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Aktivistin über polnischen Botschafter in Berlin„Endlich geht er“

Immer wieder demonstrieren Aktivistinnen vor der Residenz des Botschafters. Dessen Frau ist für die Abschaffung des Abtreibungsrechts verantwortlich.

Happening vor der Residenz des polnischer Botschafters und seiner Frau Foto: Soja Photography
Uwe Rada
Interview von Uwe Rada

taz: Vor kurzem hat der polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, bekannt gegeben, dass er im Januar seinen Posten verlassen und wieder zurück in seine Heimatstadt Posen gehen wird. Ein Grund zur Freude?

Agnieschka Glapa: Endlich geht er. Aber wir wissen natürlich nicht, wer an seiner Stelle kommt.

Vor über einem Jahr haben Sie und Dziewuchy Berlin, auf Deutsch Berliner Mädels, damit angefangen, vor der Residenz des Botschafters und seiner Frau zu protestieren. Warum?

Die Proteste richteten sich weniger gegen den Botschafter, als gegen seine Frau Julia Przyłębska, die Präsidentin des Polnischen Verfassungsgerichts. Als solche ist sie verantwortlich für die Verschärfung und faktische Abschaffung des Abtreibungsrechts in Polen.

Im Interview: 

Agnieschka Glapa, wurde in Jelenia Góra geboren, lebt seit 2018 in Berlin und ist aktiv bei Dziewuchy Berlin. Sie arbeitet als IT-Spezialistin.

Weswegen fanden die Proteste vor der Residenz, also dem Wohnort der beiden, statt?

Die Residenz ist kein privater, sondern ein politischer Ort. Wir wollten, dass sie eine ähnliche Angst spürt wie die Frauen, die in Polen schwanger werden.

War die Adresse öffentlich?

Nein, wir haben Sie recherchiert. Wir wussten, dass es in Dahlem sein muss, und wir haben dann Fernsehaufnahmen ausgewertet, in denen der Botschafter und seine Frau zu sehen sind und haben auch die Menschen vor Ort gefragt. Als wir die Adresse in der Thielallee gefunden haben, haben wir eine polnische Flagge dort gesehen und wussten, dass wir dort richtig sind.

Es ist eine Villa…

…die achttausend Euro im Monat kostet. Das zahlen die polnischen Steuerzahler. Wir haben gedacht, das kann doch nicht sein, dass diejenige, die dafür verantwortlich ist, dass es so vielen Frauen in Polen schlecht geht, in Berlin ganz in Ruhe in ihrer Villa lebt.

Wie sahen Ihre Proteste aus?

Normalerweise ist Dahlem ein sehr ruhiger Stadtteil. Als wir durch die Straßen zur Residenz gegangen sind, waren viele schockiert und haben sich gefragt, was da passiert. Also haben wir den Menschen erklärt, was in Polen los ist, wie es um die Frauenrechte steht und was Julia Przyłębska damit zu tun hat.

Sie haben auch Flyer verteilt.

An ihre Friseurin, die Kosmetikerin und viele andere.

Wie waren die Reaktionen?

Die Leute haben gesagt: Wir kennen diese Frau, wir sehen sie oft mit ihrem Mann. Sie waren schockiert, dass da Leute wohnen, die für eine solche Politik stehen. Das fanden sie unmöglich.

Und die Polizei?

Die war freundlich, ganz anders als in Polen. Der Botschafter und seine Frau haben die Polizei gerufen, aber die hat uns nicht gestört. Die haben gesagt: Das ist Demokratie.

Die Proteste dauern nun schon ein Jahr an. Wie oft waren Sie seitdem mit den Aktivistinnen und Aktivisten von Dziewuchy Berlin und anderen Protestierenden in der Thielallee.

Etwa fünf Mal. Immer dann wenn etwas in Polen passiert ist und als „Dziewuchy Berlin und Freunde“. Wir sind viel.

Beim ersten Besuch hieß es, es sei das Ziel der Proteste, Julia Przyłębska zu verjagen. Das ist ihnen jetzt gelungen. Glauben Sie, dass die Entscheidung des Botschafters aufzuhören, unmittelbar auf Ihre Proteste zurückzuführen ist.

Das glauben wir nicht, wir wissen es. Julia Przyłębska wollte nicht ständig behelligt werden und in Ruhe leben und arbeiten. Wir haben ihr gezeigt, dass wir wissen, wo sie wohnt und dass sie kein ruhiges Leben haben wird.

Sie hat das Polnische Verfassungsgericht von Berlin aus geleitet?

Das wissen wir nicht genau. Sie war auch oft in Warschau. Bevor sie Präsidentin wurde, hat sie ihren Mann oft mit dem Zug in Berlin besucht. Seitdem pendelt sie mit dem Auto und mit Bodyguards, die sie begleiten. Als wir vor einem Jahr nach Dahlem mobilisiert haben, haben sie an dem Tag ihre Residenz verlassen. Offenbar hatten sie Angst.

Es gab auch Kritik an Ihren Aktionen, auch wegen der Wortwahl. Auf Transparenten haben Sie gefordert: Verpisst Euch.

Seitdem die PiS an der Macht ist, haben wir Frauenstreiks und den Schwarzen Protest organisiert. Das hat die Politik der Regierung nicht geändert. Sie kümmert sich nicht um Menschenrechte und um Frauenrechte. Wir sind wütend. Das drückt sich auch in unserer Sprache aus. Die Eskalation ging aber vom Verfassungsgericht aus.

