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„Was über mir ausgekübelt wurde, ist nur schwer auszuhalten“

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas über enthemmte Beleidigungen im Netz, Rechte in der Bundestagspolizei und die Frage, wie Bürgerräte mehr gesellschaftlichen Frieden stiften könnten

Foto: Stefan Boness

Interview Sabine am Orde undStefan Reinecke

taz: Frau Bas, Ihre Biografie unterscheidet Sie von Ihren Vorgängern. Sie kommen aus einem Arbeiterhaushalt und haben einen Hauptschulabschluss. Ändert das etwas?

Bärbel Bas: Ich bekomme zum Beispiel viele Zuschriften von Hauptschülern, die das mitgekriegt haben. Und die denken: Die kann man mal ansprechen.

Was wollen diese Schüler?

Die meisten wollen wissen, wie ich es geschafft habe, Bundestagspräsidentin zu werden. Hauptschüler haben heute oft das Gefühl, dass sie Loser sind, zur Resterampe gehören und dass der Weg in Hartz IV vorbestimmt ist. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass sie dranbleiben und sich weiterbilden müssen.

Biografien wie Ihre sind auch im Bundestag selten. Die Zusammensetzung ist noch immer von Juristen, Beamten und Männern geprägt. Wie wird das Parlament vielfältiger?

Ich bin sehr für Quoten und persönlich hoffe ich, dass es ein rechtssicheres Paritätsgesetz geben kann. Einige Parteien, beispielsweise SPD oder Grüne, stellen ihre Listen bereits paritätisch auf. Wir müssen generell mehr Frauen überzeugen, sich in dieses Geschäft zu begeben. Viele schrecken die Strukturen und die Doppelbelastung mit Kindern ab. Vieles hat sich aber bereits verändert. Fotos, auf denen nur männliche Politiker zu sehen sind, finden heute viele Menschen seltsam. Das Kabinett der Ampel ist paritätisch besetzt. Wir sind noch nicht am Ziel. Aber es bewegt sich etwas.

Sie wollen als Bundestagspräsidentin für mehr Bürgernähe sorgen. Wie?

Mit mehr Bürgerräten, zum Beispiel. Damit hat mein Vorgänger begonnen und einen Bürgerrat zum Thema „Deutschlands Rolle in der Welt“ ins Leben gerufen. Ich würde nach der Erfahrung damit weniger abstrakte, konkretere Themen wählen.

Zum Beispiel?

Eine Debatte bewegt uns alle, die sich dafür gut geeignet hätte. Wären Bürgerräte schon ein festes Element, dann hätten wir nach dem Zufallsprinzip Bürgerinnen und Bürger repräsentativ ausgewählt, die über die Impfpflicht debattiert hätten.

Sind diese Räte mehr als unverbindliche Gesprächsrunden?

Die Bürgerräte sollen keine zufällige Bürgerbeteiligung sein, sie sollen in die Parlamentsarbeit institutionell eingebunden werden.Aber am Ende muss der Bundestag entscheiden. Wichtig ist, dass alle Bevölkerungsschichten daran teilnehmen.

Können Bürgerräte bei Stressthemen gesellschaftlichen Frieden fördern?

Im besten Falle ja. Bürgerräte können helfen, mehr aufeinander zu hören. Wir erleben gerade tiefe Spaltungen. Die Sprache in sozialen Medien eskaliert. Hemmungen gehen verloren. Ich bin seit zwölf Jahren Abgeordnete. Was seitdem über mir ausgekübelt wurde, ist nur schwer auszuhalten.

Die Grüne Renate Künast hat Leute, die sie im Netz beschimpft haben, mal zu Hause besucht. Würden Sie das auch tun?

Das fand ich gut. Wenn jemand aus Duisburg sich so verhalten würde, würde ich gerne wissen: Traust du dich auch, mir das ins Gesicht zu sagen? Ich zeige Beleidigungen im Netz an. Die Polizei kann nur eingreifen, wenn es Anzeigen gibt.

