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Ein Jahr nach der US-WahlKraftlose Demokraten

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Der Zauber von Joe Bidens Start als US-Präsident ist verflogen. Das liegt an einer selbstbezogenen Partei und verkrusteten Strukturen.

Die Zustimmungswerte für Joe Biden sinken, aber das liegt vor allem an den Demokraten Foto: MediaPunch/imago

N ach dem Debakel bei den Gouverneurswahlen in Virginia scheint der Höhenflug, den die USA mit ihrem neuen Präsidenten Joe Biden gemacht haben, wie eine lang zurückliegende Vorgeschichte. Selbst bei den Demokraten ist die Zustimmung zu Bidens Amtsführung geschrumpft. Dabei ist es nicht einmal zehn Monate her, dass er ins Weiße Haus einzog und dass ein Ruck durch das Land ging.

Bei seiner Ankunft war Biden mit einer medizinischen Katastrophe konfrontiert, die sein Amtsvorgänger schlimmer gemacht hatte, als sie ohnehin war. Biden fand auch eine pandemiebedingte ökonomische Krise vor, eine nie dagewesene Polarisierung und Vergiftung des öffentlichen Klimas, eine internationale Isolierung, in der Washington mehr mit seinen Erzfeinden als mit seinen traditionellen Alliierten redete – und einen gewalttätigen Angriff auf den US-Kongress, den sein Amtsvorgänger angestachelt hatte.

Biden schien der richtige Mann für den Moment, schlug einen ruhigen und versöhnlichen Ton an, zeigte Mitgefühl, reagierte schnell und zupackend. Er kam mit einem Programm, bei dem es tatsächlich um die Probleme im Land und in der Welt ging. Er holte Fachleute in die verwaisten Räume des Außenministeriums zurück, brachte Frauen und Vertreter der Minderheiten in sein Kabinett, reinstallierte Umweltregeln, bahnte aufgekündigte internationale Abkommen erneut an und unterschrieb schon im März das Konjunkturprogramm, das Privatleuten mit kleinem Einkommen und Kommunen finanziell half.

Wie konnte es passieren, dass der Absturz so schnell und so brutal kam? Dass Biden, der im Frühsommer auf 53 Prozent Zustimmung segelte, inzwischen um 12 Prozentpunkte abgesackt ist, dass seine Reformvorhaben im Kongress stecken bleiben und dass seine Partei die Wähler in Virginia, die sich seit Jahren kontinuierlich auf die Demokratische Partei zubewegt hatten, verloren hat?

Die Antwort hat weniger mit Biden zu tun als mit den Strukturen, die ihn hervorgebracht haben. Biden wollte von Anfang an mehr, als Trump loszuwerden. Er wollte transformieren. Sein Infra­strukturgesetz und seine „Build-Back-Better“-Reform, das Wirtschaftshilfeprogramm, sollen die maroden Straßen, Brücken und das Breitbandnetz modernisieren, die Sonnen- und Windenergie ausbauen und Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen. Zugleich sollen sie überfällige Sozialleistungen einführen – vom Anspruch auf Jahresurlaub über Steuernachlässe für die Kindererziehung bis hin zum Recht auf eine Babypause. Sie sollen auch der staatlichen Krankenversicherung für Senioren erlauben, die Medikamentenpreise zu verhandeln, die gegenwärtig bis zu zehn Mal höher sind als in Europa und Kanada.

Die Republikaner arbeiten an der Rückkehr zur Macht. Die Demokraten verschleißen sich hingegen in Flügelkämpfen

Dass diese versprochenen Reformen nicht vorankommen, liegt zum einen an der Demokratischen Partei, zum anderen an verkrusteten politischen Strukturen und Institutionen des Landes. Sie erfüllen bis heute den Zweck, für den sie ursprünglich im 18. und 19. Jahrhundert konzipiert wurden: Sie wahren den Status quo und verhindern Erneuerung. Unter anderem geben sie Vertretern von konservativen weißen Wählern in ländlichen Bundesstaaten unverhältnismäßig viel Macht.

Die Demokratische Partei hat den Kraftakt vollbracht, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu verjagen. Aber das Pfund, das sie dadurch in Händen hielt, verspielte sie anschließend. Die Partei ist vor allem eine Wahlmaschine. In Kampagnen kann sie Millionen Dollar beschaffen und Menschen und Gefühle mobilisieren. Aber kaum sind die Wahllokale geschlossen, sackt sie kraftlos in sich zusammen und überlässt das Feld streitenden Abgeordneten und Fraktionen, die wirken, als gehörten sie zu verfeindeten Parteien.

