: Sardellen-Salat schmeckt uns früh und spat
Die „schlechtesten Gedichte“ des großen Goethe sind nicht ganz von dieser Welt – und dennoch nun noch einmal in einer Sammlung als Buch erschienen, illustriert vom Duo Hauck & Bauer
„Goethes schlechteste Gedichte“. Ausgewählt von Gottlieb Amsel. Jung und Jung, Salzburg 2021, 61 Seiten, 12 Euro
Von Thomas Schaefer
Poesie und Arithmetik – das will nicht recht zusammengehen. „20 % des Oeuvre, höchstens, sind gut“, hat Arno Schmidt über Goethens Werk befunden. Bezieht man diese Quote auf die Lyrik des Weimaraners, kämen bei dessen rund 3.000 überlieferten Gedichten immerhin 600 hochwertige zusammen!
Was vice versa aber auch 2.400 von minderer oder gar keiner Qualität bedeuten müsste. Marcel Reich-Ranicki, im Gegensatz zu Schmidt ein Bewunderer Goethes, hat bei diesem die interessante Spanne „56 oder 76 gute Gedichte“ ermittelt – deutlich mehr als jene ominösen fünf, sechs gelungenen Gedichte, die Gottfried Benn bekanntlich einem lyrischen Werk allenfalls zugestanden hat. Und bei dem ganzen vertrackten Hexeneinmaleins wurde ja noch gar nicht gefragt, was denn eigentlich ein gutes Gedicht ausmacht.
Wüst und kühn gereimt
Sogar der eigentlich urteilsfeste Robert Gernhardt geriet in Konfusionen, als er 1999 ein kleines Bändchen rezensierte, das nun – ohne als solche kenntlich gemacht zu sein – in einer Neuausgabe erschienen ist: „Goethes schlechteste Gedichte“. Was hier von einem Herausgeber namens Gottlieb Amsel, hinter dem sich der Verleger Jochen Jung verbirgt, zusammengestellt wurde, machte Gernhardt grübeln: „Ist das nun schlecht? Oder schlicht?“ Oder „schlechterdings nicht ganz von dieser Welt und schlichtweg genial?“ Auch wir lassen das offen.
Unzweifelhaft ist aber, dass Goethe in seinen gemäß Amsels Auswahl knapp 50 schlechtesten Gedichten wüst und kühn gereimt hat. Da fügt sich „keiner“ zu „alleiner“, „Glück“ eher konventionell zu „zurück“ und die überraschende These „Die Welt ist wie ein Sardellen-Salat“ spezifiziert Goethe kryptisch mit: „Er schmeckt uns früh, er schmeckt uns spat“.
Zu konkreteren Anschauungszwecken sei hier das Gedicht „Die Bekehrte“ in voller Länge wiedergegeben: „Bei dem Glanze der Abendröte / Ging ich still den Wald entlang, / Damon saß und blies die Flöte, / Daß es von den Felsen klang. / So la la! // Und er zog mich, ach, an sich nieder, / Küßte mich so hold, so süß. / Und ich sagte: Blase wieder! / Und der gute Junge blies, / So la la! // Meine Ruhe ist nun verloren, / Meine Freude floh davon, / Und ich höre vor meinen Ohren / Immer nur den alten Ton, / So la la, le ralla!“ Nur so la la oder schon balla?
In erster Linie handelt es sich bei Goethes schlechter um (unfreiwillig) komische Lyrik, deren harmloser Scherzgehalt durch die Cartoons des Duos Hauck & Bauer, welche Walter Schmögners Illustrationen der Erstausgabe ersetzen, betont wird. Diese Gedichte relativieren Goethes Status als Qualitätslyriker natürlich in keinster Weise, unter den Massen seiner Gedichte sind naturgemäß viele Gelegenheitsgedichte, Stammbuchverse, schnell Hingetupftes. So etwas gehört nicht unbedingt zwischen Buchdeckel – es sei denn, es handelt sich eben um Goethe, an dessen Denkmalssockel sich so ein wenig rütteln lässt.
Denn eines steht fest: Man muss schon richtig gute Sachen geschrieben haben, um in den zweifelhaften Genuss zu kommen, seine schlechten in Form eines eigenen Buches herausgestellt zu sehen.
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