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Trucker-Proteste in KanadaKnüppel gegen Lkw-Fahrer

Kommentar von Jan Schroeder

Kanadas Premier Trudeau zieht gegen die protestierenden Trucker die Daumenschrauben an. Sie sind aber eine heterogene Bewegung und keine Terroristen.

Hunderte von Lastwagenfahrern protestieren in Ottawa gegen die COVID-19-Beschränkungen Foto: Justin Tang/Canadian Press/AP

D er autoritäre Zug passt so gar nicht zum sonst so verständnisvollen Justin Trudeau. Verbal lassen sich seine Attacken auf die protestierenden Lkw-Fahrer in Kanadas Hauptstadt Ottawa – Trudeau hat die Trucker inzwischen de facto zu „Terroristen“ und „Aufständischen“ erklärt und mit Menschen verglichen, „die Swastikas schwenken“ – kaum weiter steigern.

Die Maßnahmen allerdings schon: Trudeau hat bereits den Notstand ausgerufen, während die Polizei angekündigt hat, das Protestcamp mit Hüpfburgen für Kinder und Grillbuden nötigenfalls mit Gewalt zu räumen. Alle Personen, die sich dort aufhalten, sollen dann festgenommen werden. Zuvor wurde ein Gesetz gegen Terrorfinanzierung ausgeweitet, das ursprünglich erlassen wurde, um die Finanzierung von al-Qaida und anderen Terrorgruppen zu stoppen.

Die Regierung des einstigen Sonnyboys Trudeau kann nun ohne Gerichtsurteil die Konten ihrer Bürger einfrieren und Crowdfunding-Plattformen verbieten. Sicherlich: Die Trucker sind bei der politischen Rechten beliebt, obwohl sie auf ihre politische Offenheit bestehen und das Angebot der Konservativen Partei zur Zusammenarbeit ablehnen.

Sie verstehen sich als Arbeiter, die über ihren Körper selbst bestimmen wollen und nach zwei Jahren genug von den Coronamaßnahmen haben. Wie auch immer man zu diesen Forderungen stehen mag: Die Trucker sind offensichtlich eine heterogene Bewegung, an der auch einzelne linke Gruppen teilnehmen und keine Terroristen.

Linke, die nun den Knüppeleinsatz gegen den selbsternannten Freiheitskonvoi fordern, sollten sich überlegen, was sie sich da wünschen: Dieselbe militarisierte Sprache und ähnliche Maßnahmen wurden in der Geschichte regelmäßig gegen streikende Arbeiter angewendet. Wer die Polizei gegen die Trucker anstachelt, könnte sich beim nächsten Streik um bessere Arbeitsbedingungen wundern. Es bedarf jetzt einer politischen Lösung. Die repressiven Maßnahmen der kanadischen Regierung müssen aufhören.

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15 Kommentare

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  • Trudeaus Regierung als ‚Regime‘ zu bezeichnen, kommt mir vor, wie ein rhetorischer Haudrauf-Knüppel aus dem agitatorischen 1€-Discounter. Die kanadische Regierung hat, wie das in Kanada nicht unüblich ist, viel Geduld aufgebracht gegenüber den Demonstranten. Dass deren Parolen an Trumpismus und ‚Querdenker‘ erinnern, schmälert die Rechte der Demonstranten nicht, ist allerdings aus meiner Sicht signifikant für deutliche Anteile disruptiver Motive. Auch die rücksichtslose Terrorisierung der Einwohner von Ottawa und anderen Orten zeigt die gleichen egoistischen Facetten wie in anderen Ländern. Der Umgang mit den Blockierern der Ambassador-Bridge war mE vorbildlich deeskalierend, gewaltfrei und geduldig, eher sanft und respektvoll. Man könnte (wenn man das Land kennt) sagen, typisch kanadisch, wenn das nicht auch eine Verallgemeinerung wäre.



    Die Trudeau-Regierung (mit all ihren Fehlern und Schwächen) wie auch die anderen aus der Sicht unserer politischen Topologie eher sozialdemokratisch, aber in Kanada als linksliberal einstufbaren Provinzregierungen (zB in British Columbia) haben Kanada aus der konservativen Politik, besonders geprägt durch den vorigen PM Harper, herausgeführt. Trudeau war es, der die Rechte der First Nations maßgeblich und nicht nur verbal thematisiert und gestärkt hat und die Verantwortung der kanadischen Regierung für deren Entrechtung sowie kulturelle, gesundheitliche und politische Misshandlungen klar und praktisch übernommen hat.



    Die tatsachenarmen Berichte über die kanadischen Impfgegner in die eigene Matrix einer schematischen Weltbetrachtung einzuzwängen, ohne die politischen, kulturellen, historischen und ökologischen Besonderheiten Kanadas zu kennen und auch zu berücksichtigen, hat für mich den Geschmack von Kolonisierung.