Diese Flügelkämpfe unterscheiden die Demokraten von den Republikanern. Letztere haben vier Jahre lang in eiserner Disziplin hinter Donald Trump gestanden, den die meisten von ihnen zuvor nicht als Präsident gewollt hatten. Unter ihm schmiedeten sie Pläne, um ihre Mehrheiten in den Gerichten und in den Bundesstaaten auszubauen. Seit seiner Niederlage arbeiten sie geschlossen an ihrer Rückkehr zur Macht.

Die Demokraten hingegen verschleißen sich in Flügelkämpfen. Schon direkt nach Bidens Wahl fiel der demokratische Senator Joe Manchin aus West Virginia dem neuen Präsidenten in den Rücken. Der Senator verhinderte, dass der Mindestlohn angehoben wurde. Seit dem Sommer sorgen Manchin und die Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona mit geeinten Kräften dafür, dass die Kernstücke von Bidens Amtszeit immer kleiner werden.

Zwei Senatoren torpedieren Bidens Pläne

Die beiden Senatoren vertreten zwei Bundesstaaten, die zusammengenommen weniger Einwohner haben als New York City. Mit repräsentativer Demokratie hat ihre Macht wenig zu tun. Für die Suche nach den Motiven für ihre Blockadehaltung ist ein Blick auf ihre Geldgeber nützlich. Manchin bekommt mehr Geld von Öl-, Gas- und Kohleindustrie als jeder andere US-Senator. Die Branche ist nicht am Ausbau erneuerbarer Energien interessiert. Sinema ist eine der fünf am großzügigsten von der Pharmaindustrie bedachten Mitglieder des Senats. Die Branche wünscht keine niedrigeren Medikamentenpreise.

In Bidens bisheriger Amtszeit sind viele Dinge nicht optimal gelaufen. Die schwerste – und an der Urne folgenreichste – Konfrontation des neuen Präsidenten ist die mit seiner eigenen Partei. Biden hat sein Programm Build Back Better um die Hälfte abgespeckt. Aber selbst in der Schrumpfversion ist es noch das größte Reformvorhaben in den USA seit den 60er Jahren.

Das Schicksal seiner Präsidentschaft liegt in den Händen der Demokraten. Wenn sie das Reformvorhaben durch den Kongress bringen, befördern sie ihr Land in das 21. Jahrhundert und machen sich selbst wieder wählbar. Andernfalls bereiten sie den Weg für ein Comeback von Trump – oder einen Klon von ihm.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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10 Kommentare

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  • Die Demokraten werden nicht mal dann wählbar, selbst wenn sie das Strukturpaket durchbringen. Wer das politische hin und her in den USA verfolgt, der merkt schnell, dass die Demokraten politisch nicht viel mehr zu bieten haben als „Wählt nicht die anderen, die sind BÖSE.“ Was übrigens genau das gleiche ist, was die Republikaner tun.



    Man kann aber nicht permanent über „die anderen“ schimpfen und selbst nichts substanzielles liefern.

  • Nicht auszuschließen, dass sich in den USA in drei Jahren schon das Blatt politisch erneut wendet … hält die schlechte Performance der Biden-Administration in fast allen Politikfeldern an, ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass wir es mit dem Widergänger Trump zu tun bekommen.



    Vor dem Hintergrund des hierzulande angesichts der bis weit ins linke Spektrum hineinreichenden Euphorie über den Wahlsieg der US-Demokraten erstarkten Transatlantizismus stellt sich dann schon die Frage, wie es mit den europäisch/deutsch-amerikanischen Beziehungen zukünftig weitergehen soll … denn die Interessengegensätze waren schon während der ersten Trump-Administration nicht mehr zu übertünchen.



    Die Forderung “Raus aus der NATO!” ist zwar plakativ, aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen … das Problem ist eigentlich nur, dass man kein Haus einreißen sollte, wenn die Pläne für ein neues bewohnbares Gebäude nicht wenigstens schon in der Schublade liegen.



    Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur im Rahmen der EU, unter Einschluss übrigens der US-amerikanischen wie der russischen Sicherheitsinteressen gleichermaßen … das wäre mal ein lohnendes nachhaltiges außenpolitisches Projekt für eine Ampelkoalition, historisch ähnlich bedeutsam wie seinerzeit die Formel „Wandel durch Annäherung“ der sozialliberalen Koalition.



