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kritisch gesehenDie Welt hat keine Tiefe

Mein Gott, ist Kasimir eine platte Type! Ödön von Horvath hatte ihn Ende der 1920er bereits als Schießbudenfigur konzipiert. Alize Zandwijk lässt ihn in ihrer Bremer Inszenierung des Szenenreigens „Kasimir und Karoline“ gleich als dreifache Jammergestalt auftreten: Simultan spielen sie der weiße Emil Borgeest sowie Rodrigue Kassimo und Patrick Balaraj Yogarajan.

Und sie krümmt sich, typisch Mann, nur so vor Selbstmitleid, ja: dieses Krümmen ist die eigentliche Handlung. Kasimir hat nämlich seinen Job verloren und versucht das mit Pseudogedanken zu sublimieren. Die variieren, dass die Welt ungerecht ist – was sicher stimmt. Und seine Braut Karoline­ will sich auf dem Oktoberfest amüsieren, wo er doch lieber verbittert zu Hause Kamil­lentee tränke. Muss er sie da nicht beschimpfen? Klar, dass die Beziehung – manche nennen’s Liebe – das nicht übersteht.

Die Multiplikation der Titelrollen – auch Karoline verkörpern zugleich Manuela Fischer, Mirjam Rast und Maria Tomoiaga – und ihr rasantes französisch-deutsches Code-Switching dient nicht dazu, die Figuren auszuloten: Eindrucksvoll demonstriert das Bühnenbild, dass, wer Tiefe sucht auf einem Rummel falsch ist. Es gibt nur die von Thomas Rupert wuchtig über drei Etagen geklotzte, mit einer Horrorclownsfratze verzierte Fassade einer Geisterbahn. Die Gliederung dieser reinen Rampe in die Höhe bildet weder einen mysterienspielerischen Sphärenbau ab, noch gesellschaftliche Hierarchie: Auch die Oberschicht kotzt auf der Kirmes ins Kellerklo, und Kleinganove Franz Merkl hält von ganz oben Ausschau nach Limousinen, die das Aufbrechen lohnen.

Stattdessen macht die Mehrfachbesetzung klar, wie Horvaths Untertitel, „Volksstück in unserer Zeit“ lesbar wird: durch Entgrenzung des Volksbegriffs samt implizierter rassistischer Denkmuster. Greifbar werden diese im Besetzungs-Zusammenhang, wenn Patrick Balaraj Yogarajan aus der Rolle fällt und sich weigert, weiter den Loser Kasimir zu spielen – und von da an Aufsteiger Schürzinger doppelt.

Solche Ausbrüche erlaubt sich Horvath nicht: das Stück ist fatalistisch, wenn nicht verzweifelt. Seine Figuren sind allesamt unangenehm, und es führt Verschiebungen vor, keine Veränderungen: „Ich sage etwas / von Chancen / Die es nicht wirklich gibt“, erfasst diese Stimmung die Schwarze Karoline Ela Fischer im Song „Der Mond macht kaum Licht“, einem Blues. Der vermag, diese heillose Traurigkeit in Schönheit umschlagen zu lassen. So viel Erlösung muss sein.

Benno Schirrmeister

„Kasimir und Karoline“. Nächste Aufführungen: 14., 20., 23. + 29. 10, jeweils 19.30 Uhr, Theater Bremen, Großes Haus

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