gutes vorbild: Revolution von oben: Die Stadt Kiel ermuntert zum müllfreien Leben
Während sich in Berlin und Hamburg Aktivistinnen der Gruppe „Letzte Generation“ auf dem Asphalt festkleben, um mit Straßenblockaden gegen Lebensmittelverschwendung zu protestieren, zieht Marie Delaperrière in Kiel ein positives Fazit: „Es kann natürlich alles immer schneller gehen, aber wir sind ganz happy, dass es angefangen hat.“ Gemeint sind die Pläne der Stadt Kiel, als erster Ort in Deutschland müllneutral zu werden. Delaperrière, die vor acht Jahren Deutschlands ersten Unverpackt-Laden in Kiel gegründet hat und noch heute betreibt, ist daran maßgeblich beteiligt.
„Zero Waste Kiel e. V.“ heißt der Verein, den Delaperrière mit einigen Mitstreiter*innen 2016 gründete. Der Verein entwickelte ein Konzept, das die Mitglieder 2017 der Verwaltung vorstellten. Zum Anlass nahm die Initiative die damals begonnene Städtepartnerschaft zwischen Kiel und San Francisco, das ebenfalls Zero Waste City ist.
2018 beschloss die Kieler Ratsversammlung einstimmig, sich für Müllverzicht einzusetzen. Ende 2019 folgte ein Konzept, das nun schrittweise umgesetzt werden soll. Bis 2035 will die Landeshauptstadt die Restmüllmenge halbieren und die Gesamtabfallmenge um 15 Prozent senken. Kiel hat sich als erste deutsche Stadt dem Zero-Waste-Europe-Netzwerk angeschlossen und ist seit Mai 2021 zertifizierte „Zero Waste Candidate City“.
Der Weg zum Müllverzicht besteht aus vielen kleinen Schritten.Dazu zählt das Projekt, das die Stadt gerade gestartet hat: 200 Euro erhalten Eltern, die ihre Babys in Stoff- statt Einwegwindeln stecken wollen. Bei rund 6.000 Windeln, die im Schnitt verbraucht werden, könne pro Kind rund eine Tonne Abfall gespart werden, rechnet das Umweltamt vor. Auch wenn das Waschen voller Windeln nicht lustig ist – generell sei das Ziel, „mit Spaß Abfälle zu reduzieren“, denn „Kleidung weitergeben, kaputte Elektrogeräte reparieren, Putzmittel selber herstellen oder aus Resten etwas Neues zaubern, all das kann Freude bringen“, erklärt die Stadt auf ihrer Homepage.
Und die Lebensmittelverschwendung ist auch in Kiel ein Thema: Die Stadt ist der Initiative „Städte gegen Food Waste“ beigetreten und setzt dabei auf Mitmach-Konzepte: Wer mag, kann ein Reste-Rezept einreichen, das dann als gutes Beispiel auf der städtischen Homepage veröffentlicht wird. Auch für ein Foodsharing-Konzept setzt die Stadt sich ein, darüber hinaus gibt es Tipps zum Einkaufen und Lagern von Lebensmitteln.
Generell könnte die Werbung für die Zero-Waste-Idee aber „noch lauter sein“, wünscht sich die Vereinsvorsitzende Delaperrière. „Einige wissen ein bisschen, andere sind ganz erstaunt: Ach, so etwas existiert?“
Aber die gebürtige Französin weiß: „Im Norden ist man ein wenig scheu und zeigt sich nicht so stark mit solchen Projekten.“
Ihr eigener Ansatz passt ganz gut dazu: Anders als die Mitglieder der „Letzten Generation“, die auf Blockaden und publikumswirksame Aktionen auf der Straße setzen, sei sie eher eine „strategische Aktivistin“, sagt Delaperrière: „Ich gucke, wer zuständig ist, und klopfe an die richtigen Türen.“ Der von ihr mitgegründete Verein ist inzwischen vom Land Schleswig-Holstein als Umweltvereinigung anerkannt.
Esther Geißlinger
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