: In wie vielen Zungen spricht das Theater?
„Ist die neue Bühnenrealität mehrsprachig?“ beantwortet am Montag das English Theatre mit szenischen Lesungen und Diskussionen
Von Katharina Granzin
Das Theater als Institution ist, ob hierzulande oder anderswo in Europa, längst nicht mehr das, was es einmal war. Und das ist auch gut so! Einst elitärer Hort nationaler Kultur- und Sprachpflege, geben auch deutsche Bühnen inzwischen Stimmen ein Zuhause und eine öffentliche Plattform, die in ihrer Vielfalt Zeugnis davon ablegen, wie sehr sich die Gesellschaft insgesamt gewandelt hat. Eine Entwicklung ganz ähnlich der in der Literaturszene: Es betreten AutorInnen die – im wahrsten Sinne des Wortes – Bühne, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist und deren Sprachbehandlung mitunter selbstbewusst vom Duden-Standard abweicht.
Verglichen mit dem Medium Buch hat das Theater durch seine performativen Möglichkeiten allerdings noch viel mehr Spielräume für innovative Sprachbehandlung. Welche das sind, lässt sich exemplarisch unter anderem am Gorki Theater beobachten, wo das Spiel mit Mehrsprachigkeit in eigenen neuen Produktionen zu einem Markenzeichen des Hauses geworden ist. Definitiv komme dem Gorki, was das betrifft, im gesamtdeutschen Bühnenkontext eine wichtige Pionierrolle zu, sagt die tschechische Theaterwissenschaftlerin und Übersetzerin Barbora Schnelle vom Verein Drama Panorama; doch die Entwicklung zu mehr Mehrsprachigkeit auf der Bühne sei ein allgemeines Phänomen. „Wir sind eine postmigrantische Gesellschaft, die selbstverständlich mehrsprachig ist. Jede Sprache bringt auch ihren sozialpolitischen Kontext mit auf die Bühne, das ist sehr spannend.“
Drama Panorama e. V., Zusammenschluss von Theatermenschen aus verschiedenen Bereichen der Szene, engagiert sich seit langem vor allem für die Übersetzung von dramatischen Texten. „Das Thema Mehrsprachigkeit tragen wir schon seit mehreren Jahren mit uns herum“, erzählt Henning Bochert. Er hat mit Barbora Schnelle zusammen die Veranstaltung „Mehrsprachigkeit im Theater“ organisiert hat, die ab Montag nächster Woche im English Theatre stattfindet. „Inzwischen ist das Thema so wichtig geworden, dass wir tatsächlich erstmals eine Förderung dafür bekommen haben“, fährt Bochert fort. Eine der wichtigsten AkteurInnen, was das Thema Theater und Mehrsprachigkeit betrifft, ist die israelischstämmige Regisseurin und Autorin Yael Ronen. Ronen, die seit Langem als Hausregisseurin am Gorki Theater wirkt, aber auch anderswo inszeniert, ist eine von vier Geladenen bei der Drama-Panorama-Veranstaltung. Außerdem werden die Dramatikerinnen Georgia Doll und Sivan Ben Yishai als Diskutanten – und mit künstlerischen Beiträgen – dabei sein sowie der britische Theaterübersetzer William Gregory. Er übersetzt aus dem Spanischen ins Englische und behält bei der dramaturgischen Anpassung der Stücke für britische Bühnen auch mal Textteile in Originalsprache bei. Die wie Ronen aus Israel stammende Sivan Ben Yishai schreibt ihre Stücke auf Englisch, das für sie Fremdsprache ist. Ein Auszug aus Ben Yishais Stück „Wounds are forever“, das vor wenigen Monaten seine Uraufführung am Nationaltheater Mannheim hatte, wird am Montag in szenischer Lesung zu erleben sein, ebenso wie Auszüge aus Yael Ronens „The Situation“ und von Georgia Dolls mehrsprachigem Stück „Das blaue Gold“. Doll, in Wien geboren, ist beruflich in Frankreich und Deutschland sozialisiert, schreibt deutsch wie französisch und übersetzt ihre Texte selbst in jede Richtung.
Die Podiumdiskussion samt szenischen Lesungen am Montag richtet sich sowohl an FachkollegInnen wie an das interessierte Publikum. Am Dienstag folgt eine Textwerkstatt zum mehrsprachigen Schreiben und Übersetzen fürs Theater. Der Eintritt für alle Veranstaltungen ist frei.
Lesung und Diskussion am 4. 10., 20 Uhr, English Theatre Berlin. Fidicinistr. 40, Kreuzberg, www.dramapanorama.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen