: In den Farben der Eroberung
Die Regisseurin Anne Lenk schärft in ihrer Inszenierung von Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“ am Deutschen Theater den Blick für die Farce in der Komödie um Machtmissbrauch
Von Katja Kollmann
Weintrauben schmiegen sich an Pfirsiche, eine aufgeschnittene Melone lehnt an Granatäpfeln, darüber thront ein buntgefiederter Papagei. Jan Dawidsz de Hemms „Prunkstillleben mit Papagei“ aus dem Jahr 1655 wird im Deutschen Theater zu einer die komplette Bühnenhöhe einnehmenden Tapisserie, die so nah an die Rampe gerückt ist, dass nur noch eine Stuhlreihe Platz hat. Ulrich Matthes fläzt sich hier im sanft orangefarbenen Rippenunterhemd als lädierter Dorfrichter Adam, Jeremy Mockridge schillert als Schreiber Licht in sämtlichen Oranje-Nuancen. Gerichtstag in einem Dorf bei Utrecht: Der Richter hat Platzwunden am Kopf, beide Perücken verbummelt und dann kommt auch noch der Gerichtsrat zur Supervision. Kleists Setting für ein Lustspiel.
Regisseurin Anne Lenk schärft im Deutschen Theater den Blick für die Farce im „Zerbrochnen Krug“. Die Situationskomik, die in Kleists Dialogen angelegt ist, wird mit Freude ausgespielt, aber bewusst spröde gehalten. Der Blick bleibt so frei für zwei Themenkomplexe, die Kleist schon vor über 200 Jahren im Stück verankert hatte und die das Stück mit aktuellen Diskursen verbinden: Kolonialverbrechen und Macht – in Kombination mit sexuellem Missbrauch.
Lenk kürzt dazu den Text ein, schreibt ihn geringfügig um und ergänzt ihn ein wenig. Dann wirft sie Veit, den Vater des beschuldigten Ruprecht, aus dem Stück, macht aus Gerichtsrat Walter eine junge Gerichtsrätin – und verändert somit die Figurenkonstellation auf der Bühne: statt Männer- gibt es nun einen Frauenüberhang – und die junge Generation stellt die Mehrheit.
Frau Marthe kommt also zum Dorfrichter. Ulrich Matthes spielt ihn diabolisch von Anfang an. Äußerlich erinnern seine Verwundungen mit ein wenig Phantasie an die Hörner des Teufels. Diabolisch ist vor allem sein listig-kreatives Geschichtenerzählen, wenn es um die Ursachen seiner Blessuren geht. Franziska Machens Frau Marthe jongliert vor ihm mit einem Stück Tupperware. Darin die traurigen Reste des wertvollen Kruges.
Lenk und ihr Dramaturg David Heiligers haben die Provenienzgeschichte des Kruges, die von Frau Marthe leidenschaftlich vorgetragen wird, inhaltlich um eine Ebene erweitert: die deutschen Kolonialverbrechen. So erzählt Frau Marthe von den Herero, die niedergeworfen werden und denen man den Krug entwendet hat.
Eindrücklich ist die Fortschreibung des Textes zum Stückende hin. Eve, Opfer von Dorfrichter Adams sexuellen Übergriffen, erhält einen (bei Kleist nicht vorhandenen) Monolog und schärft in ihrer flammenden Rede den Blick für die Verflechtungen zwischen Kolonialismus und Macht- und sexuellem Missbrauch. Sie erzählt es am Beispiel ihres Verlobten Ruprecht, der eingezogen werden soll, und ihrem Gang zum Dorfrichter mit Bitte um Hilfe bei der Freistellung. Adam teilt ihr mit, dass die Wehrpflichtigen in die Kolonien in Batavia eingeschifft werden sollen. Abends kommt er mit der Freistellungserklärung in ihre Stube und verriegelt die Kammer von innen.... Lisa Hrdina sitzt als Eve lange am äußeren Rand der Stuhlreihe. In ihrer Bühnenpräsenz arbeitet sie sich konsequent bis zum Monolog vor. Von Anfang an aber hat ihre Figur Stärke und Widerspenstigkeit. Während Hrdinas Eve Adams Übergriffe beschreibt, befreit sie sich aus der Enge der Stuhlreihe und steigt nach oben. Lisa Hrdina steht nun vor der gemalten Dekadenz der überreifen exotischen Früchte „aus den damaligen Überseegebieten“. Ihre Rede, die sich sprachlich kongenial an Kleists Idiom anlehnt, macht den „Zerbrochnen Krug“ zu einem #MeToo-Stück der Stunde. Und Eve zur eigentlichen Protagonistin des Stücks.
Die Inszenierung ist neunzig knackige Minuten kurz. Blacks, die den die Bühne eingrenzenden Lichtrahmen leuchten lassen, sind ein frischer, sinnlicher Übergang zur nächsten Szene und die Figurenstills, die danach für Sekunden bleiben, sind fürs Auge ein wahres Schmankerl. Denn es ist ein wenig Zeit da, die verschiedenen Orangetöne der witzig-hintergründigen Kostüme (Sibylle Wallum) zu zählen. Trotzdem: Ruprecht wird definitv eingezogen werden, Gerichtsrätin Walter (Lorena Handschin) versichert Eve zwar, dass die Rekruten in den Niederlanden verbleiben. Aber ob sie die Wahrheit sagt oder Dorfrichter Adam ausnahmsweise mal nicht gelogen hat, bleibt offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen