piwik no script img

Das schäbige kleineGlück der Erniedrigten

Müde Entrüstung statt Aufruf zur Revolution: Nirgendwo in Deutschland leben Arme und Reiche so voneinander getrennt wie in Schwerin. Am dortigen Theater versäumt Helge Schmidts „Die Weber:innen“, Gerhart Hauptmanns Kapitalismuskritik-Klassiker ins Hier und Heute zu übertragen

Alles nur trostlos: Statt Kuscheltieren gibt‘s in den Jahrmarkt­automaten nur Textilmüll zu angeln Foto: Silke Winkler

Von Jens Fischer

Da sich der Wille zum Aufstand gerade in kruden Impfgegner-Demos äußert, will das Staatstheater Schwerin gesellschaftlich notwendiges „Empört euch“-Potenzial fokussieren. Mit Gerhart Hauptmanns Kapitalismus-Kritik-Klassiker „Die Weber“ wird die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich thematisiert. Gerade in der Landeshauptstadt hat das Thema eine besondere Relevanz, ist dort die Segregation hin zu einer Ghettoisierung doch mit überregional einmaliger Konsequenz etabliert.

Laut einer Studie des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, die die Wohnentwicklung in 74 deutschen Orten zwischen 2005 und 2014 untersucht hat, leben Schweriner bundesweit am stärksten getrennt nach Einkommen und sozialem Status. Tendenz steigend. Stadtentwicklung hieß dort nach der Wende, Menschen mit niedrigem Einkommen an den Stadtrand in Plattenbausiedlungen anzusiedeln, indem eben dort überdurchschnittlich viele Sozialwohnungen ausgewiesen wurden. So bekommen beispielsweise im Stadtteil Mueßer Holz über 40 Prozent der Bewohner Unterstützung vom Staat.

Vor diesem Hintergrund mit der Idee zu spielen, sich wie 1844 die sozial degradierten Weber in Schlesien zur Revolution aufzuschwingen, könnte der provozierende Reiz der Inszenierung sein. Mit dem gebürtigen Schweriner Helge Schmidt ist ein stets mit aktuellen Stoffen auftrumpfender Regisseur geladen. Zuletzt hatte er in bester Dokutheater-Manier mit der Fragestellung „Wann ist ein System so ungerecht, dass Bür­ge­r:in­nen sich wehren müssen?“ den Cum-Ex-Skandal sowie einen mutmaßlich abseits aller demokratischen Prozesse mit Bankern & Co. klüngelnden Olaf Scholz, einst Hamburger Bürgermeister und jetzt Bundeskanzler, auf die Bühne des Hamburger Lichthof Theaters gehoben und in Schwerin eine Stadtteilrecherche über die ehemalige DDR-Vorzeigesiedlung Große Dreesch gezeigt, zu der auch Mueßer Holz gehört.

Die nun gendergerecht „Weber:innen“ betitelte Produktion beeindruckt erst mal durch die Rauminszenierung. Im herrlich he­runtergerockten Ambiente des historischen E-Werks ist der Boden übersät mit gehäckselten Kleidungsfetzen. Auf den Fast-Fashion-Relikten platziert sind als blinkende Verheißungen drei Jahrmarktautomaten mit Greifarmen, aber keine Kuscheltiere, nur Textilmüll ist zu angeln – wohl ein Verweis, wie schäbig selbst die kleinen Glücksmomente der Erniedrigten und Beleidigten sind.

Ihr überzeugendes Darsteller:in­nen-Quintett hängt schlapp herum und tauscht ständig die Rollen, so dass Typen, keine Charaktere leibhaftig werden. Was durchaus Sinn macht, da in dem Stück ja der unterjochte Einzelne in der rebellierenden Masse aufgeht. Die We­be­r:in­nen­kör­per sind in einen Plastiküberzug verpackt, der die Wunden zerschundener Haut zeigt. Wer den Fabrikanten mimt, muss sich allerdings einen Fettwanst umhängen.

Dialoge kommen im kunstschlesischen Hauptmann-O-Ton daher, Regieanweisungen werden ausgesprochen, nicht gespielt. Auch sonst wird eher wenig gespielt und viel geredet. Sorgenschwer geduckt, ängstlich zagend, leise schlurfend, leichenblass und mit traurig leeren Leidensaugen erzählen die Elend­s­pro­le­ta­rie­r:in­nen von entwürdigender Armut, von Krankheit und Arbeit bis zum Umfallen. Wie Gespenster wirken sie und akzentuieren musikalisch den monotonen Soundtrack ihres Daseins, indem sie im Maschinenrhythmus auf Metall­elementen des Bühnenbildes he­rumkratzen, Münzen aneinanderschaben, mit dem Kopf gegen die Automaten hauen oder im Schlurfmarschritt klickerdiklacken. Überwältigende Trostlosigkeit. Nackte Verzweiflung. Sehr überzeugend. Selbst klassenkämpferische Zeilen und die Hymne des Weberaufstands, „Das Blutgericht“, kommen eher deprimiert daher.

Die Inszenierung lässt die Erzählung in pathosgetränkter Düsteratmosphäre verdämmern. Als wäre eine radikale Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse keine die Lebensgeister weckende Idee

Hilfreich sind Erklärmonologe. Dass Reiche immer reicher würden, liege daran, dass Arme nicht an der Vermögensbildung durch Börsengeschäfte teilnähmen, heißt es. Von Almosenempfängern geht die Rede, von Demütigung zu Demütigung würden sie schreiten. Aus dem Atlas der Versklavung der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird rezitiert und Kate Tempests schön trauriger Song „Europe ist lost“ über eine jämmerlich entlohnte Pflegekraft gesungen.

Hauptmanns Werk lädt ja ein, die Protagonisten des Klassenkampfes in unserer Wirklichkeit zu suchen. Andernorts wurde es beispielsweise im Großraumlager von Amazon verortet oder in Textilfabriken in Bangladesch. In Schwerin gibt es wenige Transferleistungen ins Hier und Heute. Lokale Bezugspunkte setzt die Regie gar nicht. So muss vor allem der Originaltext als Projektionsfläche für die globalisierten Ausbeutungsmechanismen und Ohnmachtserfahrungen funktionieren. Klagt etwa bei Hauptmann jemand gegen Hungerlohn, Arbeitsbedingungen oder die Unmöglichkeit, einen Vorschuss zu bekommen, wird er mit Entlassung bedroht, „Weber hat’s genug“, wie der Handlanger des Textilunternehmers sagt und das Überangebot an rechtlosen Arbeitskräften auch als lohnsenkendes Argument nutzt.

Bei den einstigen Webern wächst aus der Verzweiflung der Unmut, aus dem Unmut die Widerstandswut, die sich in der Plünderung der Fabrikantenvilla entlädt. Was die Regie angesichts wachsender Ungleichheit aber nicht als Startschuss einer Umverteilungsaktion von Reichtum feiert, auch nicht groß kritisiert. Schmidts Inszenierung lässt die Erzählung der Gut-Böse-Verhältnisse einfach in einem elegischen Tempo und in pathosgetränkter Düsteratmosphäre verdämmern. Als wäre eine radikale Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse keine die Lebensgeister weckende Idee. „Die Weber:innen“ ist daher eher eine Installation der müden Entrüstung denn ein Sozialdrama als mutmachender Aufstehen!-Appell. Am Ende erglüht ein Licht zur Erkenntnis – und illuminiert nur ein ratloses Gesicht.

Die We­be­r:in­nen: Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, E-Werk, nächste Aufführungen: Do, 13. 1., Fr, 21. 1., 19.30 Uhr; https://www.mecklenburgisches-staatstheater.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen