ihr Platten mit belegten Häppchen, eine Schale Obst. Der grummelnde Magen ist schon lange nicht mehr ihr Antrieb, es sind die Ideen, die nicht aufhören wollen zu sprudeln, und die schönen Haare der schönen Frauen, die einfach „zu ihr sprechen“.
Schmitt ist reich geworden mit einer Erfindung, die das Frisieren zu Hause erleichtert, und vielen, vielen Haarpflegeprodukten. Seit einigen Jahren fragt sie sich, was der beste Zeitpunkt ist, aufzuhören. Und wo eigentlich das Problem ist, wenn der einfach nicht kommt.
Damals im Salon am Rudolfplatz beginnt sie nicht nur, Köpfe zu massieren, als hinge ihr Leben davon ab, sie denkt sich auch Gesichtsmasken und Haarkuren aus, mischt Eigelb mit Olivenöl, und bepinselt die Gesichter der unter der Haube verharrenden Frauen. Sie hinterfragt die Anwendungsanweisungen der Produkte, die sie dort benutzen, lässt Tinkturen länger einwirken, knetet Kuren fester ein.
Mit neuen Ideen punkten
Während sie das erzählt, macht sie die passenden Gesten: Geht es um besonders schöne Haare, schmiegt sie eine imaginäre Strähne an ihre Wange.
Als der „Erste Friseur“, dem sie bisher immer nur hinterherlaufen durfte, im Urlaub ist, übernimmt sie eine seiner wichtigsten Kundinnen: Madame Irigoyen, die Frau des argentinischen Botschafters. „Früher frisierte man nur nach der Mode, nicht nach dem Gesicht“, sagt Margot Schmitt.
Sie schlägt Madame Irigoyen mal was ganz anderes vor, nicht wie sonst in Marmor gemeißelt, sondern stufig mit dem Messer geschnitten. Madame Irigoyen ist begeistert, der Erste Friseur nach seiner Rückkehr erzürnt: Seine Kundin fragt jetzt immer nach Fräulein Margot.
Schmitt wird selbstbewusster und merkt, dass sie mehr Wertschätzung verdient hat, als sie je von ihren Vorgesetzten bekommen würde. Sie ist noch nicht lange Gesellin, da meldet sie sich mit 21 Jahren für die Meisterprüfung an.
Die jüngste Friseurmeisterin
Bei der IHK in Bielefeld sind sie skeptisch, schauen ganz genau hin, wie das junge Fräulein papilottiert, onduliert, effiliert und toupiert. Sie besteht, obwohl ihre Knie so sehr schlotterten, dass sie sich hinsetzen musste. Die Hände blieben ruhig. Sie ist jetzt jüngste Meisterin Deutschlands.
Die Familie hatte ihr das nicht zugetraut, dort war sie die „Träumerin“, ständig woanders mit den Gedanken. „Meine Schwester, die war schöner und kesser, die hatte immer die erste Garnitur“, sagt Margot Schmitt. „Bei mir hieß es dann oft, ach Margot, was weißt du denn schon.“
Margot SchmittFriseurin, Erfinderin
Dass sie sich so früh schon zur Meisterprüfung anmeldet, hat auch mit dem Gefühl zu tun, sich immerzu beweisen zu müssen. In der Welt, innerhalb der Familie und dort, wo sie aufwächst.
Nach dem Krieg war sie mit den Eltern und den beiden Geschwistern von Oberschlesien ins Rheinland geflohen. In ihrer Heimat waren sie wer gewesen, im Rheinland sind sie „Pimocken“, „Dahergelaufene“ aus Polen, sie seien angeschaut worden, als hätten sie „die Nase auf dem Rücken“.
Respekt verschaffen
Eine Schulfreundin, bei der sie manchmal zum Suppe-Essen vorbeikommt, beleidigt sie auf dem Nachhauseweg völlig unvermittelt wegen ihrer Herkunft. Schmitt reißt ihr daraufhin ein Büschel Haare aus. Ausgerechnet. Ab da ist sie die, mit der man sich besser nicht anlegt. Die, die Haare ausreißt. Der schlechte Ruf bleibt noch ein bisschen, Respekt verschafft hat sie sich trotzdem.
Kurz nach der bestandenen Meisterprüfung lernt sie ihren Mann kennen, Landwirt und Bürgermeister. Sie zieht auf seinen Vierkanthof in Weilerswist zwischen Köln und der Eifel und macht dort ihren eigenen Salon auf. Sie bekommt Zwillinge, zwei Mädchen, später einen Sohn.
