piwik no script img

Elke Wittich Erste FrauenWie Lady Henrietta Gilmour erfolgreich über das Eis fegte

Vermutlich war Lady Henrietta Gilmour nicht die erste Frau, die mit einem Strohbesen in der Hand eine Eisfläche betrat, um darauf Curling zu spielen. Aber sie war in mehrfacher Hinsicht eine Pio­nierin: Sie sorgte dafür, dass der von ihr und ihrem Mann 1885 gegründete Curling-Club auch Frauen als Mitglieder aufnahm, dokumentierte als ausnehmend talentierte Hobby­fotografin das gesellschaftliche Leben in Schottland des späten 19. Jahrhunderts – und außerdem gelang ihr das wohl erste Sport-Selfie der Welt, zu dem wir aber erst etwas später kommen.

Henrietta Gilmour wurde 1852 im kanadischen Quebec geboren, ihr fünf Jahre später verstorbene Vater David war der jüngste Sohn eines damals prominenten Schiffs- und Holzkaufmanns. Über Henriettas Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Fest steht, dass sie sportbegeistert war, gerne Schlittschuh lief und sich in ihren Cousin John Gilmour verliebte, als der zu einem Geschäftsbesuch in Kanada weilte. 1873 heirateten die beiden und Henrietta zog zu ihm nach Schottland, wo er ein großes Anwesen besaß. Das Paar bekam sieben Kinder.

John Gilmour war zeitlebens ein begeisterter Curler. Im Jahr 1885 gründete er den Lundin and Montrave Curling Club, der alsbald in der schottischen Dachorganisation Royal Caledonian Curling Club aufgenommen wurde. Eine der Grundvoraussetzungen war, eine eigene Spielfläche zu haben, was die Gilmours für die damalige Zeit ungemein elegant damit lösten, dass sie auf ihrem Grundstück einen eigenen See dafür anlegten.

Henrietta begann allerdings erst nach der Geburt ihres letzten Kindes im Jahr 1889 ernsthaft damit, Curling zu spielen, obwohl sie in den Annalen des Clubs als Mitgründerin geführt wird. Alsbald gründete sie ein Damen-Team, das Zeitungsberichten zufolge ungemein erfolgreich war. Männer und Frauen spielten allerdings auch gemeinsam: Ein Gemälde des schottischen Malers Charles Martin Hardie mit dem Titel „Curling at Carse­breck“ zeigt auf einem zugefrorenen See neben einer großen Menge Männer auch zwei Frauen, im grauen Winterkostüm ist Henrietta Gilmour ganz rechts zu sehen.

Um 1890 herum entdeckte sie zudem die Fotografie als Hobby, und rasch zeigte sich, dass die anerkannt erste Fotografin Schottlands auch dafür großes Talent hatte. 1.500 Negative ihrer Bilder werden nunmehr in der St.-Andrews-Universität aufbewahrt, 600 weitere im schottischen Nationalmuseum. Henrietta Gilmour fotografierte hauptsächlich das Leben ihrer Familie, Freunde und Kinder – und dazu gehörte eben immer auch Curling.

Ein 1896 aufgenommenes Bild wurde sogar in der Zeitschrift Hearth and Home veröffentlicht, es zeigt vier Frauen, die mit Besen in der Hand auf einem ummauerten See oder Teich stehen. Eine von ihnen ist Henrietta Gilmour. Sie hatte, so vermutet der englische Blog Curlinghistory, die Kamera auf das Sujet ein- und sich dann zu ihren Freundinnen gestellt, während eine unbekannte Person auf den Auslöser drückte. Und damit das bereits oben erwähnte mutmaßlich erste Sport-Selfie geschossen.

Ein Jahr später wurde John Gilmour von Queen Victoria zum Baronet geadelt, und Henrietta zur Lady.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen