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Demente Frau in Wohngemeinschaft gequält

JUSTIZ Amtsgericht verurteilt Pflegerin zu einer Geldstrafe. Sie hatte eine Demenzkranke gezwungen, den Boden zu wischen

Als Christiane Ha. kurz vor ihrem Prozess den Sitzungssaal verlassen will, bittet sie den Gerichtsfotografen schelmisch lächelnd: „Aber keine Fotos!“ Ihr Charme nützt ihr nichts, denn seit Kurzem ist es auch im Amtsgericht Tiergarten üblich, dass sich Gericht und Angeklagte vor dem Prozess ablichten lassen müssen. Der fülligen Frau bleibt nichts anderes übrig, als ihr Gesicht in ihren Händen zu verbergen.

Doch eher müsste man diese über dem Kopf zusammenschlagen, wenn man hört, was der 49-Jährigen vorgeworfen wird. Sie soll vor einem Jahr die depressive, demenzkranke Frau Hi. mit körperlicher Gewalt gezwungen haben, den Boden zu wischen. Eine überforderte Frau als systembedingte Erscheinung des Pflegenotstandes?

Auf der Suche nach einer Antwort erkundigt sich die Richterin zuerst nach der Patientin. „Tja“, sagt Christiane Ha. mit tiefer Raucherstimme. „Frau Hi. läuft nebenbei. Es kümmert sich keiner um sie.“ Um dennoch die Aufmerksamkeit des Personals zu erhalten, würde sich ihr ehemaliger Schützling allerlei einfallen lassen: Sie entleere sich auf dem Boden oder schütte mutwillig ihr Getränk in die Gesichter der Pflegekräfte. „Ich habe da jeden Tag so viel abbekommen …“, meint die Angeklagte.

An jenem Freitag versorgte sie mit einer Praktikantin die zwölf Pflegebedürftigen einer Neuköllner Wohngemeinschaft. Die Praktikantin habe gerade mit ihrer Mutter Kaffee getrunken. Christiane Ha. habe sich in dieser halben Stunde allein um die Bewohner gekümmert, als Frau Hi. mutwillig ihr Getränk umkippte. „Okay, Frau Hi., jetzt wischen Sie das mal weg!“, habe sie zu der Verursacherin gesagt und ihr einen Wischmob in die Hand gedrückt. Das entspräche den Anweisungen der Pflegedienstleitung. „Sind die Bewohner körperlich dazu überhaupt in der Lage“, wundert sich die Richterin. „Ja“, antwortet die Angeklagte. „Die räumen auch den Einkauf ein und die Spülmaschine aus.“

Die Fotos von den Hämatomen der Bewohnerin und die Aussage der ehemaligen Praktikantin widersprechen dieser Darstellung: Zwar habe sie an diesem Tag Besuch von ihrer Mutter bekommen, sagt sie. Die Mutter war jedoch schon vor dem Vorfall wieder gegangen. „Frau Hi. war übel drauf. Sie versuchte, meine Kollegin ins Gesicht zu kneifen. Ha. kniff daraufhin die Patientin und fragte sie, ob es wehtue.“ Bei von den Bewohnern verschmutzten Böden sollen die Betreuer fragen, ob es der Patient wegwischen könne. „Wenn der nicht will, müssen wir das tun.“ Als Hi. sich weigerte, habe die Angeklagte die Frau immer wieder hochgezogen und ihr den Mob in die Hand gedrückt. Die Demente schlug damit nach ihrer Betreuerin, die ihr daraufhin in die Wade trat.

Drei Tage später erst informierte die Zeugin die Pflegedienstleitung. „Ich war komplett neu in der Pflege. Ich war überfordert.“ Christiane Ha., die sich noch in der Probezeit befand, wurde fristlos entlassen. Heute arbeitet sie als Reinigungskraft. Von ihrem monatlichen 600-Euro-Verdienst soll sie nun 900 Euro Strafe zahlen, entscheidet die Richterin, die der einstigen Praktikantin glaubt. UTA EISENHARDT

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