: Lichtgestalt der Szene-Literatur
Das Interesse an Hubert Fichtes Oeuvre oszilliert wie sein Schaffen selbst: Heute widmet ihm das Literaturhaus Hamburg eine Lesung
Ein Hubert-Fichte-Abend. Es moderiert Simone Buchholz, Jonas Hien liest. Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38 und als Livestream, heute, 18. 1., 19.30 Uhr
Von Frank Keil
Seinen ersten Erfolg als Literat heimst er in Süddeutschland ein: 1965 wird dem Hamburger Hubert Fichte der Hermann-Hesse-Literaturpreis verliehen, dotiert mit seinerzeit unglaublichen 10.000 D-Mark. „Vor allen Dingen glaubt die Jury, dass hier ein Talent zu erkennen ist, mit großer Entwicklungsfähigkeit“, sagt damals der dunkel-bebrillte Jurysprecher. Prämiert wird sein Debüt „Das Waisenhaus“ und tatsächlich ist Fichtes erste Prosa rau, direkt, dialogisch und immer auch nahe an der Dokumentation, mittendrin am eigenen Erleben, das es zu bearbeiten, auch zu verfremden gilt.
Denn seine Kindheit und Jugend zuvor ist alles andere als lustig: 1935 in Perleberg geboren, muss sein Vater, von der Herkunft Jude, aus Deutschland fliehen. Seine Mutter kann sich kaum um ihn kümmern, zeitweise wird er in einem Waisenheim in Bayern untergebracht. Er kommt nach Hamburg, er ist Kinderdarsteller am Theater, er bricht die Schule ab, er lernt Hans Henny Jahn kennen, dann Rowohlt-Lektor Fritz J. Raddatz.
Er bekennt sich zu seinem Schwulsein auf selbstverständliche und also damals radikale Art. 1968 erscheint das Buch, das ihn bekannt macht: „Die Palette“. Eine Komposition aus Beschreibungen, kurzen Szenen und vor allem Gesprächsfetzen, nächtens in der gleichnamigen Kneipe in der ABC-Straße aufgesogen. Eine Plakette erinnert heute vor Ort: „Das Szenelokal war ab den frühen fünfziger Jahren bis 1964 ein legendärer Treffpunkt von Bohemiens, Gammlern und Hafenarbeitern“ ist zu lesen. Ja, damals sagte man noch „Gammler“.
Nahezu gleichzeitig beginnen seine Reisen nach Brasilien, in die Karibik, nach Afrika – oft gemeinsam mit der Fotografin Leonore Mau. Sie ziehen zusammen. Sie widmen sich den afroamerikanischen Religionen, er entwickelt seine Ethnopoesie. Unglaublich geackert haben muss er: Mitte der 1970er-Jahre etwa beschließt er unter dem Titel „Geschichte der Empfindlichkeit“ sein Werk neu zu ordnen sowie es entschieden auszubauen, anvisiert sind 19 Bände. Dazu kommen immer wieder Arbeiten fürs Radio. 1986 stirbt er an den Folgen von Aids. Zuvor hat er verfügt, dass alle seine persönlichen Dokumente zu vernichten seien. Nur die Texte und Arbeiten sollen ab nun gelten.
Regelmäßig wird er seitdem wiederentdeckt, es mangelt dann nicht an Vergleichen mit Rolf-Dieter Brinkmann, der anderen Literatur-Lichtgestalt der norddeutschen Underground-Szene: 2005 etwa hebt ihn der Sammelband „Palette revisited“ aus der Edition Nautilus mit in den popkulturellen Himmel. Im selben Jahr fügten die Deichtorhallen mit „Eine Lebensreise“ die Texte Fichtes mit den Fotografien von Leonore Mau gekonnt zusammen. Mit „Bitte oszillieren Sie“, widmen ihm Tocotronic 2010 einen Song. Es findet sich mit hubertfichte.de eine verlorengegangene Homepage. Benannt ist nach ihm aber auch der vielleicht wichtigste Hamburger Literaturpreis – den zuletzt Katrin Seddig erhielt, die man auch als taz-Kolumnistin kennt. Zwischendurch lässt das Interesse an seiner Person und seiner Literatur, und umgekehrt, auch immer mal wieder nach.
Gut also, dass uns wieder ein Hubert-Fichte-Abend ins Haus steht, diesmal auf den Weg gebracht von der Schriftstellerin Simone Buchholz. Und wenn man es nicht dorthin schafft: Die Hamburger Bücherhallen mit ihren Zweigstellen vom Alstertal bis Winterhude listen derzeit flotte 46 Titel auf, überwiegend seine Romane, seine Interview-Bände, aber auch einige Materialbände. Man muss nur hingehen und zugreifen.
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