Die Selbstständigkeit ist ihr wichtig, sie will von niemandem abhängig sein, ganz besonders nicht von einem Mann. Wo das herkommt? „Das ist einfach mein Charakter, das sitzt tief drin“, sagt sie und legt ihre Hand auf die Brust.
Diese Eigenständigkeit wünsche sie sich auch für ihre Kundinnen: generell im Leben und ganz besonders, wenn es um die Schönheit geht. Sie habe in der Ausbildung gelernt, die Frauen von sich abhängig zu machen. Sie mit immer neuen Frisiertechniken und Produkten zu locken und ihnen das Gefühl zu geben, zu Hause unmöglich nachmachen zu können, was der Friseur da mit ihren Haaren tut. „Dazu kommt, dass die deutsche Frau immer schon sehr sparsam war mit ihren Frisuren“, sagt Margot Schmitt. „Wenn’s alleine nicht klappt, einfach Haargummi rein, fertig.“
Sie entwickelt eine Rundbürste mit abnehmbarem Stiel zur Anwendung im trockenen Haar. Weniger friemelig als Lockenwickler und praktischer, als sich mit einer einzelnen Rundbürste die Frisur zurechtzuföhnen. Die Idee stellt sie einem Werkzeugmacher vor, der Kunde in ihrem Salon ist. Er entwirft mit ihr einen Businessplan, 50.000 Mark brauche sie, um damit in Serie zu gehen.
Nur etwa sechs Prozent der Patente von Frauen
Ihr Mann schüttelt nur den Kopf darüber, davon könne er sich zwei Traktoren kaufen. Also geht Margot zur Bank, fragt nach einem Darlehen. „Die wollten wissen, ob mein Mann da die Hand drüberhält“, sagt sie. „Und dann hab ich gesagt, nein, tut er nicht, das ist ganz allein meine Sache.“
Margot Schmitt wird im Laufe der nächsten Jahrzehnte 30 Millionen Stück ihrer Erfindung verkaufen. Dass er sie anfangs nicht unterstützen wollte, will Fritz Schmitt irgendwann nicht mehr gewusst haben.
Sie wird eine Firma gründen und sich die Rolle patentieren lassen. Dass Frauen Patente anmelden, war früher sehr ungewöhnlich und ist bis heute selten. Im Schnitt kommen in Deutschland jährlich nur etwa sechs Prozent der geschützten Erfindungen von Frauen.
Bis es so weit ist, versucht Margot Schmitt ihre „Traumrolle“ über große Unternehmen zu vertreiben, wird bei Avon in München vorstellig, einer führenden Kosmetikfirma damals. Dort muss sie 14 Einkäuferinnen überzeugen, denen sie allesamt die Haare macht. 200.000 Stück nehmen die ihr ab.
Viel wichtiger aber wird der Verkaufssender QVC, der 1996 in Düsseldorf auf Sendung geht. Schmitt ist da über 50, die Programmverantwortlichen wollen sie erst gar nicht vor die Kameras lassen. „Also habe ich die Einkäuferin wieder selbst eingedreht“, sagt sie, darf sich dann doch vor Livepublikum beweisen und verkauft in den ersten fünf Minuten 50 Traumrollen. Seit 25 Jahren hat sie einen festen Sendeplatz.
Pionierin auch im Verkaufssender
Jedes Mal bevor sie auf Sendung geht, spricht sie mit ihrem Sohn und bestellt bei ihm da oben, sie schaut zum Himmel, „mal einen anderen Ton, mal eine andere Formulierung und dass ich fit bin im Kopf“, sagt sie. Friedrich Schmitt starb mit 17 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Sie reden täglich miteinander, Margot Schmitt spürt seine Anwesenheit im alten Gemäuer des Hofs. Und auch die ihres Mannes und die der vielen, vielen Schmitt-Vorfahren, die in den Gebäuden mal zu Hause waren. Wenn sie dann im Ruhestand sei, freue sie sich auf die Geister im Haus, sie geben ihr Inspiration.
Nach dem Tod ihres Mannes hat sie den Hof neu gestalten lassen, endlich Blumen, überall. „Frau Schmitt sagt immer, in einem halben Jahr hör ich auf“, sagt Anke Goesling, die Assistentin. „Aber irgendwie hört das halbe Jahr nie auf.“
Gerade arbeiten sie an einer Pflegeproduktlinie für Hunde, so viele ihrer Kundinnen bei QVC hätten darum gebeten. Gleich hat Schmitt ein Fotoshooting mit einem Dackel. Nach den Hunden wolle sie’s dann aber „voraussichtlich“ beenden. Voraussichtlich eben.
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