Maria Sanchez über „Land der Frauen“: „Es hilft, zurückzuschauen“
Sie könnte nicht schreiben, ohne Tierärztin zu sein. Die Spanierin María Sánchez über Familie, Agrarkultur und Feminismus.
taz am wochenende: Frau Sánchez, Ihr Buch hat das Leben der Frauen in Spanien auf dem Land zum Thema. Wie erklären Sie sich den Erfolg, den Ihr Werk hat?
María Sánchez: Wir wollten endlich anerkannt werden, von der Kultur und von der Literatur. Das Buch stößt nun gerade auch bei den städtischen Lesern und Leserinnen auf große Resonanz.
Wie erklären Sie sich das?
Wir sollten nicht vergessen, dass in Spanien viele derer, die heute in den Städten wohnen, selber vom Land kommen. Ihre Großeltern leben auf dem Land. In den Jahrzehnten der Diktatur emigrierten viele in die Städte. Wenn ich das Buch vorstelle, höre ich immer wieder zwei Sätze: „Dieses Buch hätte ich schreiben können“ und „Du erzählst mein Leben“.
Hatten Sie weibliche Vorbilder?
Ich suchte nach Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen. Dabei wurde mir klar, dass ich meine unmittelbare Umgebung, meine Mutter, meine Großmütter völlig übersah. Denn ich wollte nicht so sein wie sie. Dabei verdanken wir ihnen viel. Viele Leserinnen entdeckten durch mein Buch ihre eigenen Großmütter und deren Leben auf dem Land.
María Sánchez: „Land der Frauen“. Aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer. Blessing Verlag, München 2021, 192 Seiten, 20 Euro
Hat diese Sinnsuche auch mit der Pandemie zu tun?
In Zeiten der Pandemie fragen wir uns oft, wie das Leben morgen aussehen wird. Dabei hilft es sehr, zurückzuschauen.
In Deutschland fand die Verstädterung früher statt. Aber auch hier haben Sie Erfolg, woran könnte das liegen?
Hier kommt der Feminismus ins Spiel, das Interesse, die Geschichte von Frauen zu schreiben und für sich zu entdecken.
Laufen Sie nicht Gefahr, das harte Landleben zu verklären, aus unterdrückten Frauen starke Frauen zu machen?
Das kritisiere ich. In Spanien werden die Frauen, die in den entvölkerten Landesteilen ausharren, oft zu Heldinnen erklärt. Doch diese Frauen leben häufig ohne Zugang zu sozialen Diensten, ohne Krankenversorgung, haben keine Freizeit. Das Gerede von den Heldinnen verdeckt nur die praktizierte Ungleichheit und den Machismus.
geboren 1989, ist Landtierärztin und Lyrikerin. Sie schreibt regelmäßig für spanische Onlinemedien Texte zu Feminismus, Literatur und dem Leben auf dem Land. Derzeit hat Sánchez ein dreimonatiges Stipendium und lebt im Künstlerhaus Villa Waldberta am Starnberger See.
Aber es gibt schon so etwas wie Nostalgie, Sehnsucht nach der Vergangenheit und dem „einfachen“ Landleben?
Damit will ich nichts zu tun haben. Aber ich entschuldige mich dafür, dass ich ungerecht gegenüber meiner Mutter war, weil ich nie gefragt habe, auf was sie verzichten musste. Meine Mutter wurde 1960 geboren. Hätte sie nicht mit zwölf Jahren schon Oliven ernten müssen, wäre sie vielleicht die erste Frau in meiner Familie gewesen, die schreibt. Es geht mir darum, zu erzählen, wie diese Leute auf dem Land früher lebten und bis heute leben. Und was sie an Wissen hatten, das von der Sozialforschung häufig übersehen wird.
Sie gingen nach dem Studium zurück ins Dorf, warum?
Mittlerweile lebe ich nicht mehr in meinem Dorf in Andalusien, sondern in einem noch viel kleineren Ort in Nordwestspanien. Ich kann mir ein Leben ohne das Land nicht vorstellen. Meine Kindheit bestand aus Tieren, Land, Bäumen. Den Hirten, dem Großvater, der Tierarzt war, ihm zu helfen. Käse machen. Ich will das erhalten, zurückgewinnen.
