Inflationsgefahr in Europa: Die Geister, die ich rief
In vielen Bereichen steigen derzeit die Preise. Die Gründe sind vielfältig. Ein Risikofaktor ist neu: die Inflationserwartung.
BERLIN taz | Steigende Preise gibt es nicht mehr nur bei Fahrrädern und Computern. Auch Lebensmittel werden immer teurer. Diesel kostet derzeit so viel wie noch nie in Deutschland. Und auch der Gaspreis ist auf Rekordniveau.
Die Inflation im Euroraum ist im September so stark gestiegen wie seit 13 Jahren nicht mehr. Angetrieben vor allem von massiv gestiegenen Kosten für Öl und Gas kletterten die Verbraucherpreise binnen Jahresfrist um 3,4 Prozent, wie die europäische Statistikbehörde Eurostat am Mittwoch mitteilte und damit eine erste Schätzung von Anfang Oktober bestätigte. Das ist der höchste Wert seit September 2008.
In Deutschland betrug sie gar 4,1 Prozent. Einige Ökonomen rechnen damit, dass die Preissteigerung bis Jahresende mehr als 5 Prozent betragen könnte. Schon ist von einer „galoppierenden Inflation“ die Rede, die nicht nur Einkommensschwache treffen würde. Auch der Mittelstand beklagt eine „Preisexplosion“. Sie stelle eine massive Belastung der Wirtschaft dar – und gefährde Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand.
Trotzdem versuchen die Notenbanker der Europäischen Zentralbank (EZB) und Wirtschaftsforschungsinstitute bislang zu beschwichtigen. Ein Großteil des derzeitigen Inflationsanstiegs in Deutschland sei auf statistische Einmaleffekte wie die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung zurückzuführen, sagt Kerstin Bernoth, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Bundesregierung hatte für das zweite Halbjahr 2020 die Mehrwertsteuer gesenkt, um inmitten der Pandemie den Konsum anzukurbeln. Und da die Inflation immer gegenüber den Preisen des Vorjahresmonats gemessen wird, wirkt die Rate derzeit besonders hoch.
Die Energiepreise waren 2020 ebenfalls stark gefallen und haben sich nun aufgrund von Nachholeffekten durch das Wiederanfahren der Wirtschaft nach Corona kräftig erholt. Auch hier sind also Basiseffekte, wie bei den Mehrwertsteuern vorhanden, sagt Bernoth. „Die gestiegene Nachfrage nach Energie hat unweigerlich auch höhere Preise zur Folge.“
Selbsterfüllende Prophezeiung
Doch gegenüber dem Sommer sehen einige Ökonomen inzwischen einen neuen Risikofaktor: die Inflationserwartung. Wenn zu viele Unternehmer und Händler trotz der Beschwichtigungen der Ökonomen erwarten, dass die Preise in der nächsten Zeit deutlich steigen, und sie deswegen selbst ihre Preise erhöhen, könnte das eine Preis-Lohn-Spirale auslösen. Sprich: Es wird wirklich alles teurer.
Noch ist das nicht der Fall. Bei der regelmäßigen Befragung der EZB von Volkswirten, wie sie die künftige Preisentwicklung einschätzen, ist von Unruhe nicht viel zu spüren. Die meisten Befragten glauben, dass der Anstieg der Verbraucherpreise im kommenden und im übernächsten Jahr nur leicht über 2 Prozent liegen wird. Das ist ziemlich genau der Wert, den die EZB als optimal für die Wirtschaft anpeilt.
Leser*innenkommentare
17900 (Profil gelöscht)
Gast
Das fehlt noch!
Erst hat man den Euro unter fadenscheinigen Argumenten eingeführt, dann hat Draghi die Zinsen auf 0 gesetzt und nun auch noch Inflationsgefahr?
Diejenigen, die nur wenig auf den Sparkonten oder im Aktiendepot haben, wird es zuerst treffen.
Allerdings gilt dann:
"If you got nothing, you`ve got nothing to loose".
Toll, oder?
Die Regierung muss die Mineralösteuer senken. Das allerdings ist eher das Gegenteil, was die Grünen wollen.
Götz-Michael Freimann
An 2 Prozent glaube ich keine Sekunde. Die EZB hat in den letzten Jahren für 60 Mrd € im Monat Staatsanleihen gekauft. Also Geld gedruckt. Es ist ein Wunder das es so lange gedauert hat bis bis die Inflation nachfolgt.
20 Prozent Kurssteigerung pro Jahr an den Aktienmärkten könnte man auch als Inflation betrachten. Diese Kurse suchen jetzt nach Bezug zur Realität und stellen fest: Es gibt gar keine tatsächlichen Werte welche die Kurse stützen. Also muss so viel Inflation stattfinden bis die Kurse wieder mit dem realen Wert übereinstimmen. Irgendwann sind die Aktien dann wieder genauso viel "wert" wie vorher nur eben sehr viel "teurer". Die abhängig Beschäftigten in Europa gehen harten Zeiten entgegen. Es sei denn Lohn und Gehalt steigen um 20 Prozent jährlich über die nächsten 1,5 Dekaden.