: Wo die Zeit zum Kreis wird
Die Tanzhalle Wiesenburg ist ein Pankower Ort mit Geschichte und eine Performancebühne. „Ouroboros“ lautet das Motto eines Konzerts mit Echo und Noise
Von Robert Mießner
Es war noch heller Sonntagnachmittag, als Chris Heenan und Michael Vorfeld mit einer Musik begannen, die sich in der langgestreckten und hohen Tanzhalle Wiesenburg erst einmal umzuschauen schien: Heenan an der wuchtigen Kontrabass-Klarinette und Vorfeld an einem speziell aufgebauten Schlagzeug, das er für die Dauer der Performance im Stehen spielen würde, schickten wieder und wieder langgezogene Klänge durch den Raum.
Vorfeld entschied sich bald, sein Instrument nicht ausschließlich mit Sticks, sondern mit Geigenbogen zu spielen und Becken und Snare in Streichinstrumente zu überführen. Gekoppelt mit Heenans Surren und Raunen ergab das eine wie eigens für die Räumlichkeit entworfene metallische Messe, handelt es sich bei der Wiesenburg mit ihren roten Backsteingebäuden doch um ein labyrinthisches Gelände mit einer langen Geschichte.
1897 gründete hier am Gesundbrunnen der Berliner Verein für Obdachlose ein Heim, in dem sich der Verein um seine Schützlinge eher praktisch kümmern wollte, anstatt sie zu belehren und bekehren. Mit dem Ersten Weltkrieg fiel die Wiesenburg an das Militär, wurde danach wieder Obdachlosenasyl und an die Jüdische Gemeinde verpachtet. Die Nazis betrieben hier Rüstungsproduktion, nachdem sie besiegt waren, wurde das Gelände nach 1945 zum Ort für Familien, denen der Krieg das Heim genommen hatte, für kleine Unternehmen und Künstler. Heute stehen zum Teil nur noch die Fassaden, durch die leeren Fenster lassen sich offene Dachstühle erspähen. Die instandgesetzte Tanzhalle Wiesenburg zu finden, gleicht auch mit Wegweisern einer Schnitzeljagd im Stalker-Terrain.
Wer diesen Ort bespielt, sollte sich schon etwas einfallen lassen. Chris Heenan, Michael Vorfeld und ihr Kompagnon Adam Pultz Melbye, zuständig für Rückkopplung und Signalverarbeitung, hatten für das Wochenende zu ihrer Klanginstallation eingeladen, deren Titel sie einer in unterschiedlichen Mythologien beheimateten Symbolik entlehnt haben: „Ouroboros“, so heißt eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt und so mit ihrem Körper einen geschlossenen Kreis bildet, ihr anderer Name ist Schlange der Ewigkeit. Die Ewigkeit hatten Heenan, Vorfeld und Melbye mit vier Stunden Performancedauer angesetzt.
Nach circa 30 Minuten nahm Melbye im Schneidersitz an Laptop und Effektgeräten Platz, und jetzt wurde tatsächlich ein Ouroboros daraus. Melbye nahm Heenans und Vorfelds Sounds auf und schickte sie als Echos durch den Raum, die die Musik wieder und wieder modifizierten. Eine Art Echtzeit-Dub war das, der da zwischen den vier Mikrofonen und Lautsprechern entstand, eine begehbare Musik. Was durchaus wörtlich genommen werden durfte und auch wurde, einen Besucher verführte die Performance gar zu gymnastischen Übungen bis hin zum Kopfstand. Vier Stunden wohlgemerkt, die im Nu vergingen. Dabei folgte die Performance durchaus einer Dramaturgie und gliederte sich in drei Teile: Nach circa anderthalb Stunden traten Heenan und Vorfeld zur Seite und überließen Melbye den Raum und die Musik, um nach etwa 20 Minuten wieder ein Trio zu bilden. Den jeweiligen Beginn markierte das kräftige, auch durch das Echo gejagte Geräusch, mit dem Heenan seine Klarinette auf ihre Halterung setzte. Im zweiten Teil der Performance geriet „Ouroboros“ zu einem regelrechten Noisefest: Kurze hektische Soundsetzungen, Splitter und Vignetten.
Schuhbürste an den Drums
Vorfeld war längst dazu übergegangen, sein Instrument nicht mehr nur mit dem Geigenbogen zu bearbeiten: Da waren Schuhbürsten, dazu eine Cajón-Bürste, wie sie für die lateinamerikanische Kistentrommel verwendet wird, Klangschalen, Bleche überhaupt, bis hin zur zweckentfremdeten Büroklammer, sowie Paukenschlegel. Und, Vorfeld hatte zwei selbst entworfene Klangerzeuger mitgebracht, die ihm ein Instrumentenbauer extra angefertigt hat: zwei Holzkörper, über die Saiten gespannt sind, ähnlich einer Zither oder dem Resonanzboden eines Klaviers.
Resonanz ist ein gutes Stichwort, darum geht es bei dieser Musik. Adam Pultz Melbye beispielsweise, der am „Ouroboros“-Wochenende den Elektroniker gab, ist auch Kontrabassist. Auf Melbyes Albumveröffentlichungen wie „Loud“ oder „Griff“ leistet er sich in Quartett- oder Triobesetzung den Luxus, einzelnen Tönen regelrecht nach zu lauschen. Bei Chris Heenan wiederum klingt das Prinzip Resonanz so, dass er zum Beispiel als Musiker des großformatigen Splitter Orchesters Stücke wie „Diagram 1“ und „Diagram 2“ mit einspielt, die dann auf der B-Seite der LP von dem Experimentalmusiker Felix Kubin aufgegriffen werden. Wer will, darf das ruhig Remix nennen.
Am Ende von vier Stunden „Ouroboros“ war es dunkler Abend geworden, und die Fenster der Tanzhalle Wiesenburg wiesen nicht mehr in den überwachsenen Innenhof, sondern spiegelten den Raum, der die Musik spiegelte. Von diesem Konzert wird noch zu reden sein.
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