: „Die Freude über Post ist essenziell“
Das Theaterkollektiv Markus & Markus hat für sein aktuelles Stück mit Inhaftierten zusammengearbeitet – durch Briefe
Interview Teresa Wolny
taz: Schreiben wir zu wenig Briefe, Herr Schäfer?
Markus Schäfer:Jede Person darf so viele Briefe schreiben, wie sie möchte. Ich habe es genossen und genieße es immer noch, andere schriftlich am Leben teilhaben zu lassen und Gedanken auszutauschen. Wenn ich den Briefkasten öffne und da ist ein Brief drin, ist das etwas Wunderbares – genauso ist es der Gedanke, wie sehr sich meine Oma über einen Brief freut.
Was können Briefe besser als etwa Interviews?
Man wägt länger ab, man überlegt, wie bestimmte Dinge am besten formuliert werden können – das entschleunigt. Eine Brieffreundin erzählte mir mal, dass allein die Zeit, die Menschen für Briefe an sie investieren, für sie etwas ganz Besonderes ist. Mit Briefen geht immer auch eine bestimmte Zeitlichkeit einher. Anders als zum Beispiel jetzt gerade, wo gleich die nächste Frage hinterhergeschossen kommt, lädt das Schreiben eher zum Verweilen ein. In unserem Stück ist das Briefeschreiben aber natürlich auch einfach der Situation geschuldet.
Darin arbeiten Sie mit Personen zusammen, die lebenslänglich im Gefängnis sitzen und mit denen Sie Briefe austauschen.
Ja, im Gefängnis ist diese Art eine der wenigen funktionierenden Kanäle, um sich auszutauschen. Das Verblüffende ist, dass das oft Briefe sind, wie man sie in vielen Brieffreundschaften schreibt: Es geht darum, wie es einem geht, wie der Tag, das Essen oder das Wetter waren und was die Vögel draußen gerade machen. Es geht aber auch um die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und der Zukunft.
Wie hat dieser Austausch begonnen?
Er ist aus dem Projekt davor entstanden, in dem wir in ganz Deutschland per Flaschenpost nach Ideen und konkreten Vorschlägen für mehr Menschlichkeit gesucht haben. Eine Antwort war, Briefe an Inhaftierte zu schreiben. Darüber haben wir lange diskutiert und uns dann entschieden, das zu machen. Über Gesuche auf Internetportalen haben wir uns dann an unsere späteren Protagonist:innen gewendet und sehr früh offengelegt, dass wir über ein Theaterstück nachdenken.
Wissen Sie, ob Ihre Protagonist:innen in Haft auch sonst Briefe schreiben?
Ja, die meisten haben auch noch andere Brieffreund:innen. In dieser Situation sind Briefe auch ein Zugang zur Welt und ein Kanal nach draußen. Die Freude darüber, wenn Post eingeht, ist für viele sehr essenziell.
Theaterstück „Die Brieffreundschaft“ von Markus & Markus: Premiere heute, 25. 11. (ausverkauft), bis Sa, 27. 11., jeweils 20 Uhr, Braunschweig, LOT-Theater, Kaffeetwete 4a; https://www.lot-theater.de
Ihre Protagonist:innen haben auch an Konzeption und Regie mitgearbeitet. Wie können sie das fertige Stück rezipieren?
Das ist unterschiedlich. Mit einigen geht das nur in Schriftform durch Berichte. Anderen können wir per Post oder auf einem speziellen Portal Fotos schicken. Eventuell gibt es die Möglichkeit, dass Freund:innen oder Familie ein Video oder sogar eine Aufführung sehen und damit noch mal direkter berichten können.
Wie gehen die Brieffreundschaften nach dem Stück weiter?
Diese Frage stellt sich uns oft, denn das ist nicht das erste Stück, bei dem wir intensiv mit Leuten zusammengearbeitet haben, die mit Theater nicht viel zu tun hatten. Für uns ist die Antwort ziemlich klar: Wir können diese Art von Theater nur machen, wenn wir die Zusammenarbeit nicht nur an das Stück binden. In diesem Fall haben wir also eine Brieffreundschaft. Die endet nicht, nur weil das Stück vorbei ist. Das ist auch eine Herausforderung, weil der Kreis solcher Beziehungen über die Jahre immer größer wird. Gleichzeitig ist das aber etwas sehr Bereicherndes und Schönes. Bei den Brieffreundschaften ist die Tatsache, dass es diesen Austausch überhaupt gibt, das Wichtige.
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