    Ich teile die außenpolitischen Positionen der Linken ebenso wenig wie den neuen grünen Bellizismus, den wir in letzter Zeit erleben konnten … geht das Aussenamt in der Ampel an die Grünen, befürchte ich, wird es keine notwendigen eigenständigen strategischen Weichenstellungen in der Außenpolitik über die noch dreijährige Amtszeit des amtierenden US-Präsidenten hinaus geben. Und sollte Trump tatsächlich wieder nächster Präsident werden, stehen EU und Deutschland mit ziemlich kurzem Hemd da … aber vielleicht müssen wir nur darauf warten, dass die Amis keinen Bock mehr haben, für Europa die Kastanien aus dem Feuer zu holen und künftig auf Isolationismus machen.

    • @Abdurchdiemitte:

      "...dass die Amis keinen Bock mehr haben, für Europa die Kastanien aus dem Feuer zu holen..."

      Die "Amis" haben den nahen und mittleren Osten in mühevoller Kleinarbeit in Flammen gesetzt. Wo sind denn die Folgen (außer in der Region) am meisten zu spüren? Doch nicht in den USA.

      Überhaupt ist es albern, wenn sich der Oberbrandstifter rühmt, irgendetwas aus dem Feuer zu holen.

  • Ich „freue“ mich auf die zweite Amtszeit von D. Trump. Der wird sich die Chance nicht nochmal nehmen lassen, die Welt ins absolute Chaos zu stürzen.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Ist der Unterschied zwischen den beiden Chaoten wirklich so groß?

      Wir sollten uns nicht so viele Gedanken machen, welcher Clown in Washington die Hauptrolle spielt, sondern als Europäer endlich erwachsen werden.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Meine Rede … nur muss das dann auch mit Inhalt gefüllt werden und im europäischen „Konzert“ geschehen, was ich mir eher als Kakophonie vorstelle derzeit. Jedenfalls keine deutschen Sonderwege mehr, wie es der AfD und Teilen der Linken vorschwebt … das wäre aus historischer Perspektive der „Tod im Suppentopf“

  • Womöglich werden Mr. Trumps Klagen über die „gestohlene Wahl“ allmählich leiser werden. Denn mit seiner Bauernschläue, die er zweifellos hat, wird er einsehen, dass er keinen „besseren“ Nachfolger haben kann als Biden. Mit jeder Nicht- und Fehl-Leistung, dieser vollbringt, wachsen Trumps Chancen bei der nächsten Wahl. Wie man hört, hat er hierfür schon einige hundert $ eingesammelt!

  • Von Biden ging ein Zauber aus? Welcher?



    Er hat gerade so gegen Donald T. gewonnen, und hätte gegen einen wie Bush, egal ob jr. oder sen., nicht den Hauch einer Chance gehabt.



    Er ist das kleinere Über, mehr nicht.

    • @Berlin:

      Biden oder Trump … eigentlich könnte es mir egal sein. Das Problem ist aber, dass unsere Zukunft als Deutsche und Europäer nun mal hochgradig davon abhängt, wer in den USA Präsident ist. Das haben wir schon während Trumps erster Amtszeit gesehen (und hoffentlich bleibt es dabei).



      Zeit eigentlich für eine nachhaltige außenpolitische Neuorientierung, ob mit oder ohne NATO … und da so etwas Zeit braucht, wäre es klug, schon jetzt damit anzufangen. Bekommen in den Koalitionsverhandlungen die Grünen den Zuschlag fürs Aussenamt, wird es damit nichts angesichts deren Biden-Euphorie und der neuen bellizistischen Ausrichtung dieser Partei.



      Dabei wären Überlegungen zu einer neuen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik genau so notwendig wie die konsequente Bekämpfung des Klimawandels.

    • @Berlin:

      Eben... mit einer Stimmer Vorsprung im Senat dank der Vizepräsidentin (wenn ich das richtig im Kopf habe) und ohne das Repräsentantenhaus war doch schon am Wahlabend klar: Biden kann einige der Dekrete Trumps aufheben, er kann diesen aggressiven Ton und die falschen Tatsachen, die Trump rausgehauen hat wieder gerade rücken,... aber dann "That's it"

      Was anderes wie Stillstand ist bei diesen Mehrheiten doch gar nicht möglich.