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Schlichte Ikonographie

Die Inszenierung „Frau Ada denkt Unerhörtes“ im Staatstheater Braunschweig will einer Visionärin des Digitalzeitalters huldigen – endet dann aber doch eher in flott komödiantischem Geschnatter

Naima Laube spielt die Heldin Ada Lovelace mit lauernder Unruhe Foto: Joseph Ruben Heicks/Staatstheater Braunschweig

Von Jens Fischer

Eine Frau. Zwei Ausformulierungen. Zwei Empowerments. Zwei Anmaßungen.

„Frau Ada denkt Unerhörtes“ ist Martina Clavadetschers Stück betitelt – gemeint ist Augusta Ada King-Noel, Countess of Lovelace (1815–52). Bilder- und Sachbücher, Romane, Filme sowie eine schier endlose Zahl an Artikeln huldigen ihr als Visionärin der Potenziale des Digitalzeitalters. Eine Programmiersprache ist nach ihr benannt, Straßen natürlich auch. Und eine Fraueninitiative hat den zweiten Dienstag im Oktober zum internationalen Ada Lovelace Tag erklärt – gefeiert werden Leistungen von Frauen in Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik.

Warum Frau Ada ikonografisch durch die Medien strahlt, soll Teil eins des Stücks erklären. Ihr Leben kommt szenenschnipselig auf die Bühne des Staatstheaters Braunschweig. Naima Laube spielt die Heldin mit lauernder Unruhe, genervt bis empört. Szenisch vitalisieren zwei ins Bühnenlicht fantasierte Puppen die biografische Spotlight-Revue, mal sind es Figuren aus Adas Vita, mal Mutmacher:innen, beste Freun­d:in­nen oder Jux-und-Dollerei-Kumpeline bzw. -Kumpel: Cino Djavid ist ein wendig fideler Rollenspielclown, großartig, Saskia Taeger verzappelt leider überaktiv und mit schriller Intonation die meisten Passagen.

Die Regie entwickelt die Hauptfigur nicht als Role Model der Emanzipation, sondern behauptet dies einfach

Schnell plakatiert Milena Mönchs Inszenierung das erste Problem: ein Bild von Lord Byron wird hochgehalten. „Vater“, strahlt Ada. Sie wird ihm nie begegnen. „Ein zudringliches, brutales Scheusal“ empört sich die Mutter, von Götz van Ooyen mit Staatsschauspielerakkuratesse in stolzsteif-puritanischer Gouvernantenmanier verkörpert.

Die Ehe mit dem versoffen erotomanen Dichtergenie endete einen Monat nach Adas Geburt. Damit ihre romantisch dunkle Seele nicht ähnlich ausschweifend zum Klingen gebracht wird wie die des Vaters will die Mutter die überschäumende Fantasie zügeln, das unberechenbare Temperament bändigen, alle Kreativität ausmerzen – und verordnet eine streng naturwissenschaftliche Ausbildung. Rationalität statt Emotionalität. Alles was Spaß macht: verboten. Der autoritären Mutter wirft Ada später vor, ihr „stets die Liebe verweigert“ zu haben. Weswegen die Tochter nun mit Ehemännern und drei Kindern nicht so viel anfangen kann. Frechforsch stürmt sie lieber auf den Flügeln ihres Intellekts mit tollkühnen Träumereien in die Welt des Geistes hinaus.

Ada plant einen Flugapparat. Märchenmädchenhaft auf der Bühne symbolisiert durch einen Einhornluftballon. Ada erlernt auch mit kecker Ironie die weiblich unterwürfige Etikette und gezierte Tanzerei in höfischer Gesellschaft. Selbst wenn sie mit einem selbst erdachten Pferdewettensystem riesige Verluste einfährt, wird das mit dem lässigen Eingeständnis eines Rechenfehlers weggelächelt. Woher sie die Kraft und Überzeugung nimmt, sich ständig überlegen, stets siegessicher zu fühlen, bleibt unklar. Kaum körperliche Gestalt gewinnt ihr Kampf gegen die Frauenrollenkorsetts der Zeit.Überzeugend aber der Forscherdrang. Geradezu erotisch fasziniert nähert sich Ada den ersten Plänen für den (nie realisierten) Computerprototyp des Mathematikers Charles Babbage, ja, sie zittert geradezu vor Begeisterung für die mechanische „Maschine, die denkt“, von Dampf angetrieben und mit Lochkarten steuerbar ist. Für diese Hardware entwickelt die Denkerin, was beiläufig erwähnt wird, einen Algorithmus zur formelgemäßen Berechnung von Bernoulli-Zahlen.

Die Veröffentlichung dieser ersten Software, wie es heute heißt, geschieht unter Pseudonym. Frauen dürfen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht studieren, nicht in Bibliotheken sich schlaulesen, nicht als Wissenschaftlerin Karriere machen. Stoßseufzer der Puppen: „Wärst du nur ein Mann.“ So verlässt Ada, kerlig mit Pfeife, die Bühne ihres schlicht pointierten Biopic-Theaters. Keine historische Charakterstudie, kein lebensrückblickender Fieberrausch, keine Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Leistung war zu erleben. Die Regie entwickelt die Hauptfigur nicht als Role Model der Emanzipation, sondern behauptet dies einfach.

Da bleibt eine Leerstelle: Auf einer Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Leistungen von Ada Lovelace verzichtet das Theaterstück Foto: Joseph Ruben Heicks/Staatstheater Braunschweig

Aber so selbstsicher Ada der patriarchalen Ausgrenzung und den Ressentiments ihrer Zeit begegnete, tritt sie auch im zweiten Teil des Stücks auf. Die Darstellerin ist identisch, erneut soll sie auf roboterhaftes Ausführen männlicher Befehle trainiert werden – und erneut entfleucht sie den Zwängen. Aber Ada ist nun eine furchteinflößend gefühllose Hightech-KI in Menschenform, die Schau­spiel­kol­le­g:in­nen geben drei Aspekte zeitgenössischer Dr. Frankensteins zum Besten. Erneut recht schlicht, wie nun inzwischen wohlbekannte Themen aufploppen, ohne mit Theatermitteln diskutiert zu werden. Etwa die Frage, ob KI als „tote Technik“ Rechte haben dürfe, respekt- und empathiewürdig sei. Und ob sie ihrem Schöpfer, den serienmäßig fehlerhaften Menschen, in naher Zukunft machtvoll überholen und dann als überflüssig entsorgen werde.

Das sei eben Evolution, heißt es im Stück. Und hatte nicht die Ada aus Fleisch und Blut bereits gedacht, dass Rechenmaschinen dereinst wie Gott sein könnten? Als KI definiert sie sich nun als perfektionierten Menschen für eine „bessere Welt, in der es keine Irrtümer mehr gibt.“ „Ich weiß nicht, ob ich das will“, wird entgegnet. Prompt bricht die Aufführung völlig unvermittelt viele Seiten vor dem Ende des Stücktextes ab. Die angekündigten 105 Minuten sind bereits nach 75 Minuten vorbei. Präzisierend geholfen haben die Kürzungen wenig. Wirklich unerhört ist nichts am flott komödiantischen Geschnatter über den künstlichen Geist, der nun mal aus der Flasche ist.

Wieder am 18., 19. 21. 23. und 26. 12, 20 Uhr, Staatstheater Braunschweig

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