Als ich klein war, wollte ich ein Mann sein. Ich wollte sein wie sie. Ich bin meinem Großvater sehr dankbar. Er sagte nie: „Als Mädchen kannst du das nicht.“ Ganz im Gegenteil, er unterstütze mich. Wenn wir etwa eine Kuh oder ein Schaf heilten und die Züchter sagten, das sei nichts für Mädchen, erwiderte er immer: „Lass sie, sie kann das.“ Niemals setzte er mir Grenzen, weil ich ein Mädchen war.
Diese Erinnerung lässt allerdings die Großmutter außen vor.
Genau, deshalb habe ich „Land der Frauen“ geschrieben. Ich musste mich bei ihr entschuldigen. Und ich musste wissen, was mir fehlt. Als ich mit meinem Gedichtband überraschenderweise Erfolg hatte, begann meine Familie, über das Leben der Frauen zu sprechen. Auch mein Vater öffnete sich, als er sah, dass die Zeitungen über mich schrieben.
Wenn ich zum Beispiel an meinen Großvater mütterlicherseits denke, der Landarbeiter und dann Immigrant in der Schweiz war, dann erinnere ich mich an den Geruch des Blutes eines Hasen, den er ausweidet, oder der feuchten Erde. Bei der Großmutter denke ich an den Waschplatz, die Küche, eine Frau, die andere bedient, wenig redet. Die Männer im Wohnzimmer, sie sitzen zusammen, reden, nehmen alles ein. Wir mieden den Raum der Großmütter. Wir kamen nie auf die Idee, Hilfe anzubieten oder etwa selbst zu kochen.
Hat sich daran heute auf dem Land etwa viel geändert?
Nehmen wir den Frauentag. Vor Jahren ging da in den Dörfern niemand auf die Straße. Mittlerweile versammeln sich vielerorts, auch in ganz kleinen Weilern, viele der Frauen zum 8. März.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sie haben von Ihrem Großvater, dem Tierarzt erzählt. Wie aber kamen Sie zum Schreiben?
Literatur hat mich interessiert. Als ich mit meinen Eltern in die Stadt, nach Córdoba, zog, war ich sehr einsam. Ich erzählte dort von meinem Landleben. Davon, Käse zu machen, Schafe zu operieren. Ich wurde zur Außenseiterin, die andere, die vom Land. Ich begann wie verrückt zu lesen. Mit acht Jahren lass ich García Lorca. Mein Vater nahm mir das Buch weg – das sei nichts für Kinder. Es waren die Spanischlehrer an der Schule, die mich unterstützten, mir Bücher ausliehen, mir einen Bibliotheksausweis gaben und mich ermutigten zu schreiben.
Als ich dann an die Universität ging und wie mein Großvater und mein Vater Tiermedizin studierte, dachte ich, ich würde Menschen mit ähnlichen Interessen finden. Das war aber nicht so. Selbst Professoren sagten, ich solle das mit dem Lesen lassen und mich mehr auf das Studium konzentrieren. Mein Vater sagte auch, ich solle diese Spinnerei mit der Poesie lassen.
Sie mussten sich zwischen Literatur und Tiermedizin entschieden?
Ja, und dann passierte etwas Wunderbares. Als mein Großvater starb, stöberte ich in seinem Bücherschrank voller antiquarischer Fachliteratur. Ich fand dort ein Lehrbuch der Biochemie aus dem Jahr 1942. Am Anfang jede Kapitels stand eine kurzes literarisches Zitat von bekannten Autoren wie Shakespeare. Ich dachte sofort: Ich kann beides sein, Schriftstellerin und Tierärztin. Ich kann Wissenschaft und Poesie zusammenbringen.
Es dann tatsächlich zu schaffen, war aber sicher nicht leicht?
Als ich „Land der Frauen“ schrieb, war ich eine Angestellte. Ich betreute Ziegenherden und hatte feste Arbeitszeiten. Heute bin ich aber selbstständig und arbeite für eine Organisation, die sich um vom Aussterben bedrohte Rassen kümmert. Ich bin nach wie vor auf dem Feld, aber ich arbeite auch wissenschaftlich. Ich bin flexibler. Ich glaube, ich könnte nicht schreiben, ohne Tierärztin zu sein. Und ohne die Literatur könnte ich keine Tierärztin sein. Ich bin einfach beides und beide Seiten brauchen sich gegenseitig.
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