kritisch gesehen: Ein biederes Flötchen
Vermutlich gibt es in Bremen ein nur Eingeweihten bekanntes Landesgesetz, nachdem alle Zuschüsse fürs Theater daran gebunden sind, dass auch eine Zauberflöte im Spielplan steht: Die hübsch-bunte Fassung von Wolfgang Amadeus Mozarts Märchenoper, die Regisseur Chris Alexander im Jahr 2008 entwickelt hatte, war nach zwölf Jahren abgesetzt worden, weil der Tesafilm die Kulissen nicht mehr zuverlässig hielt, wie vom TÜV verlangt, oder so ähnlich. Dass die hübsch-bunte neue Fassung von Regisseur Michael Talke erst über ein Jahr danach Premiere feiern durfte, liegt aber nur an der Mitwirkung von Corona bei der Spielplanentwicklung.
Farblich tendiert sie mehr ins Blau-Grüne und sie ist 45 Minuten kürzer als die Vorgängerin: Das macht das Opernerlebnis noch familienfreundlicher. Martin Baum fasst als Sprecher-Papageno die Handlung großzügig zusammen, was Talke allerdings auch dazu inspiriert hat, ihn alle Dialoge ins Mikro sprechen zu lassen, um sie dann elektronisch moduliert in den Zuschauerraum auszustrahlen, während die übrigen Personen so ein bisschen Pantomime machen. Auf die Dauer ein etwas matter Witz.
Auch musikalisch dominiert die entschieden unentschiedene Distanz zur Vorlage. Zwar ist es großartig, das Orchester radikal zu entschlacken, jede Stimme einzelbesetzt und somit die ganze Oper kammermusikalisch transparent zu spielen. Dort aber, wo der Notentext verändert wird, indem man statt der Ouvertüre Zauberflötenvariationen von Ludwig van Beethoven intoniert, ist das nur die leere Behauptung, etwas im Heiligen Bereich zu verrücken: Es ragt also nur historische Zeitgenossenschaft ins Werk hinein, nicht blasphemische Gegenwart, die neue Perspektiven, Revolte und Kritik auslösen könnte. Solche maximal halbherzigen Eingriffe dienen nur dazu, die Probleme des Werks – seinen fürs 18. Jahrhundert ungewöhnlich massiven Rassismus, seine sadistischen Abgründe und seinen stumpfen Sexismus – genau nicht bearbeiten zu müssen, sondern hinter schönen Bildern zu verbergen und mit wundervollem Gesang zu übertönen.
Das ist legitim; nicht jeder Opernabend kann die Welt heilen; und gelungene Verdrängung verletzt niemanden, genau, wie die bewusst naive Vorgänger-Flöte niemanden je gekränkt zu haben scheint. Bloß: Die neue hat dem nichts hinzuzufügen. Und wenn es etwas zu sagen gegeben hätte, so fehlt der biederen Produktion der Mut, es auszuführen. Benno Schirrmeister
Theater Bremen, Großes Haus, 4.,11., 21. 12., 19.30 Uhr, 18., 23., 25. 12., 18 Uhr
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