schlechtes vorbild: Die Bremerhavener Regierungskoalition findet Gender-Satzzeichen voll doof
Bremerhavens Koalition aus FDP, CDU und SPD wollte ganz besonders fortschrittlich wirken, als sie der Verwaltung Gendersternchen und Co verbot. Wie das?! Gemach, kommt gleich. Erst mal die Konsequenz der guten Absicht: Tauchten die Sonderzeichen in einem Text auf – etwa einer Stellenausschreibung – wurde dieser nicht zur Befassung im Magistrat, der kommunalen Regierung, zugelassen. So steht es in einer Vorlage des Magistrats vom Dezember. Und weiter: Die Koalitionsfraktionen hätten zuvor „mehrfach deutlich gemacht“, dass sie die Sonderzeichen als Ausdruck einer gendersensiblen Sprache ablehnen. Einige renitente Verwaltungsmitarbeiter:innen hatten sich aber offenbar an die Empfehlung des Landes Bremen gehalten, das den Doppelpunkt empfiehlt, um alle Geschlechter einzuschließen, weil dieser auch von Vorleseprogrammen erkannt wird.
Eine Begründung für das Verbot lieferten die Bremerhavener Koalitionäre erst vor einer Woche, als Medien darüber berichteten: Doppelpunkt, Sternchen, Unterstriche und andere Satzzeichen seien behindertenfeindlich. Nicht so sehr, weil Leseprogramme für Sehbehinderte sie nicht erkennen können. Dass der Doppelpunkt erkannt wird, hatte auch der Magistrat einräumen müssen. Eine neue Erklärung musste her: Manchen Menschen fehlten die intellektuellen oder sprachlichen Fähigkeiten, um das zu verstehen, lautete sie.
Behindertenrechtskonvention schlägt Grundgesetz, das die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet. Das betrifft, das hatte selbst der Magistrat erkannt, „all diejenigen Menschen, die sich selbst nicht als ‚Mann‘ oder als ‚Frau‘ definieren können oder wollen“. Deshalb sollte von nun an eine „geschlechtsneutrale Formulierung“ benutzt werden oder „beide“ Geschlechter. Und wer einen männlichen Vornamen trage, solle eben mit männlichen Personalpronomen angesprochen werden, weibliche Vornamen analog.
Dass nicht alle Vornamen eindeutig männlich oder weiblich sind? Egal! Dass es Menschen gibt, die nicht mit „er“ oder „sie“ bezeichnet werden wollen? Nicht so wichtig, es geht schließlich um Barrierefreiheit! Doof nur, dass die männerdominierten Fraktionen keine Expertise eingeholt hatten. Sie hätten den Landesbehindertenbeauftragten Arne Frankenstein fragen können. Der sagte der taz, er unterstütze die von Bremen empfohlene Doppelpunkt-Schreibweise, und gab zu bedenken, dass es auch nichtbinäre Menschen gebe, denen eine leichte Schreibweise das Verstehen erleichtere.
Aber so komplexe Gedanken hatten sich FDP, CDU und SPD nicht gemacht. Denn letztendlich war es ihnen einfach zu viel Gendergaga. Das bewies die Presseerklärung vom Montag, mit der sie ihren Beschluss zurücknahmen. Darin wird der Versuch, „die vorhandene geschlechtliche Vielfalt abzubilden“ als „teilweise krampfhaft“ bezeichnet und „Haltungen zu gendersensibler Sprache“ als „teilweise ideologisch geprägt“. Damit die Herren (und wenigen Damen) die in patriarchaler Ideologie begründete krampfhafte Abwehr von Gendersatzzeichen erkennen können, fordert die grüne Stadtverordnete Doris Hoch jetzt eine Fortbildung in Sachen Genderkompetenz für Magistrat und Abgeordnete. Eiken Bruhn
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