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Hin zu einer neuen Direktheit?

KUNST Nächste Woche wird der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst in Berlin vergeben. Unser Autor ist schon jetzt von der Schau restlos überzeugt, wenn nicht gar begeistert

Diese Ausstellung ist über weite Strecken einfach relevanter als das, was man sonst oft zu Gesicht bekommt

VON DOMINIKUS MÜLLER

Wenn am nächsten Dienstag in Berlin zum fünften Mal der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst vergeben wird, dann hat vor allem eine schon gewonnen: die Kunst selbst. Denn egal, wer von den vier für die sogenannte Shortlist ausgewählten Nominierten den mit 50.000 Euro recht hoch dotierten Preis bekommt, das eigentlich Erstaunliche ist jetzt schon die gemeinsame Ausstellung, die nun in einem Seitentrakt des Berliner Museums für Gegenwart, dem Hamburger Bahnhof, zu sehen ist. Endlich, so scheint es, sieht man hier einmal Kunst, die dem Namen, den diese Räume tragen, zur Ehre gereicht: Gegenwartskunst. Diese Ausstellung ist dabei über weite Strecken auch noch politischer und kritischer und damit am Ende eben einfach relevanter als das, was man sonst oft zu Gesicht bekommt.

Da wäre etwa die Installation von Danh Vo, ein seltsames Sammelsurium von gefundenen Dingen, zentriert um einen in seine Einzelteile zerlegten Kronleuchter aus dem Pariser Hotel Majestic.

Ein stummer Zeuge der Geschichte, unter dem 1973 das Friedensabkommen unterzeichnet wurde, das den Vietnamkrieg beendete. Auch die anderen Dinge, die Vo, in Vietnam geboren und mit seinen Eltern nach Dänemark geflüchtet, hier zeigt, fungieren als Platzhalter für das blutige und gewaltsame Aufeinandertreffen Vietnams mit dem Westen – das alte Gewehr etwa, der Pferdesattel des christlichen Missionars oder die Grabmalskulpturen. Vo, der sonst virtuos mit seiner Biografie spielt, um im Gewirr der Identitäten jegliche Erwartungshaltung zu unterlaufen, gelangt hier zu einer für ihn neuen Direktheit.

Auch Omer Fast, 1972 in Jerusalem geboren, macht das, was man im weitesten Sinne politische Kunst nennen könnte. Gekonnt verschränkt er in seinen Filmen und Videoinstallationen Fiktion und Wirklichkeit, biografische Details und Zeugenaussagen mit deren Reenactment. Sein aufwändig produzierter dreiteiliger Filmbeitrag „Nostalgia I–III“ führt entlang der Geschichte eines nigerianischen Flüchtlings wie aus dem Lehrbuch die Einbettung und Umformung von Erinnerung vor. Formuliert aus Fragmenten werden lange mäandernde Storys, ewig im Kreis sich drehend um eine traumatische Leerstelle.

Ähnlich geartet auch der zweite Filmbeitrag von der ebenfalls aus Israel stammenden Keren Cytter. Auch sie schichtet Ebene auf Ebene und montiert Fragmente und kurze Sequenzen zu einem Sog der Bilder und Wörter. Ihre drei Filme, die buchstäblich bis aufs Blut geführte Beziehungsdramen im WG-Format durchexerzieren, verweisen aufeinander, klauen sich Bilder oder Textzeilen und dienen sich so gegenseitig als potenzielle Vor-, Nach- und Nebengeschichten. Hier geht es zwar eher um die bedrückende Mikropolitik des Privaten, aber eben auch um Geschichte und ihr Erzählen, um Dramen. Kurz: um Menschen jenseits des sterilen White Cubes.

Besonders deutlich wird die Gemeinsamkeit jener drei Positionen vor dem Hintergrund der Vierten und Letzten im Bunde, der Fotografin Anette Kelm. Ihre Thematisierung von Variation und Wiederholung, ihr Verständnis von Serie und Einzelbild ist beeindruckend und klar. Etwa wenn sie vier Aufnahmen eines Sonnenblumenfeldes nebeneinander hängt, die auf den ersten Blick völlig gleich erscheinen – und die dann doch minimal voneinander abweichen. Genauso offenbaren ihre Beiträge eine gesunde Portion medialer Selbstreflexion, ein Wissen um Geschichte und ihre Schichtungen. Und doch wirkt das im direkten Vergleich seltsam brav, zu sehr darauf bedacht, alles richtig machen zu wollen. Und dennoch, liegt ihr Beitrag nicht um Längen über dem, was man sonst in den Berliner Museen geboten bekommt?

Und so passt diese Ausstellung gut ins Bild einer hauptstädtischen Museumslandschaft, die sich nach Jahren des Dornröschenschlafs gerade in einer Zeit des Aufbruchs wähnt. Mit der Figur des neuen Direktors der Nationalgalerie, Udo Kittelmann, weiß sie einen Hoffnungsträger zu präsentieren, der die schwerfälligen Institutionen der Stadt wieder auf Augenhöhe mit deren vitaler Galerie- und Projektraumszene bringen könnte. Das verspricht spannende, junge Kunst auf der Höhe der Zeit. Egal, wer am Ende den Preis mit nach Hause nehmen wird.

■ Ausstellung bis 3. 1. im Hamburger Bahnhof, Berlin

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