Theaterstück „Ode“ in Bremerhaven: Abrechnung mit der Cancel Culture
Mit „Ode“ zeigt die neue Intendanz des Bremerhavener Stadttheaters ein Manifest für die Freiheit der Kunst. Ansonsten ist die Eröffnungsspielzeit mau.
Neue Leitung sucht frische Zustimmung. Das Stadttheater Bremerhaven erzwingt sie. Während Websites vieler Kulturanbieter dem Besucher ermöglichen, die Cookie-Nutzung komplett abzulehnen oder individuell zu gestalten, erfährt nur derjenige mit wenigen Klicks etwas über die Bühnenkunst an der Wesermündung, der den möglichen Spionage-Aktivitäten auf seinem Rechner zustimmt.
Freiwillige Zustimmung provozieren soll hingegen das Programm der ersten Spielzeit des aus Schwerin an die Weser gewechselten Intendanten Lars Tietje. Bringt er doch erst mal populäre und anschmiegsame Werke auf die Bühne: das von den Abba-Jungs komponierte Musical „Chess“, Jacques-Offenbach-Oper, Mozart-Singspiel und Paul-Abraham-Operette feiern Premiere, bevor im April nächsten Jahres mit „Oceane“ von Detlev Glanert auch mal etwas gewagt wird. Das Schauspiel setzt im großen Haus auf Well-made-Comedy, boulevardeske Komödie, Musical und mittendrin, als antiker Fels in der lustigen Brandung, auf drei Aufführungen der „Eumeniden“ des Aischylos. Wow-Effekte – Fehlanzeige.
Auch bei den Publikationen des Hauses. Programmhefte und Spielzeitbuch sind layouterisch mal durchgelüftet worden, eine neue Schrifttype fürs Logo ist implantiert, aber sonst wird das Erscheinungsbild des Vorgängers Ulrich Mokrusch weitergeführt. Setzt Tietje auf Kontinuität? Auch dazu schweigt sein inhaltsfreies Editorial fürs Spielzeitheft mit vielen warmen Worten.
Geradezu übermütig heraufordernd wirkt dann die „Ode“ von Thomas Melle als Solitär im Saisoneröffnungsreigen: eine funkelnde Abrechnung mit der Cancel Culture des Kunstbetriebs. Hierzu lässt der Autor diverse Meinungen, Argumente und Welterklärungsmuster aufeinanderprallen. Ob sie virulent in der Bremerhavener Stadtgesellschaft sind, ist angesichts von 17 Zuschauern in der von mir besuchten Vorstellung kaum festzustellen.
Konkret rebelliert die Inszenierung von Manon Pfrunder gegen links- und rechtspolitisch moralisierenden, tugendwächterischen Reinigungswahn im sozialen Miteinander und künstlerischen Ausdruck. Alles beginnt mit der Enthüllung des Kunstwerks „Ode an die alten Täter“, das sich schnell im Wortsinne als lauwarme Luft erweist.
Schlichter Jux oder erhellender Tabubruch? „Es ist monumental, weil es nichts ist“, so wird das Werk im Vernissagen-Jargon bejubelt, als unverständlich und geldverschwenderisch aber auch zum Skandal gehypt von einem Beckmesser-Typ (Richard Feist) der „Wehr“, eine Gruppe besorgter Bürger, die kulturkonservativ bis rechtsnational mit dem Waffenarsenal daheim protzt und Nationalkultur, Brauchtum, Originalkostüme sowie leichte Verständlichkeit einfordert.
Damit konfrontiert findet auch die linke Kulturschickeria die Ode an Täter nicht mehr opportun, der Faschismusvorwurf gärt. Die Künstlerin verliert in dieser aufgeheizten Atmosphäre ihre Reputation und ihren Job. Sie heißt Fratzer und muss wie Fatzer, das von der Gesellschaft ausgestoßene Rebell-Individuum des Brecht-Theaters, schließlich sterben. Bringt sich in diesem Fall selbst um, weil die persönliche Authentifizierung ihres Anliegens nicht fruchtete.
Ihre nicht Bild gewordene, konzeptionelle „Ode an die alten Täter“, so die Künstlerin, sei ein Appell, Ambivalenzen des Lebens auszuhalten. Konkret gelte sie den Nazis, die ihren Großvater umgebracht und ihn so daran gehindert hätten, weiter zu vergewaltigen und zu morden. Wäre er nicht getötet worden, hätte er seine Familie umgebracht.
Im Bösen könne auch was Gutes liegen und umgekehrt, eine solche These verhallt im aufgeregten Kommunikationsklima der einfachen, eindeutigen Wahrheiten von Hasspostings, Shitstorms, Denunziationskampagnen und Impfverweigererdemos. Als einen Grund nennt das Stück, der emanzipatorische Geist sei aus den Diversitäts-, Gender-, Identitätsdebatten gewichen. Kritisiert wird, dass Verbote des Sprechens, Denkens und Handelns ein Repressionsklima mit totalitären Anwandlungen schaffen würden.
Nächste Vorstellungen: 19., 20. + 23. 11., jeweils 19.30 Uhr; 28. 11., 15 Uhr, Stadttheater Bremerhaven
Im 2. Teil der Aufführung will Regisseur Orlando (Kay Krause) das von Gewalt getragene Engerziehen der Kunstgrenzen für die Bühne inszenieren, weil draußen vor den Theatertoren die Wehr zunehmend die Macht übernimmt. Das wird aber zunehmend ausgeblendet, da die Bühnenkünstler an ihren internen Kabbeleien scheitern, wer wen spielen, Anweisungen geben oder überhaupt etwas sagen darf.
Man dürfe nicht mehr darstellen, heißt es, nur über sich selbst sprechen und sein Ich repräsentieren, was ja nun wiederum ein höchst fragwürdiges Konstrukt ist. Vergeblich kämpft Orlando gegen eine Kunst, die sich auf politisch korrekte (Wunsch-)Realitäten beschränken will, denn so schaffe sich beispielsweise Theater als Stachel im Fleische der Gesellschaft selbst ab und habe den neuen und alten Rechten nichts mehr entgegenzusetzen.
Die Regie entwickelt aus den unterschiedlichen Haltungen klar konturierte Thesenträger-Figuren und kämpft ansonsten damit, mehr als eine Publikumsansprache inszenieren zu wollen. Mal versucht’s Manon Pfrunder mit Schattenspiel, mal lässt sie Passagen im NDW-Klangdesign singen. Kein vollends überzeugender Zugriff. Da die Debatten aber in prima zugespitzter, satirischer Deutlichkeit formuliert sind, das eiskalte Pathos ihrer ideologischen Basis aufscheint, entfaltet sich der Abend durchaus als Manifest für die Freiheit der Kunst.
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