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Buch „Mädchenmeuterei“ von Kirsten FuchsIn schwerer See

Die heile Welt bleibt zu Hause: Kirsten Fuchs’ Roman „Mädchenmeuterei“ spielt auf einem Containerschiff und ist eine Abenteuergeschichte unter Deck.

Kirsten Fuchs schreibt Bücher für Kinder, für das Theater und hat eine eigene Lesebühne in Berlin Foto: Paul Bokowski

Ist es okay zu lügen? Wenn man damit andere schützen kann? Wenn man ein Geheimnis hat, heißt es dann eigentlich automatisch, dass man lügen muss? Oder heißt es nur, dass man einen Teil der Wahrheit nicht erzählt? Sind Geheimnisse also etwas Schlechtes? Gibt es Menschen, die grundsätzlich schlecht sind?

In Kirsten Fuchs’ neuem Roman „Mädchenmeuterei“ wird auf jeden Fall die letzte Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Artem Kusmyn, Erster Offizier auf dem Containerschiff „Lexy Barker“, ist ein schlechter Mensch. Er setzt Charlotte Nowak und ihre Freundinnen unter Druck und sperrt sie ein. Er versteckt ein illegal gefangenes Schimpansenjunges, erpresst den Kapitän des Schiffes mit einem Geheimnis und schikaniert die Mannschaft.

Kirsten Fuchs: „Mädchen­meuterei“. Rowohlt, Berlin 2021, 496 Seiten, 22 Euro

Wie schon im Vorgängerroman „Mädchenmeute“ versteht Kirsten Fuchs es, die Themen Freundschaft, Ehrlichkeit und Vertrauen, aber auch Unsicherheit, Konkurrenzkampf und Lügen in einen wunderbaren Roman übers Erwachsenwerden zu packen. taz-Leser*innen ist sie bekannt durch ihre Kolumne „Kleider“, die zwischen 2003 und 2005 zweiwöchentlich erschien. Es folgten verschiedene Bücher für Kinder, über Reisen und Theaterstücke für Kinder.

Für ihr Stück „Tag Hicks oder fliegen für vier gewinnt“ erhielt sie 2015 den Berliner Kindertheaterpreis. Seit 2014 hat sie in Berlin-Moabit ihre eigene Lesebühne „Fuchs und Söhne“.

Der Vorgängerroman „Mädchenmeute“

Charlotte, Freigunda, Antonia und Yvette, die sich in „Mädchenmeute“ – 2016 gab es dafür den Deutschen Jugendliteraturpreis – in einem Ferienlager kennenlernen, machen sich in dem neuen Roman auf den Weg nach Marokko, um ihre Freundin Bea zu retten, die in Schwierigkeiten steckt und ominöse Videobotschaften an Charlotte schickt.

Yvette, die Reiche und Selbstbewusste, bringt ihren Vater dazu, den Mädchen zu helfen, von zu Hause abzuhauen und zum Hafen nach Rotterdam zu kommen. Francesca, eine schusselige Journalistin, begleitet die Mädchen, sie will über ihre Abenteuer ein Buch schreiben. Die vier unterschiedlichen Mädchen landen auf einem Containerschiff, eine davon als blinde Passagierin.

Ein Kapitän, der ein Geheimnis mit sich herumträgt; Freigunda, die lange verschweigt, dass sie sich mit ihrem Freund nach Spanien absetzen will; und Yvette, die gar nicht so beliebt und cool ist, wie sie tut – sie alle müssen im Laufe der Fahrt nach Nordafrika lernen, Vertrauen zu fassen und mit der Wahrheit herauszurücken. Die Lügen und Halbwahrheiten sind aber gerade das, was das Chaos verursacht und die Geschichte kompliziert und damit spannend macht.

Rätselhaftes auf dem Schiff

Was hat es mit dem geheimnisvollen Ersten Offizier auf sich? Warum hängen überall im Schiff Bilder von Seeungeheuern? Die eigentlich langweilige Schifffahrt (ohne Fernseher und ohne Internet) wird immer rätselhafter, der Schiffskoch hilft den Mädchen, und mit manchem unheimlich wirkenden Seemann entstehen schon fast Freundschaften.

Die eigentlich langweilige Schifffahrt (ohne Internet) wird immer rätselhafter

Kirsten Fuchs verwebt die Abenteuergeschichte der Ausreißerinnen geschickt mit einem Bildungsroman. Freigunda, aufgewachsen in einer Artistenfamilie, hat immer einen weisen Spruch parat und behält in allen Notlagen die Nerven. Charlotte googelt alles, was sie über Containerschiffe und über die Verschmutzung der Meere finden kann. Die heile Welt bleibt zu Hause, die Mädchen werden mit der Ausbeutung der international besetzten Schiffsmannschaft konfrontiert und den prekären Lebenswelten zu Hause bei den Familien der Seeleute.

In Charlottes Beschreibungen der Schiffsreise verpackt Kirsten Fuchs ihre bildreiche Sprache: „Durch die Kopfhörer und die Mütze gedämpft, vibrierte das metallische Hallen unserer Schritte auf der Treppe. Wir stiegen als Ritter ohne Waffen diesem lebendigen Ungeheuer ins Maul.“

Kammerspiel unter Deck

Die Isolation und Bedrohung auf dem Schiff nutzt Fuchs geschickt, die Krisen der Mädchen auf die Spitze zu treiben: Die Mädchen giften sich an, streiten und versöhnen sich wieder; alles wie in einer Art Kammerspiel unter Deck. Irritierend wirkt dabei nur manchmal, wie wenig real das gesamte Setting ist. Warum schicken die Mädchen keine Nachrichten an ihre Eltern, wo sie sind? Haben sie kein schlechtes Gewissen, weil sie verzweifelt gesucht werden?

Parallel dazu spielt sich in Marokko eine spannende Geschichte ab, ein wildes Durcheinander, das Bea in Form von unkommentierten Videos an ihre Freundin schickt. Sie ist zu ihrem Vater geflohen, den sie kaum kennt und der als Lastwagenfahrer in Marokko und Spanien Waren transportiert und dabei in eine Schmuggelgeschichte verwickelt wird. Verfolgungsjagden, Schlägereien, ein Vater und eine Tochter, die sich langsam näherkommen und auch lernen müssen, zueinander Vertrauen zu haben. Und nicht zu lügen oder nur die halbe Wahrheit zu erzählen.

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