Jurist über eine „Klimaklage“ im Theater: „Politik bleibt der Königsweg“
Betroffene klagen gegen die deutsche Klimapolitik – auf einer Bremer Theaterbühne.
taz: Herr Winter, was haben Sie als Jurist in einer Vorstellung der Bremer Shakespeare Company zu suchen?
Gerd Winter: Wir spielen das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nach, das 2020 mit Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz begann: Darsteller:innen der Shakespeare Company agieren als Kläger:innen und Studierende aus meiner Lehrveranstaltung als Anwälte auf Seiten der beiden Parteien. Ich bin das Gericht. So ein Spiel, in dem wir eine Gerichtsverhandlung simulieren, nennt sich auch „Moot Court“.
Im Titel ist von einer Klimaklage die Rede. Aber wer klagt denn eigentlich?
Landwirtsfamilien einerseits aus Deutschland, andererseits aus Bangladesh, die vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind und unter Extremwetterlagen leiden. Sie machen geltend, dass ihre Grundrechte verletzt sind, weil die deutsche Klimapolitik die Treibhausgasemissionen nicht streng genug drosselt.
Könnte ich auch eine Klimaklage einreichen?
Es ist nicht einfach, mit einer solchen Klage vor einem Gericht zugelassen zu werden. Um nicht von Klagen überschwemmt zu werden, wendet jedes Gericht bestimmte Filter an, bevor es sich mit einer Sache beschäftigt. Normalerweise müssen Kläger:innen individuell und gegenwärtig betroffen sein. Der Klimawandel stellt uns aber vor das Problem, dass die Zukunft durch heutiges Handeln sehr stark beeinflusst wird. Jede Tonne CO2 bleibt Jahrhunderte lang in der Atmosphäre. So muss diskutiert werden, ob der Grundrechtsschutz sich auch auf unsere Zukunft erstreckt. Ob die Jugendlichen von heute einen Anspruch darauf haben, dass sie auch in 20 Jahren noch angenehm leben können.
Gerd Winter
78, Rechtsprofessor an der Universität Bremen, spielt heute Abend den Richter.
Ist das nicht ziemlich illusorisch?
Mit seinem Beschluss in dem Verfahren, das wir nachspielen, hat das Bundesverfassungsgericht 2021 genau diesen Schritt getan – und den Grundrechtsschutz in die Zukunft erstreckt. Es hat festgestellt, dass wir unsere Emissionen heute stärker reduzieren müssen, damit für spätere Zeiten noch etwas übrig bleibt.
Wer wird beklagt?
Die Bundesrepublik und ihr Klimaschutzgesetz. Es gibt auch Klagen gegen Unternehmen als Emittenten, zum Beispiel VW, BMW und Mercedes, die man nachspielen könnte. Aber die sind noch nicht entschieden.
Wie geht das Ganze aus?
Wir spielen kein eingeübtes Theaterstück mit einem vorgeschriebenen Ende. Es ist ein offener Schlagabtausch. Zwischendurch haben auch die Zuschauer:innen Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Als Richter treffe ich am Ende eine Entscheidung auf Grundlage der besseren Argumente.
Ein spannendes Format.
Es ist ein Wagnis. Es könnte auch furchtbar peinlich werden, aber bin optimistisch, dass es lehrreich und vielleicht auch amüsant sein wird.
Können Klimaklagen das Klima retten?
„Klimaklage. Eine Versuchsanordnung“: Mo, 7. 2., 19.30 Uhr, Bremen, Theater am Leibnizplatz. Infos (auch zu Coronaregeln) unter www.shakespeare-company.com
Klagen für mehr Klimaschutz gibt es jetzt seit ungefähr 10 Jahren. Inzwischen sind es weltweit mehr als 1000. Manche waren erfolgreich, viele nicht oder sind noch nicht entschieden. In Australien verhinderte zum Beispiel ein Gerichtsurteil den Abbau einer riesigen Kohlemine. Selbst erfolglose Klimaklagen haben aber den rechtlichen Diskurs um den Klimaschutz voran gebracht. Lange Zeit wurden die Grundrechte auf Seiten der Wirtschaft Klimaschutz angeführt, heute werden sie mehr Klimaschutz genutzt. Aber insgesamt ist selbstverständlich die demokratische Politik der Königsweg. Die Gerichte werden sich hüten, den politischen Gesetzgeber zu spielen. Sie werden nur eklatante Grenzüberschreitungen rügen, also Fälle, in denen Grundrechte schwer und eindeutig verletzt sind.
Solche Härtefälle könnten sich mit dem Fortschreiten des Klimawandels häufen.
Hoffen wir, dass das nicht der Fall sein wird.
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