Anfang Dezember soll auf Antrag einer Stiftung im polnischen Parlament über die komplette Abschaffung des Abtreibungsrechtss debattiert werden. Selbst eine Vergewaltigung wäre dann kein Abtreibungsgrund mehr. Gibt es neue Proteste?

Wir werden weiter protestieren. Wir werden deutlich und laut sagen, dass es uns reicht. Genug ist genug.

Die neue Debatte findet statt, nachdem in Polen eine Frau starb, weil sich Ärzte geweigert haben sollen, einen geschädigten Fötus rechtzeitig abzutreiben. Ist das eine Provokation?

Dies ist keine Provokation, es ist ein Drama. Ein Drama für die Frauen, die während der Schwangerschaft Komplikationen bekommen, ein Drama für die Frauen, die Angst haben, schwanger zu werden. Der Entwurf eines neuen Anti-Choice-Gesetzes, der demnächst im Parlament diskutiert werden soll, ist aber nichts Neues. Diese Kreise, zu denen beispielsweise der Ordo Iuris gehört, versuchen ständig, die Rechte der Frauen einzuschränken und ihr ultra-christliches Lebensmodell durchzusetzen. Übrigens nicht nur in Polen. Sie sind in Europa gut vernetzt und in vielen Ländern tätig.

Wie wird Ihr Protest in Polen wahrgenommen?

Sowohl in Polen als auch in Berlin wussten viele Menschen einfach nicht, dass Julia Przyłębska in Berlin lebt. Dank unserer Kampagnen wissen sie es jetzt.

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5 Kommentare

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  • Mit der politischen Einschätzung völlig d'accord. Die Methode finde ich zweifelhaft. Ich wäre umgekehrt schwer empört, wenn Nazis das Privathaus eines Politikers belagern würden, bis der mit Familie vertrieben ist. Es ist banal: der Zweck heiligt die Mittel eben nicht.

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @rosengrob:

      Botschafter != gewählter Politiker.

  • Dass das Abtreibungsgesetz in Polen, wie zahlreiche weitere in der letzten Zeit dort erlassene gesetzliche Bestimmungen, eklatant gegen die Menschenrechte von Frauen verstößt, daran kann wenig Zweifel bestehen. Dass auf EU-Ebene dagegen gerichtlich vorgegangen wird und, falls Polen entsprechende Rechtsprechung ignoriert, von der Regierung nicht geleistete Strafzahlungen in vollem Umfang von EU-Geldern für Polen abgezogen wird, halte ich richtig. Es gilt, alle rechtsstaatlichen Mittel der EU einzusetzen, um für alle Polen rechtstaatliche Verhältnisse, die den Namen verdienen, zu erkämpfen.

    Was aber ebenso wenig mit den Grundsätzen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit vereinbar ist, ist die totalitäre Selbstermächtigungsattitüde aktivistischer Milieus. Die Methode des Prangers, die darauf setzt, Diplomaten oder demokratisch gewählten Repräsentanten, selbst wenn sie gegen demokratische und rechtstaatliche Grundsätze verstoßen, das Privatleben zur Hölle zu machen, ist gleichfalls antidemokratisch und vorsintflutlich.

    Der schreckliche Satz aus Aurelius Augustinus' "De Civitate Dei", nämlich der, dass der Zweck die Mittel heiligt, ist historisch auf schrecklichste Weise mehrfach widerlegt. Es sind die Mittel, aus deren Logik sich als Selbstzweck die zugrundeliegende antidemokratische Ideologie ergibt. Wer zu regressiven Mittel aus vordemokratischen Zeiten greift, hat die eigene Demokratieunfähigkeit dadurch schon nachgewiesen - und wenn er oder sie sich noch so selbstherrlich in vermeintlich hehren Absichten zu wiegen wägt.

  • Die EU muss schleunigst reformiert werden. Es geht nicht an, dass Länder wie Polen Menschen und Frauenrechte ignorieren und beschneiden. Es muss endlich einen Mechanismus geben um Mitgliedsstaaten, die sich nicht an die allgemeinen Richtlinien bezüglich unabhängiger Justiz, freier Medienberichterstattung, Migration, Integration und Menschenrechte halten zu suspendieren und wenn nötig aus der EU auszuschliessen. Das würde zur Vorbeugung gereichen und eventuelle Despoten daran hindern ihre Vorstellungen trotz Widerstand in der eigenen Bevölkerung durchzusetzen. Inzwischen sollten Polen und Ungarn sämtliche Bezüge der EU gestrichen werden. Wir leben im 21. Jahrhundert und derartige Bestrebungen wie das Verbot von Abtreibungen sind intolerabel. POLEXIT NOW!

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @Franco Tiradorppp:

      Migration? Guter Witz. Alle Mitgliedsstaaten fahren doch die Linie von PIS und Fidesz. Und in Deutschland sind die Staatsanwälte immer noch weisungsgebunden. Menschenrechtsverletzungen werden in der EU auch konsequent toleriert, sonst wären Snowden und Assange schon im hiesigen Asyl und Spanien würde nicht regelmäßig nur einen Klapps auf die Finger kriegen, von Gerichten, die gegenüber Spanien nichts durchsetzen können.