Haben Sie damit Erfolg?

(lacht) Leider nein. Es gab einen einzigen Prozess. Vor Gericht stellte sich heraus, dass der Angeklagte als psychisch krank galt. Generell ist es für Behörden schwer, die Täter zu ermitteln. Die Anonymität ist ein Problem der sozialen Medien. Es wäre besser, wenn die Menschen leichter identifizierbar werden.

Wie schützen Sie sich?

Ich sage mir: Lass das nicht so nah an dich rankommen. Aber das ist nicht so leicht. Und es ist in der letzten Zeit schlimmer geworden. Offen gesagt: Ich kann diese kotzenden Emojis nicht mehr sehen, die in den Kommentaren stehen.

Sind Sie in Ihren politischen Äußerungen vorsichtiger geworden?

Manchmal zögere ich, ob ich etwas poste. Weil ich weiß, welches Echo folgt. Ich bin als Bundestagspräsidentin gut geschützt. Mich sorgen vielmehr die Bürgermeister, die Ehrenamtlichen, die Wissenschaftlerinnen, die gerade in der Pandemie angegriffen werden. Es gibt viele in den Stadträten und Gemeindeversammlungen, die nicht mehr kandidieren, weil sie den Hass nicht mehr ertragen können und ihn vor Ort unmittelbar zu spüren bekommen.

Manche Abgeordnete sorgen sich auch über die Sicherheit im Bundestag. Die taz hat über rechte Vorfälle bei der Bundestagspolizei berichtet. Zuletzt wurde der Sicherheitschef des Bundestags vorläufig von seinen Aufgaben entbunden, er ist Mitglied einer rechten Burschenschaft. Wird ein Mann auf einem so sensiblen Posten nicht überprüft?

Natürlich wurde der Beamte sicherheitsüberprüft. Derzeit ist er mit seiner Zustimmung freigestellt. Mir ist wichtig, dass wir genau prüfen, was da passiert ist. Weil die Prüfung noch andauert, will ich hier nicht in die Tiefe gehen. Dass er in dieser Burschenschaft ist, ist allein kein Grund, gegen ihn beamtenrechtlich vorzugehen.

Das heißt was?

Die taz hatte im Sommer über andere Fälle berichtet, zum Beispiel über einen Hitlergruß. Es gab danach Verwaltungsermittlungen und über 200 Gespräche mit den Polizeibeamtinnen und -beamten. Der Bericht dazu wird den neuen Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen, die nach der Wahl teilweise andere sind, übermittelt. Darin werden sicherlich auch die Erkenntnisse über den neuen Fall einfließen.

Bei den Befragungen scheinen sich die Beamten besonders dafür interessiert zu haben, wer mit der taz über die Vorfälle gesprochen hat. Sucht man lieber nach Whist­le­blowern als nach Extremisten?

Ich bin dankbar, wenn Vorkommnisse dieser Art bekannt werden. Deshalb sollten auch anonyme Meldungen ermöglicht werden. Und nach den Vorwürfen im letzten Jahr ist sofort reagiert worden. Neben den Verwaltungsermittlungen ist eine Vertrauensperson eingesetzt worden, an die sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung wenden können, um bei extremistischen oder vergleichbaren Vorfällen Rat und Unterstützung zu finden. Wer sich bei ihr meldet, kann anonym bleiben. Mein Eindruck ist, dass hier inzwischen viel passiert ist.

Ihre Verwaltung hat in der vergangenen Woche für Verärgerung gesorgt. Es gab Irritationen wegen des Status von Genesenen. Der gilt für Bürger nur noch drei Monate lang, für Abgeordnete aber sechs. Warum?

(lacht) Es tut mir ehrlich leid, dass der Eindruck entstanden ist, dass Abgeordnete einen privilegierten Status hätten. Denn das stimmt nicht. Für mich gilt nichts anderes wie für jeden anderen auch.

