Mit Kindern über Krieg sprechen: „Auf Augenhöhe begegnen“
Die Situation in der Ukraine beschäftigt auch die Kleinsten. Wie man altersgerecht über Krieg spricht, erklärt Romy Geiger von den Kindernachrichten beim ZDF.
taz: Frau Geiger, wie erklärt man einem Kind, was ein Krieg ist?
Romy Geiger: Man sollte die Kinder nicht anlügen. Viel wichtiger ist, wie man die Wahrheit beschreibt. Wenn man Krieg erklärt, dann sagt man natürlich auch, dass Menschen gegeneinander kämpfen und sterben. Viele Kinder haben Angst davor, dass der Krieg nach Deutschland kommt, dass ein Weltkrieg ausbricht oder dass ihnen etwas passiert. Man sollte ihre Sorgen ernst nehmen und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Wir als Kindernachrichtenredaktion versuchen aber immer, mit einem positiven Ausblick aus dem Thema rauszugehen. Zum Beispiel erzählen wir dann, dass es Menschen gibt, die sich für Hilfe einsetzen. So wollen wir auch in schlimmsten Sachlagen Hoffnung geben.
Worauf achten Sie in Ihrer Berichterstattung zum Krieg besonders?
Kinder haben nur eine begrenzte Fähigkeit, Informationen aufzunehmen. Irgendwann sind sie gesättigt und überfordert. Wir achten darauf, dass wir die richtige Dosis an Informationen vermitteln und häppchenweise auf konkrete Fragen Antworten geben. Außerdem schauen wir darauf, was die Kinder für ein Vorwissen haben. Woran können wir anknüpfen? Da müssen wir viel Grundlegendes erklären und einordnen. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Kinder wissen, was die Nato ist.
Romy Geiger ist Redakteurin bei „logo!“, den Kindernachrichten vom ZDF. Täglich werden dort Weltgeschehnisse verständlich für Kinder erklärt.
Besteht eine Verpflichtung, Kinder über das Weltgeschehen zu informieren?
Das liegt am Ende natürlich immer bei den Eltern. Wir bei „logo!“ glauben, dass unsere Zielgruppe, also Kinder im Alter von 8–12 Jahren und auch jüngere Kinder, ohnehin mitbekommt, dass gerade Krieg in der Ukraine ist. Die haben ja oft auch eigenen Zugang zum Internet. Das können Eltern nicht vollständig kontrollieren, selbst wenn sie das wollten. Das Informationsbedürfnis ist also da. Jedes Kind ist von Natur aus neugierig und will wissen, was da passiert.
Gerade schreckliche Nachrichten sollten wir dann einordnen: Was genau geschieht da und was bedeutet das konkret für die Kinder selbst? Wir empfehlen immer, dass Eltern gerade in solchen Situationen Nachrichten mit ihren Kindern schauen und die Fragen der Kinder beantworten. Denn es wird garantiert Fragen geben. Dabei können Eltern beobachten, wie ihre Kinder das aufnehmen und wie sie reagieren.
Bilder können ein gutes Mittel sein, um Inhalte leicht zugänglich zu machen. Im Falle eines Krieges entstehen aber auch sehr grausame Bilder. Wie viel kann man Kindern zumuten?
Gerade beim Medium Fernsehen werden die Hauptbotschaften über Bilder vermittelt. Umso sensibler müssen wir dann mit der Auswahl der Bilder umgehen. Wir nehmen das sehr ernst, weil wir wissen, wie wahnsinnig empathisch Kinder sind. Für sie ist es noch schrecklicher als für uns Erwachsene, das Leid anderer zu sehen. Wir prüfen jedes Bild und Video sehr genau darauf, ob es noch im Bereich des Erträglichen ist. Niemals würden wir jemanden zeigen, der eine blutige Wunde hat und vor Schmerzen schreit.
Da sagen wir: Das ist zu heftig, das können wir den Kindern nicht zumuten. Wenn sie das sehen, fühlen sie sich nur ohnmächtig und hilflos. Dieselbe Botschaft kann man auch mit anderen Bildern darstellen, etwa mit einem Krankenwagen oder einem Verwundeten, der bereits versorgt ist. Außerdem achten wir auf die Bilder, die bei den Kindern im Kopf entstehen. Kinder haben eine riesige Fantasie. Deswegen wählen wir unsere Formulierungen sehr behutsam.
Immer wieder interviewen Kamerateams an der Grenze zur Ukraine auch Kinder, die gerade auf der Flucht sind. Ist das aus Ihrer Sicht in Ordnung?
Es ist wichtig, auch die Erfahrung der Kinder zu zeigen. Und auch da konkret zu schauen: Wie erleben sie die Flucht? Die Sichtbarkeit zu erhöhen, ist prinzipiell erst mal gut. Aber natürlich sollte das immer in einem Rahmen geschehen, in dem die Kinder nicht vorgeführt werden, sich unwohl fühlen oder für irgendwas herhalten müssen. Es geht dabei immer um das „Wie“.
Wir würden mit Sicherheit keine Drei- oder Vierjährigen befragen, sondern eher Zehn- bis Zwölfjährige. Diese Kinder würden wir dann auch nicht nach Russlands Präsident Putin oder ihrer politischen Einschätzung fragen. Im Fokus stehen vielmehr ihre persönlichen Erfahrungen und wie es ihnen geht. Das können Kinder in so einer Situation sehr wohl beantworten. Und es ist auch wichtig, das zu hören.
Wo liegt die Grenze, ab der ein Interview mit einem Kind nicht mehr gesendet wird?
Wenn das gezeigte Kind völlig verstört und apathisch ist. Wenn man denkt: Dieses Kind braucht eigentlich Zuwendung und nicht eine Kamera, die es weiter verschreckt. Einer solchen Situation wollen wir das Kind nicht aussetzen.
Wird der Schrecken eines Krieges für zuschauende Kinder greifbarer, wenn man betroffene Kinder dazu interviewt?
Ja, das ist sicherlich so. Ein Problem, das wir als Kindernachrichtenredaktion immer haben, ist, dass alles so wahnsinnig kompliziert und abstrakt ist. Aber je konkreter die Aussagen, desto einfacher können Kinder sie nachvollziehen. Wenn ein Kind vor der Kamera davon erzählt, dass es seit zwei Tagen Angst hat, dass es Panzer gesehen und nicht viel gegessen hat, dass es völlig erledigt und müde ist – dann ist das eine sehr konkrete Beschreibung von einem Kind in Kindersprache, die zuschauende Kinder sehr gut nachvollziehen können.
Insofern machen wir den Krieg in dem Moment durch die Kinderstimmen nahbarer. Im Fokus steht für uns dann die Frage: Wie geht es den Kindern in anderen Ländern? Das ist eine Frage, die Kinder ab einem bestimmten Alter stark interessiert. Sie wollen auch Anteil daran nehmen. Und das geht eben nur, wenn sie informiert sind. Viele Kinder werden dann selbst aktiv. Sie malen ukrainische Flaggen und kleben diese in ihr Fenster. Viele Schulen fangen außerdem an, mit den Kindern Projekte dazu zu machen. Die Kinder berührt die ganze Situation und sie wollen etwas unternehmen. Natürlich ist das nur symbolisch. Aber es hilft beim Verarbeiten.
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