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Kinotipp der WocheDas Damals in Greifweite

Die Filmreihe „Materialität der Erinnerungen“ im Sinema Transtopia zeigt postjugoslawisches Kino mit Ausflügen in die westdeutsche Filmgeschichte.

Deutsch-jugoslawische Koproduktion: „Zeugin aus der Hölle“ von Živorad Mitrović Foto: Cinema Transtopia

Konzentriert sitzen die beiden jungen Männer dicht nebeneinander vor dem Monitor. Ihre vier Hände verteilen sich auf die Tastatur des C64, einer bedient den Nummernblock und die Pfeiltasten, einer den Buchstabenblock, um die beiden Figuren auf dem Bildschirm gegen die anstürmenden Monster des 1980er Jahre Computerspielklassikers „Wizards of Wor“ zu verteidigen.

Ein neues Level ist in Greifweite. Für Momente klingen die extatischen Schreie der beiden wie eine CD mit Sprung. Die Videoaufnahme hat ein Datum eingeblendet: 13.4.1999, 22 Jahre bevor der Film entsteht aus dem diese Szene stammt. Der kroatische Regisseur Ivan Ramljak rekonstruiert in „Once Upon a Youth“ das Leben seines Jugendfreundes Marko, dem jungen Mann neben ihm vor dem Computer.

Marko hat die Jugendzeit nicht überlebt, stirbt an Heroin und Alkohol. Ramljaks Film ist ein intimes Porträt und in vielen Einzelheiten doch auch zugleich das Bild einer Generation von Jugendlicher in Kroatien. Ramljaks Film wird Mitte März die Filmreihe „Materialität der Erinnerungen. (Post-)Jugoslawische Erfahrungen“ beenden, die Borjana Gaković und Madeleine Bernstorff für das Sinema Transtopia zusammen gestellt haben.

Eröffnet wird die Reihe mit Lidija Zelovićs „My Own Private War“. Mit Anfang 20 war Zelović gerade dabei, eine Karriere bei einer lokalen Fernsehstation zu beginnen, als der Krieg Sarajewo erreichte. Jahrzehnte später bekennt die Regisseurin am Anfang ihres Films: „Ich muss den Krieg in meinem Kopf beenden.“

Manierismen der Gegenwart

Der Film entfaltet sich zwischen beeindruckendem Material aus den 1990er Jahren und einigen Eitelkeiten und Manierismen der Gegenwart. In diesem Wechselspiel entsteht ein beeindruckender Rückblick auf das Ankommen in der Zeit nach dem Krieg.

Die Mehrheit der Filme der Reihe sind in den letzten gut zehn Jahren entstanden. Die meisten sind Dokumentarfilme und schlagen in der Erinnerung persönliche Töne an, nicht selten werden Familiengeschichten erzählt. Tiha K. Gudac geht in „Naked Island“ in die 1950er Jahre zurück als die kommunistische Partei Jugoslawiens politisch unliebsame Menschen auf der Insel Goli Otok in Umerziehungslagern internierte.

Unter den Gefangenen war auch der Großvater der Regisseurin. In Olga Kosanovićs Familiengeschichte, die sie in ihrem Film „Genosse Tito, ich erbe“ erzählt, geht es eher um Fragen der Emigration und der Identität. Die Regisseurin ist mit ihrer Mutter in Österreich aufgewachsen. Ausgangspunkt des Films ist ein Besuch bei den Großeltern, die allmählich daran denken, was es bedeuten wird, wenn sie ihr Haus an die Enkel vererben.

Ausflüge in westdeutsche Filmgeschichte

Zwei Mal unternimmt die Reihe einen Ausflug in die westdeutsche Filmgeschichte der 1960er Jahre. Ein Haus in der Potsdamer Straße in Berlin, Mitte der 1960er Jahre noch knapp West-Berlin, kurz vor dem Abriss ist für Irena Vrkljan 1966 Ausgangspunkt für ihren melancholischen Kurzfilm „Widmung für ein Haus“.

Vrkljan, in Belgrad geboren, spürt in dem leerstehenden Haus dem Lauf der Geschichte nach. Vrkljan ist letztes Jahr von 90 Jahren gestorben. Der zweite Ausflug ist „Zeugin aus der Hölle“, den der jugoslawisch-serbische Regisseur Živorad Mitrović fast zeitgleich zu Vrkljan im Auftrag von Artur Brauners CCC-Film und in Koproduktion mit der jugoslawischen Avala-Film in Berlin und Belgrad drehte.

Irene Papas spielt in dem Film die polnische Jüdin Lea Clement. Der deutsche Staatsanwalt Hoffmann und Clements früherer Freund Bora Petrović wollen sie überzeugen, ihr Trauma erneut zu konfrontieren und gegen ihren früheren Peiniger, den KZ-Arzt Dr. Berger auszusagen.

Die deutsch-jugoslawische Koproduktion lief zeitnah zum Frankfurter Auschwitzprozess in deutschen Kinos an. In seiner Mischung aus Kolportage und der Thematisierung des Traumas des Überlebens der sexuellen Gewalt der Konzentrationslager ist „Zeugin aus der Hölle“ bis heute beeindruckend.

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