Alles ein Missverständnis?

Ich habe die Vorschriften nicht geändert. Am 12. Januar ist im Bundestag eine Allgemeinverfügung in Kraft getreten, die bestimmt, welche Regeln in den Ausschüssen und im Plenarsaal Anwendung finden. Der Genesenstatus gilt danach für sechs Monate. Mit Wirkung vom 15. Januar hat das Robert-Koch-Institut diesen Status auf drei Monate verkürzt. Wenn das medizinisch nötig ist – gut, dann ist das so. Einen Tag später kam die Meldung, dass die EU bei Reisen die Sechs-Monate-Frist aufrechterhält. Am Montag folgte die Ministerpräsidentenkonferenz. Es galt abzuwarten, was dort entschieden wird. Deshalb bin ich für die vergangene Sitzungswoche im Januar bei der alten Regel geblieben. Ich denke jeden Tag darüber nach, was man hätte besser machen können.

Bärbel Bas, 53, wurde Ende Oktober zur neuen Bundestagspräsidentin gewählt. Die Politikerin zählt zum linken Parteiflügel der SPD und sitzt seit 13 Jahren im Bundestag. Zuvor hat sie unter anderem als Bürogehilfin und Sachbearbeiterin gearbeitet.

Ziemlich kompliziert.

Es ist noch komplizierter. Denn die sechs Monate gelten für alle Genesenen, wenn sie in den Plenarsaal oder in eine Ausschusssitzung wollen – also auch für die Besucherinnen und Besucher oder Journalisten. Wenn Abgeordnete in ihr Büro gehen und dort als Arbeitgeber ihre Mitarbeiter treffen, gilt nach Paragraf 28 Infektionsschutzgesetz eine Frist von drei Monaten. Und wenn sie mittags in die Bundestagskantine gehen, gelten wieder sechs Monate. Denn dort orientieren wir uns an der Verordnung des Landes Berlin.

Die Sechs-Monats-Regel im Bundestag ist Munition für die Propaganda, dass Politiker sich selbst bedienen.

Leider.

Die „Bild“-Zeitung hat eine Kampagne gegen „die Politiker“ inszeniert, die sich Sonderrechte zuschanzen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt twittert, die Regel sei „eine Unverschämtheit“.

Was Herr Dobrindt als unverschämt empfindet, ist seine Sache.

Werden Sie diese Regel jetzt anpassen?

Ich werde in den sitzungsfreien Wochen bis Mitte Februar mit den Fraktionen das Hygienekonzept für die Sitzungen und den Plenarsaal beraten. Natürlich richte ich mich beim Gesundheitsschutz nach den Regeln des RKI. Aber man muss auch wissen: Wenn ich den Status auf drei Monate verkürze, kann das bedeuten, dass noch mehr Parlamentarier, wie jetzt schon Abgeordnete der AfD, auf Besuchertribünen müssen, weil sie nicht mehr in den Saal dürfen. Das würde heißen: Wir haben keinen oder kaum noch Platz für Besucher. Die Öffentlichkeit hat aber auch ein Recht auf Teilnahme.

Sechs-Monats-Regel für Genesene in Plenum und Kantine, drei Monate im Büro – das versteht doch kein Mensch mehr. Macht es das Parlament mit solchen Regeln Populisten nicht leicht?

Ich verstehe diese Kritik. Ich war als stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende bis 2021 für Gesundheit zuständig. In der Pandemie ging vieles durcheinander. Viele Bürger sind entnervt. Sie haben alle Regeln befolgt und sich mit Freunden zerstritten, die sich nicht impfen lassen wollen. Jetzt verstehen sie manches nicht mehr.

Was folgt daraus?

Es gab zu viele Unstimmigkeiten zwischen den Ländern. Die Entscheidungen waren oft nicht einheitlich. Vor der nächsten Pandemie muss das Infektionsschutzgesetz auf den Prüfstand. Wir sollten mehr einheitlich regeln.

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