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Theaterstück „Der Hannibal-Komplex“Der infiltrierte Staat

Das Nö-Theater rollt im Hamburger Polittbüro den Fall des rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A. auf. Die Grundlage sind Originaltexte.

Erst kommt die Wüstenuniform, dann die Propaganda: Performerinnen im Stück „Der Hannibal-Komplex“ Foto: Klaudius Dziuk/Nö-Theater

Adiletten sind Pflicht. Khakihose auch. Und Socken in Schwarz, in Rot und in Gelb müssen sein. Die Schauspielerinnen Asta Nechajute, Julia Knorst, und Anne K. Müller geben den deutschen Militär-Michel des 21. Jahrhunderts als Gemütsterroristen.

Der verbale Frontverlauf bleibt zunächst allerdings unklar. Zwischen rechts und Recht liegt nur ein Buchstabe und wer „uns“ und „die“ sind, hängt ganz von Standpunkt ab. Bedeutungen geraten ins Trudeln, bis die Ambivalenz kaum noch zu überschauen ist. Dann rollt das Nö-Theater den Fall des Bundeswehrsoldaten Franco A. und seiner Beziehungen zum „Hannibal“-Netzwerk des früheren KSK-Soldaten André S. auf.

Das Nö-Theater, das jetzt mit seinem Stück „Der Hannibal-Komplex“ im Hamburger Polittbüro gastiert, gilt in der Kölner Theaterszene als das derzeit vielleicht politischste Ensemble. Die 2009 gegründete freie Gruppe setzte gleich mit seiner zweiten Produktion „Der Vorgang Oury Jalloh“ die inhaltlichen und ästhetischen Koordinaten seiner Theaterarbeit. Die Produktion verhandelte den Tod des Asylsuchenden Oury Jalloh 2005 in einer Zelle der Dessauer Polizei. Anlass für die Auseinandersetzung auf der Bühne bot ein Urteil des Bundesgerichtshofs im Januar 2010, das den Freispruch eines Polizeibeamten aufhob.

Seitdem kreisen die Stücke des Nö Theaters beharrlich um Themen wie Rassismus, Polizeigewalt, Rechtsradikalismus, Militarismus, Proteste gegen G-7-Gipfel oder die AfD. Ungewöhnlich dabei ist, dass sich das Politische des Nö-Theaters bis in die Gruppenstruktur selbst verfolgen lässt: Nucleus der Gruppe waren zwar ursprünglich Felix Hoefner, Asta Nechajute sowie Janosch Roloff, der häufig für die Textfassungen und die Regie verantwortlich ist. Inzwischen umfasst die Gruppe etwa zehn gleichberechtigte Schauspieler:innen, die Produktion und Organisation der Stücke gemeinsam stemmen – eine basisdemokratische Organisationsform, die aber mit der inzwischen erreichten Professionalität an ihre Grenzen stößt.

Die strikte Orientierung der Stücke an politischer Aktualität hängt eng mit dem dokumentarischen Zugriff auf Stoffe zusammen, der den Kern der „Nö-Ästhetik“ bildet. So hat die Gruppe den Prozess gegen den früheren Bundeswehroffizier Franco A. verfolgt, der sich eine Doppelidentität als syrischer Flüchtling zulegte. Sie haben Interviews mit Afghanistan-Veteranen, mit A.s Stu­di­en­kol­le­g:in­nen und Ex­per­t:in­nen geführt, literarische und journalistische Quellen sowie rechtes Propaganda-Material ausgewertet. Vier Fünftel der „Hannibal“-Texte sind also Originaltexte.

„Der Hannibal-Komplex“ (Text und Inszenierung: Asim Obodašić) setzt denn auch mit einem Verhör von Franco A. ein. Julia Knorst mit Offiziersjacke gibt einen naiv-leutseligen Angeklagten, der die Fragen der mit Preußenbärten, Strick- und Lederjacke ausstaffierten Polizisten oder Staatsanwälte locker kontert – oder ins Leere laufen lässt.

In dieser Szene zeigt sich ein weiteres typisches Stilmittel des Nö-Theaters: Die Ironie, die gelegentlich auch die Farce streift und inhaltlich als Abwehrzauber des Unglaublichen sowie als Strategie der Entlarvung funktioniert. Wie die Po­li­zis­t:in­nen und Staats­an­wäl­t:in­nen in der Szene ihre Aufgabe verfehlen, lässt sich kaum noch mit Naivität, sondern eher mit Vorsatz begründen. Mit dieser Verbindung von Humor und Recherche gelingt dem Nö-Theater das Kunststück eines ironisch-dokumentarischen Agit-Prop-Theaters, das an Traditionen eines ­Augusto Boal oder des Agit-Prop der 1920er-Jahre anknüpft.

Das Performerinnen-Trio nimmt kurz die Prepper-Szene, also die Menschen, die sich auf einen Zusammenbruch des Staates vorbereiten, in den Blick und widmet sich dann André S.s (Tarnname: Hannibal) Netzwerk „Uniter“, das als Sammelbecken für Polizisten, Elitesoldaten und Personenschützer dient. Asta Nechajute, Julia Knorst, und Anne K. Müller werfen sich in Wüstenuniformen, ziehen Stacheldraht über die Bühne und fuchteln kräftig mit Waffen herum. Dabei zitieren die drei sarkastisch aus einem Werbevideo von Uniter und legen damit dessen Strategien als rechtes Propagandanetzwerk offen. Gleichzeitig wird der frauenfeindliche und toxische Maskulinismus der Rechten gnadenlos durch den Kakao gezogen.

Dabei belässt es das Nö-Theater allerdings nicht, sondern enthüllt die Verbindungen von Uniter, nicht nur ins Umfeld des Bundeswehrsoldaten Franco A., zur rechtsradikalen Chatgruppe „Nordkreuz“ oder zum NSU, sondern auch zur Bundeswehr, dem Bundeskriminalamt, dem Militärischen Abschirmdienst und dem Verfassungsschutz. So arbeitete einer der Gründer von Uniter für den Verfassungsschutz. Der Übergang zwischen rechtsterroristischen Gruppen und staatlichen Strukturen wird fließend – genau darin liegt das Ungeheuerliche.

Plötzlich gewinnt die zu Beginn der Aufführung zelebrierte Verflüssigung von Begriffsbedeutungen einen zusätzlichen Sinn. Sie verliert ihre spielerische Manier und konkretisiert sich im Politischen selbst. Staatsbeamter und Terrorist können in einer Person zusammenfallen. Die Camouflage des Bundeswehrsoldaten Franco A. als anerkannter Asylbewerber, seine Doppelidentität erscheint als Norm. Damit zerfällt zugleich die bis zum Überdruss breitgetretene These vom Einzeltäter als beschwichtigende Strategie von Justiz und Politik. Selten fühlte man sich derart unterhaltsam und intelligent agitiert wie im „Hannibal Komplex“ des Nö-Theaters.

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