  • @ Tomas Zerolo:



    Richtig, vor allem sind die "Trucker" keine Linken.



    Wie der Staat innerhalb jeweils kürzester Zeit bei Linken reagiert, die es wagen, (scheinbar) vergleichbares zu machen konnte mensch hier in Deutschland z.b. bei der Anfahrt zur Brockdorf-Großdemo 1986 (nach der Tschernobyl-Katastrophe) bei der Ortschaft Kleve in Schleswig-Holstein sehen:



    www.spiegel.de/pol...-0000-000013518498



    oder:



    www.nadir.org/nadi...rokdorf/kap_05.htm

    Oder 2004 bei einer völlig friedlichen Demo von Bauwagen-Bewohner:innen in Hamburg:



    www.youtube.com/wa...=eknLOIb0csg&t=46s



    Oder bei diversen Trecker-Demos der Wendländischen Bauern:



    www.youtube.com/watch?v=vAZHqvO6LtU



    Oder auch bei einem einzelnen Bauern:



    youtu.be/kw3Su-iBRhs?t=201



    Anmerkung:



    /Alle/ diese Polizeiaktionen waren rechtswidrig, wie Gerichte -inzwischen rechtskräftig- Jahre später geurteilt haben.

  • Ich sehe autoritäre sowie gewaltsame Polizeiaktion generell kritisch und die Maßnahmen in Kanada wegen nur dreiwöchiger(!) Proteste sind schon echt grenzüberschreitend - wahrscheinlich ist der Profit der Wirtschaftsbosse angekratzt worden . Einige legitimierende Kommentare unter diesem Artikel kann ich nicht nachvollziehen, es sind immer noch Arbeiter die in Kanada protestieren - welche Hilfsangebote der Conservative Party abgelehnt hatten.

  • Momentan ist das alles ein Lackmus-Test für demokratische Haltungen. Man kann Autobahnblockaden nicht romantisieren und LKW-Blockaden nur verdammen als undemokratisch. Ziviler Ungehorsam muss so oder so wehtun. Demokrat*innen müssen für das Recht zum (massiven) Widerspruch streiten, auch wenn man die poiltische Meinung nicht teilt. Trudeau redete gern schön, aber u.a. seine Umweltpolitik mit Pipelines etc. war eine einzige Katastrophe

  • @VIVAFREE:

    Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Dass die Polizei in Kanada atoritär auftritt ist ja wenig überraschend. Das sind aber auch keine "Linke". Und den neoliberalen Trudeau als "links" zu bezeichnen... das mag ja in der kranken Phantasie eines Trumpianers noch funktionieren.

    Die Erzählung bei Ihnen "zwischen denZeilen" deutet auch auf etwas Realitätsverweigerung hin (wie andere Forist*innen schon bemerken): blockieren Sie mal die A100 mit der "letzten Generation" und bringen Sie Ihr LKW mit, mal sehen, was passiert.

    Dennoch bin ich (und jede*r Linke die/den ich kenne) nicht erfreut, wenn Polizei Gewalt ausübt, gegen wen auch immer.

  • "Linke, die nun den Knüppeleinsatz gegen den selbsternannten Freiheitskonvoi fordern"



    ----------------------------



    Hat der Kommentor einen einzigen Beleg, dass "Linke" einen Knüppeleinsatz fordern oder gefordert hätten?

  • Also muss man sich nur ein linkes Label aufkleben und schon wird jede Forderung als vertretbar abgenickt? Diese Leute streiken nicht nur, das sind Impfgegner. Sie sind selbst- und fremdgefährdend.

  • Weitreichende Ermächtigungen einer Regierung sind stets zu hinterfragen. Jan Schroeder hat aber nicht weit genug geschaut. Ja, die Protestierer sind heterogen: Christen, Impskeptiker, aber keine Linken. Sie sind überwiegend weiße Männer, die gern auf die Rhetorik ihrer weit rechten Anführer hereinfallen. Patrick King, Tamara Lich und BJ Dichter sind gut bekannte Rechtsextremisten und die Anführer dieser etwa 400 Leute, die seit drei Wochen die Leute in Ottawa mit dauerndem Hupen und großen Dieselmotoren, die Tag und Nacht laufen, terrorisieren. Premierminister Trudeau hat sehr lange gewartet. Bei indigenen Protesten dauert es keine drei Wochen, bis die militarisierte Polizei mit schweren Waffen und Maschinerie anrückt. Bitte besser recherchieren, Herr Schroeder.

    • @Kahlschlagbauer:

      in YT gibt et Liveaufnahmen wie das ganze so von statten geht, aber süß (etwa 400 Leute) sind scho bissl mehr

    • @Kahlschlagbauer:

      "Christen, Impfskeptiker, aber keine Linken" -- wo liegt der Widerspruch?

