Umstands- und Stillkleidung: Zwischen Rentnerbeige und Segelclub
Die Industrie um Neugeborene verkauft alles und boomt. An leistbare Kleidung für Mütter denkt allerdings niemand. Übrig bleibt: beige und gestreift.
Ich hab mich schon immer gefragt, wann Menschen aufhören sich stilvoll oder modisch zu kleiden. Klar, manche haben nie damit angefangen und viele können es sich nicht leisten bei jedem Trend dabei zu sein, darum geht es auch gar nicht. Ich meine: wann kommt es, dieses Rentnerbeige, die Cargohosen und Funktionsjacken? Ist das eine bewusste Entscheidung – steht man eines Tages auf und sagt: So, ab jetzt nur noch beige, braun, schwarz, weiß, grau und mal an besonderen Tagen ein keckes Dunkelblau? Ist es vielleicht sogar eine Form von Empowerment, zu sagen: Macht euren Modemist alleine, ich kleide mich jetzt nur noch so, dass ich jederzeit in einen Laubwald eintauchen kann wie ein Chamäleon? Oder wie läuft das?
Als ich letztens in der Umkleide einer großen Modekette stand und auf der dringenden Suche war nach einer Hose, in der ich meinen Afterbabybody verstauen kann, musste ich daran denken, wie wir uns als Teenies über die Frauen in ihren Hochwasserhosen mit hohem Bund lustig gemacht haben – heute nennt man die Mom Jeans. Absurd, fanden wir, dass man sowas freiwillig tragen konnte. Da war ich also mit meinem Körper, der die Schwangerschaftshosen nicht mehr oben halten will, aber in die alten Klamotten nicht passt. Dieser Körper, der sich seit fünf Monaten anfühlt als hätt ich ihn mir geliehen. Alles irgendwie fremd. Beim letzten Kind hat es ein über ein Jahr gedauert bis ich mich wieder wie ich gefühlt habe.
Ich versuche vergeblich in eine Mom Jeans in der größten hier verfügbaren Größe zu schlüpfen und habe Schuldgefühle. Wir hatten ja keine Ahnung als Teenies. Gleichzeitig musste ich lächeln ob der Ironie. Hier stehe ich in der Umkleide, der Kinderwagen mit Baby halb drin und halb draußen, der Vorhang hinter den Kinderwagen geklemmt. Es spielt Beziehungsverarbeitungspopsongs, deren Interpreten ich nicht mal raten könnte. Hier stehe ich und kriege meinen Momkörper nicht in diese Momjeans, weil die in Wirklichkeit nicht für Moms gemacht sind. Verflucht nochmal. Ich bin hier nicht mehr Zielgruppe.
Beim ersten Kind dachte ich noch, es läge an mir, dass ich keine schöne und leistbare Umstands- und Stillkleidung finden konnte. Seit dem zweiten bin ich recht sicher, dass es nicht an mir liegt. Die Modeindustrie interessiert sich nicht für die Bedürfnisse vor und nach dem Gebären. Sonst wäre nicht alles, was es zu kaufen gibt knalleng oder „shaping“. Aber ich will kein „shaping“, ich will Luft zum Atmen und Platz zum Leben.
Es ist ein einziges Trauerspiel. Alles ist beige, braun, schwarz, weiß, grau, dunkelblau. Zum Stillen immer dreilagig, ganz wunderbar bei hormonellen Schweißausbrüchen. Muster gibt es nicht, wenn dann nur: Querstreifen. Aber auf maritim. Irgendwo ist immer ein Anker drauf. Ich hab nicht den blassesten Schimmer, was das soll. Vielleicht gibt es irgendwo einen geheimen Segelclub für Stillende? Ich hab es inzwischen aufgegeben und improvisiere mit Knöpfbarem. Etwas mühsam das Gefummel, aber immerhin kein Rentnerbeige.
Leser*innenkommentare
lulu schlawiner
Dieser Artikel hat mir die Augen göffnet. Danke
rero
Ich kann mir nicht helfen, "Rentnerbeige" klingt irgendwie abfällig gegenüber Rentnern.
Tuff
Ist das etwa eine Marktlücke, die noch niemand genutzt hat? Hätte ich nicht erwartet bei dem Mütterkult, der sonst so beschworen wird. Ach ja, da geht es ja um ein transzendentes Konzept von Mutter. Es ist ja nicht FÜR Mütter. Warum gibt es eigentlich so viele Beschwerden darüber, dass sich Mütter modischer kleiden sollen? Wer stellt denn da schon wieder solche Ansprüche? Hilft wohl nichts als einfach auf die ungefragten Meinungen zu pfeifen.
Sophie Kowalski
Ich bin auch postpartum, aber habe eindeutig die von der Autorin erwaehnte Scheissegaleinstellung uebernommen. Ich ziehe an was ich mit den Aussentemperaturen vereinbaren kann. Auch ohne Still-BH, ich kriege vom BH (schlimmere) Rueckenschmerzen. Und wenn ich dann wieder Milch ueberall habe, manche frisch, manche von meinem Baby wiedergekaeut, dann ist mir das egal. Da kann ich dann die Sossenflecken gleich besser verstecken. Ich habe kein Geld, keine Energie und keine Veranlassung mich modisch oder sonstwie gedankenvoll zu kleiden. Wenn ich mal was brauche, gehe ich in den second hand Laden.
Und es ist KLASSE. Es ist so befreiend. Ich kleide mich bequem. Ich kleide mich vollstaendig (nichts haengt raus). Und Leute, die darueber die Nase ruempfen moechten, koennen das tun und mir dann mit Anlauf den Buckel runter rutschen. Da weiss man gleich, wen man ignorieren kann.
görg
@Sophie Kowalski Als "stillender" Papa kann ich dem nur Beipflichten. Milchflecken sind Tapferkeitsabzeichen und gehören stolz getragen 8)
Und was die Autorin gegen Cargohosen hat… Probleme gibts.