Lächeln als Arbeitsleistung

In Kitty Greens großartigem Spielfilmdebüt „The Assistant“ geht es um #MeToo und ganz grundsätzlich um die praktische Einübung in die machistische Arbeitshierarchie

Ein ganz normaler Arbeitstag für Jane (Julia Garner) in „The Assistant“ Foto: Ascot-Elite

Von Silvia Hallensleben

Jane will einmal Filmproduzentin werden. Doch noch ist die frisch eingestellte Assistentin in einer New Yorker Firma für Filmproduktion ganz unten in der betrieblichen Hierarchie angesiedelt: Sie ist die Erste, die früh morgens noch im Dunkeln die Neonbeleuchtung im Büro anschaltet und die Spuren des vorherigen Arbeitstages beseitigt. Sie ist für das Ausdrucken von Gehaltslisten und Drehbüchern zuständig. Sie serviert Getränke für Sitzungen, an denen sie nicht teilnimmt, und dient auch mal als Kindermädchen. Den beiden weiter oben in der Rangordnung angesiedelten Kollegen, die mit ihr im gleichen Großraum sitzen, holt sie die Sandwiches zum Lunch. Dafür schieben diese die unangenehme Aufgabe auf sie ab, die eifersüchtige Ehefrau vom Big Boss am Telefon abzuwimmeln.

Dieser Boss hat, so legen es Janes Beobachtungen und von ihr mitgehörte Anspielungen von Kollegen nahe, sexuelle Beziehungen zu beruflich abhängigen Mitarbeiterinnen. Ein Verhalten, das in vielen Details unübersehbar an den Fall von Harvey Weinstein angelehnt ist, dessen jahrzehntelange Übergriffe nach ihrer Enthüllung durch Betroffene 2017 die #MeToo-Kampagne erst ins Rollen gebracht hatten.

Auch Regisseurin Kitty Green erwähnte in Interviews, durch diese Ereignisse für ihr Setting angeregt worden zu sein. Doch die australische Filmemacherin, die zuvor mehrere feministisch positionierte Dokumentarfilme um junge Frauen realisiert hatte, betont auch, dass die Gewaltverhältnisse in bestimmten Sektoren der Arbeitswelt systemisch seien. Und dass sie sich neben dem sexuellen Fehlverhalten im Besonderen auch für sonstige gegenderte Verhaltensstrukturen dort interessiere.

Chronologie eines Tages

Ihr Film macht beides deutlich. „The Assistant“ ist im Konzept und der Realisation weit von der Art thematischer „Schlüsselfilme“ entfernt, die soziale Konflikte durch größtmögliche dramaturgische Zuspitzung illustrieren. Stattdessen erzählt Green (die auch das Drehbuch schrieb) in chronologischer Reihenfolge detailliert von einem der langen Arbeitstage Janes. Der ist nur deshalb besonders, weil Jane sich entschließt, ihre Beobachtungen über die Nachstellungen des Bosses gegenüber einer anderen neu eingestellten jungen Assistentin dem zuständigen Personalchef (schön fies: Matthew Macfadyen) vorzutragen.

Das Gespräch zwischen den beiden steht als zehnminütige Szene im narrativen Zentrum des Films und inszeniert betriebliche Abhängigkeitsverhältnisse als patriarchal manipulierten Showdown durch persönliche Unterstellungen (Sie sind eifersüchtig, weil eine andere mehr Aufmerksamkeit bekommt), Drohungen (Was wird wohl mit Ihnen passieren, wenn ich diesen Vorgang weiterleite) und Schmeicheleien (Ich weiß, Sie werden es noch weit bringen). „Sie müssen sich keine Sorgen machen. Sie sind nicht sein Typ“, sagt der Personaler am Ende. Doch als sie wieder an ihrem Arbeitsplatz eintrifft, sind die Kollegen schon informiert und am Telefon wartet der Big Boss mit einem einschüchternden Anruf. Ein effektiver Schachzug von Green ist es, diesen Boss nur stimmlich (am Telefon oder als Murmeln im Nebenzimmer) im Film auftreten zu lassen, aber nie als sichtbare Person. So wird die strukturelle Dimension der gezeigten Situationen deutlich. Und der Film kann sich statt auf den Täter auf seine trotz ihrer Aktion gestisch und verbal zurückhaltende Heldin konzentrieren. Die wird von Julia Garner („Ozark“) im distanzierenden Zeige-Gestus so präzise gespielt, dass sich an ihr die Herstellung eines Lächelns als mühsame Arbeitsleistung beobachten lässt. Die sorgfältig kadrierte Bürowelt um sie herum mit Schwärmen von Männern in dunklen Anzügen und wenigen Kolleginnen ist in fahles Licht getaucht und auch akustisch wie gedimmt. Wenn irgendwo gelacht wird, klingt das gleich unheimlich.

Trockene Vorbereitungen

„The Assistant“ erweitert die Liste großartiger Filme aus dem Filmbetrieb selbst um eine Variante, bei der statt der turbulenten Situation am Set die trockenen, doch nicht weniger konflikt­reichen Vorarbeiten im Fokus stehen. Als Bürofilm ist er auch eine heutige Antwort auf Komödien wie Billy Wilders „The Apartment“, wo die Affären des Chefs noch als harmlos gemeinter Aufhänger für eine romantische Liebesgeschichte dienten.

Doch in „The Assistant“ geht um viel mehr als um sexuellen Missbrauch: nämlich die praktische Einübung in ein weibliches Arbeitsleben, wo Aufstieg von Anpassungsleistungen abhängt. Da hat Jane mit ihrem letztendlichen Einlenken an diesem Tag einen großen Schritt getan. „Am Anfang ist es immer stressig“, sagt der Vater ihr nach dem Feierabend am Ende des Films. „Das ist eine große Chance für dich. Es wird besser werden.“ Beruhigend klingt das nicht.

„The Assistant“. Regie: Kitty Green , USA 2020. Läuft im FSK