      1. Impfskeptiker sind sie ja wohl alle, das ist der Grund, warum die Proteste stattfinden.

      2. Dass in Kanada, einem mehrheitlich christlichen Land, auch unter den Coronaleugnern Christen sind, ist nicht weiter verwunderlich - - auch wenn in einer ernst genommenen christlichen Ethik auch in dieser Frage Nächstenliebe und Rücksichtnahme geboten sind, damit nehmen es die Impfgegner freilich nicht so genau.

      3. Links sollen sie nicht sein und warum genau nicht? Weil Christen und Impfskeptiker per definitionem nicht links sein können? Was ist denn Ihre Definition von links?

      Meine Meinung: Es ist ganz egal, ob die sich als links oder rechts labeln, ob es christliche weiße Männer oder zum Islam konvertierte indigene Frauen sind, das Problem ist: Es sind Impfgegner. Die Polizei sollte die Leute zwingen können, sich impfen zu lassen, so wie es das Gesetz mit Recht fordert. Wozu hat denn ein Staat eine Polizei, wenn sie nicht für Recht und Ordnung sorgt? Dazu muss die Polizei im Notfall - und ich betone, im Notfall - auch Gewalt anwenden können.

  • Am Umgang mit unliebsamen Demonstrationen zeigt sich das wahre Gesicht eines jeden Staatsoberhaupts.



    Man könnte meinen man tut doch das Richtige hier eine Blockade von wirren Verschwörungstheoretikern niederzuschlagen.



    Wir sollten allerdings nie vergessen dass unsere Einteilung in "richtig" und "falsch" immer von der Perspektive abhängt.



    Wenn Erdogan eine Demostration niederschlagen lässt argumentiert er ganz ähnlich und sieht sich ebenfalls auf der "richtigen" Seite..

  • "Linke, die nun den Knüppeleinsatz gegen den selbsternannten Freiheitskonvoi fordern... "

    [citation needed]

    Sicher, ich tummle mich nicht in den sog. "sozialen" Netzwerken; vielleicht findet sich da ja etwas. Ich bin neugierig, wie das dann strukturiert ist.

    • @tomás zerolo:

      "Sicher, ich tummle mich nicht in den sog. "sozialen" Netzwerken...."

      Ich schon und habe mal einen Blick in den offiziellen Ottawa Polizeiaccount geworfen. Zitat: "Attention animal owners at demonstration

      If you are unable to care for your animal as a result of enforcement actions, your animal will placed into protective care for 8 days, at your cost. After 8 days, if arrangements are not made, your animal will be considered relinquished."

      Mit anderen Worten: hör auf zu demonstrieren, fahre deinen LKW beiseite oder wir verhaften dich und schläfern deinen Hund ein.

      Gee...... das Trudeauregime wird's noch schaffen die Kanadier, die normalerweise äußerst freundlich und zurückhaltend sind, in John Wicks zu transformieren......

      Zum Artikel: Finds gut, daß sich die taz nicht auf Seite des Regimes schlägt. Hätte ehrlich gesagt etwas anderes vermutet und habe die Hoffnung, daß sowas wie Freiheit und Arbeitnehmerrechte innerhalb der taz doch einen höheren Stellenwert haben als von mir angenommen.

      "Wer die Polizei gegen die Trucker anstachelt, könnte sich beim nächsten Streik um bessere Arbeitsbedingungen wundern."

      Richtig. Letztlich haben wir es hier mit einen Sitzstreik zu tun. Nicht mehr - aber auch nicht weniger.

      Deswegen ruft Trudeau den Notstand aus ?

      Gehts noch ?!

      • @vivafree:

        Nein Vivafree. Das ist kein Sitzstreik. Das ist die Verwendung schwerer Fahrzeuge als Waffen. Hunderte große Dieselmotoren, die 24 Stunden am Tag laufen. Andauerndes Tröten der extrem lauten Hupen. Und belegte Verbindungen zu Leuten wie denen, die bei einer parallelen Grenzblockade in Alberta mit einem Arsenal von Waffen verhaftet wurden.

        • @Kahlschlagbauer:

          "Das ist die Verwendung schwerer Fahrzeuge als Waffen."

          Ach was ! Solch ein Unsinn !!

          In Nizza, am Breidscheidtplatz und anderen Orten kamen zahlreiche Menschen ums Leben weil Terroristen LKWs als Waffen missbrauchten.

          Sie mögen die Demonstranten und deren Anliegen nicht?

          Selbstverständlich, ihr gutes Recht.

          Aber lassen sie bei der Argumentation doch bitte den LKW in der Garage. Allein aus Respekt vor tatsächlichen Terroropfern und deren Angehörigen.