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Einfach immer weiterfahren

Jaroslav Rudiš schreibt über Züge, Speisewagen und seine Sucht, und zwar höchst vergnüglich

Jaroslav Rudiš: „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“. Piper Verlag, München 2021, 256 S., 15 Euro

Von Klaus Hillenbrand

Die Lektüre von „Winterbergs letzte Reise“, diesem großartigen Roman über eine irrsinnige Bahnfahrt durch Mitteleuropa auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit, gab schon deutliche Hinweise. Der tschechische Autor Jaroslav Rudiš muss einen engen Bezug zur Eisenbahn unterhalten und verfügt offenbar über eine stattliche Sammlung alter Baedeker-Bände. Ein Punkt kann nun bestätigt werden. Denn Rudiš’neues Buch ist eine Hommage an die Eisenbahn und ihre Mitarbeiter, vom Fahrdienstleiter bis zum Koch im Speisewagen.

„Gebrauchsanweisung für Zugreisen“ nennt sich der Band, und er kommt daher, als handele es sich um ein Sachbuch, ausgestattet mit vielen Tipps für Bahnfahrten. Aber ein richtiges Sachbuch ist das nicht, eher ein Geschichtenbuch. Rudiš nimmt den Leser mit auf seine Fahrten, erklärt seine Eisenbahnverrücktheit. Er erzählt von seinem Onkel Miroslav, dem Bahnhofsvorsteher, von Herrn Popović in seinem Speisewagen – und von seiner eigenen Brille.

Die, respektive seine Sehschwäche, ist es nämlich, die verhindert hat, dass der junge Jaroslav Rudiš seinen Traumberuf des Lokführers ergreifen konnte und nun stattdessen höchst unterhaltsam als ewig auf Schienen Reisender über eben diese Schienen schreibt.

Dabei erfahren wir nicht nur höchst Nützliches wie Hinweise zu ganz besonderen Bahnhofskneipen wie etwa der von Jedlová im Tschechischen oder am ersten Bahnsteig im italienischen Ravenna. Rudiš entführt den Leser auch in Gefilde, die Uneingeweihten auf ewig verschlossen blieben. Dazu zählt die so anregende Lektüre von Kursbüchern, von denen der Autor eine stattliche Sammlung auf der heimischen Toilette aufbewahrt. Er berichtet von Lokomotiven, die Namen wie „Krokodil“ oder „Brillenschlange“ tragen, und von wenig einladenden Personenwaggons namens „Honeckers Rache“.

Er schreibt von einer völlig verregneten Bahnfahrt durch Belgien, die dennoch eine Menge Spaß gemacht haben muss. Ein Höhepunkt ist die völlig irrsinnige 48-stündige Bahndauerfahrt quer durch Deutschland mit der Netzkarte, bei der es augenscheinlich nicht darum geht, irgendwo anzukommen, sondern möglichst immer weiterzufahren.

Dabei erfahren wir nicht nur Nützliches wie Hinweise zu besonderen Bahnhofskneipen wie etwa der von Jedlová im Tschechischen oder am ersten Bahnsteig im italienischen Ravenna

Bahnfahren als Lebenszweck, ein Platz im Speisewagen als Krönung alles Irdischen: Dieses Buch ist vergnüglich und verrückt.

Am Ende lässt sich Rudiš’unverbrüchliche Liebe zur Eisenbahn nachvollziehen, ja, man will selbst auf der Stelle in den nächsten Schnellzug nach Prag, Rom, Warschau oder Lemberg einsteigen, um dieses Flair miterleben zu können.

Wir sehen uns im Speisewagen. Aber vergessen Sie nicht den Baedeker von 1913.

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