Kolumne Durch die Nacht: Wenn das L-Wort wieder kursiert
Es wird gefordert, dass auch Geimpfte oder Genesene sich zusätzlich testen lassen müssen, wenn sie ins Theater gehen oder tanzen wollen.
Während ich diese Zeilen niederschreibe, prasseln die Coronameldungen nur so auf mich ein. RKI sagt dies, Christian Drosten jenes und Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auch irgendwas. Alles mit derselben Stoßrichtung: Wir müssen etwas tun. Und zwar sofort. Die Entwicklung ist so dynamisch, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass ich mich erneut im Jogginghosenmodus befinde und das Klopapier knapp wird, wenn dieser Text nun erscheint.
Denn selbst das eigentlich auf den Index gesetzte L-Wort kursiert wieder. Einen neuerlichen Lockdown sollte man nicht ausschließen, sagen jedenfalls manche. Vielleicht ersetzt bald ja auch wieder die hassgeliebte Kolumne „Berlin Viral“ das eben erst zurückgeholte „Ausgehen und Rumstehen“ im Berlinkultur-Ressort dieser Zeitung.
Aber nach jetzigem Stand soll das Kultur- und Freizeitleben erst einmal weitergehen. Flächendeckend 2G. Ungeimpfte ohne Netflix-Abo sollten sich also schleunigst eines zulegen, woanders werden sie bis auf Weiteres keinen Spaß mehr finden. Und der eh schon gebeutelten Veranstaltungsbranche bleibt nichts anderes übrig, als bei ihren geplanten 3G-Events schnell noch ein G wieder abzuziehen.
Wer wird schon auf Ermahnungen hören?
Die Virologenzunft der Nation rät aber auch den Geimpften und Genesenen: Spart euch euer Vergnügen, bleibt lieber daheim auf der Couch und meidet Kontakte. Aber wer wird schon auf diese Ermahnungen hören? Am 11. November war ich in der Kulturbrauerei unterwegs. Dort waren überall Menschenschlangen vor den Clubs, und alle waren ziemlich komisch verkleidet und hibbelig. Was war hier denn los?
Ach so: Karnevalbeginn. Ich dachte eigentlich, die Berliner hätten mit dieser Art von rheinländischem Frohsinn nichts am Hut. Aber nach Monaten der Pandemie-Tristesse scheint das Feiervolk sich jetzt selbst für ulkige Kostümierungen und das Verabreichen von Bützchen erwärmen zu können. Hauptsache, es ist halt mal wieder was los.
Auch vor dem Watergate sammeln sich an den Wochenenden schon kurz nach der Tagesschau derartige Menschenmassen, dass man dort wahrscheinlich schon die ersten Impfdurchbrüche vermelden könnte, bevor die Leute überhaupt in dem Laden sind.
2G allein reiche aber nicht einmal, um jetzt noch das Allerschlimmste verhindern zu können, das glaubt inzwischen nicht nur Markus Söder. Auch Geimpfte oder Genesene sollten sich zusätzlich testen lassen müssen, wenn sie ins Theater gehen oder tanzen wollen, wird gefordert. Wie gesagt: gut möglich, dass in der Zeitspanne zwischen dem Niederschreiben dieses Textes und dessen Veröffentlichung aus dem Wunsch bereits eine Verordnung geworden ist.
Den Kulturbetrieb selbst würde das wohl nicht mal wundern: Der Pressesprecher der Clubcommission hat mir schon vor Monaten gesagt, dass alle Experten, die sie zu Rate gezogen hätten, meinten: Wahrscheinlich werde es im Winter sowieso auf 2G plus Test hinauslaufen. Das war ungefähr zu der Zeit, als die Politik gerade beschlossen hatte: Testen werde demnächst etwas kosten. Aber vielleicht konsultiert die Clubcommission auch einfach nur andere Virologen als unsere Politiker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!