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Sie singen um ihr Leben

VORBILDER Challa und Kane – zwei Rapper – machen soziale Arbeit. Das war nicht immer so

Challa, gerade achtzehn, sitzt in der Zelle, acht Quadratmeter, und weint

VON HANS KORFMANN

Challa kommt aus der Türkei, Kane aus Uganda. Aber Challa und Kane sprechen dieselbe Sprache. Mehr noch: Sie sprechen mit dem gleichen Rhythmus, der gleichen Gestik, der gleichen Betonung auf den gleichen Silben. Sie sprechen wie aus einem Mund.

Wenn Challa und Kane / Auf der Bühne stehn / Dann kann jeder verstehn / Dass Rap eine Sprache ist / Die man so schnell nicht vergisst / Weil man Sachen sagen kann / Da kommt das Deutsche nicht ran.

„Integration, das Wort kann ich nicht verstehn“, sagt Challa. „Meinen Vater, den hätten sie integrieren sollen, dem hätten sie Deutsch beibringen sollen. Jetzt, fünfzig Jahre danach, haben sich die Leute hier doch eingerichtet. Die Strukturen sind verhärtet.“

„Integration, das Wort kann ich nicht verstehn“, sagt Kane. „Es geht doch ums Zusammenleben, nicht darum, jemanden irgendwo reinzuintegrieren.“

„Integration, das Wort kann ich nicht verstehn“, sagt Challa. „Ich bin im Urban-Krankenhaus geboren, wie alle Berliner Türken. Ich spreche Deutsch, und wenn ich Türkisch rede, dann muss ich ständig fragen, wie das noch mal richtig heißt.“

Challa – früher hieß er Caglar Budakli – ist Berliner, 30 Jahre alt. Er ist in der Stadt aufgewachsen, als sie noch geteilt war. Jetzt unterrichtet er an den Schulen Rap und Hiphop und Breakdance. Er wird vom Spiegel interviewt und im ZDF porträtiert, auch in die Türkei hat man ihn und seinen Kumpel Kane eingeladen, die Vorzeigekreuzberger, über die die türkische Hürrijet schrieb: „Menschen zwischen zwei Kulturen: Challa und Kane.“ Eine Woche blieben sie in der Türkei, die Rapper von Berlin, wurden rumgereicht, fast wie echte Stars.

Kane sagt, dass die Reise in die Türkei „super“ war. Sie saßen im Flugzeug, das Ticket bezahlt, die Reporter warteten am Flughafen, sie hatten das Gefühl: Wir haben’s geschafft.

Aber sie haben es noch nicht geschafft. „Ich möchte mal leben können von meiner Arbeit!“, sagt Kane, der 27 ist, eine Tochter hat und eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondent, die nichts bringt. Auf Bewerbungen bekam er nicht einmal Antwort.

Jugendlicher Intensivtäter

Jetzt unterrichtet Kane wie Challa an den Schulen den Hiphop – die Sprache der Straße. Wenn die jungen Fans den beiden zuhören, dann bemerken sie doch plötzlich Unterschiede zwischen dem Sohn afrikanischer und dem Sohn türkischer Einwanderer, dann hören sie wie, bei allem Gleichklang, Kanes Stimme dunkler, rauer, sanfter ist. Und trauriger. Challa dagegen spricht schnell. Seine Stimme greift an, er „rappt sich hoch“ und „zeigt den Leuten“, was er „kann“. Seine Texte rattern, „schlagen wie ne Bombe ein“, Gewehrsalven, taktaktaktak.

Ich bin geborn mit Liebe, doch mir wird Hassen beigebracht / Auf meine Brüder einzuschlagen und zu schießen.

Es ist sein Leben, das er singt, ein donnerndes Stakkato: In der Schule bleibt er stecken, im Jugendclub prügeln sie sich, bald ist er einer der Köpfe bei Bandenkriegen in Kreuzberg. Dazu der Breakdance, den er mit sieben entdeckt. Er dreht sich auf einer Hand und lässt die Beine in der Luft umherwirbeln wie ein Hubschrauber. Challa ist zum Hiphop geboren, an einem 15. September im Urban. Am 16. September, vierzehn Jahre später und strafmündig, wird er zum ersten Mal verhaftet. Erpressung. Körperverletzung. „Die Richter waren schuld. Als ich wieder rauskam aus dem Knast, da war ich plötzlich ein stadtbekannter Gangster! Und die Rolle gefiel mir. Alle kannten meinen Namen, ich konnte gar nicht anders, als da weiterzumachen, wo ich aufgehört hatte.“ Räuberische Erpressung, Nötigung, Autodiebstahl – ein jugendlicher Intensivtäter. Dabei sei er beim ersten Mal unschuldig gewesen, habe mit der Sache nichts zu tun gehabt, sagt er. „Ehrenwort.“

Die anderen Male, die danach, das gibt Challa zu, war es anders. Da hat er wirklich „richtig Mist gebaut“. Auch die zweieinhalb Jahre, die man ihm nach seinem 18. Geburtstag aufbrummte, waren „irgendwie gerechtfertigt“, sagt er. „Und dann steh ich da in der Gefängnistür und habe Angst und frage den Wärter, ob ich nicht vielleicht draußen noch eine letzte Zigarette rauchen kann, und dann sagt der Typ: Diese Tür wird sich die nächsten zweieinhalb Jahre für dich nicht mehr öffnen.“

Challa, gerade achtzehn, sitzt in der Zelle, acht Quadratmeter, und weint. Sein Vater besucht ihn, die Chemotherapie hatte ihn alle Zähne gekostet. Aber der Sohn kann den Vater nicht in den Arm nehmen, er kann sich nicht einmal richtig entschuldigen. Eine Glaswand trennt sie.

Auch Kane konnte seinen Vater nicht in den Arm nehmen, als er noch Kenan Matovu hieß. Der Vater lebte mit einer anderen Frau, mit anderen Kindern. Nicht einmal die Mutter konnte der kleine Kenan in den Arm nehmen, denn er war in Uganda und sie in Deutschland. „In jedem Flugzeug, das ich am Himmel sah, war meine Mutter drin. Jedes Mal dachte ich, jetzt kommt sie. Drei Jahre lang.“ Am 31. Dezember 1991, Kenan war sieben, brachte ihn eine Tante endlich nach Deutschland. Der Onkel hatte Aids und sonst war da niemand, der sich um den Jungen hätte kümmern können.

Aber auch die Mutter hatte es schwer. Sie war allein, und sie musste Kane und seine Geschwister großziehen. „Wir haben das nie gehabt, dass da jemand morgens aus dem Haus zur Arbeit ging, um Geld zu verdienen und eine Familie zu ernähren. Meine Mutter war schon zehn Jahre in Deutschland, und sie haben ihr immer noch keine Arbeitserlaubnis gegeben. Jetzt erst, und jetzt ist sie schon über fünfzig, darf sie eine Ausbildung machen. Irgendwas ist hier richtig schiefgelaufen. Die Klasse fuhr nach Prag, aber ich musste zu Hause bleiben, weil ich kein Visum bekam.“ Kane hat resigniert. Kane singt:

Vaterland, du weißt, dass ich noch existiere / Und dass ich traurig bin und täglich hunger und erfriere …“

Challa aber gibt nicht auf. Challa singt: „Na gut, ich fang an, euch was übers Leben zu erzählen …“ Und dann erzählt er, wie er als Kind in den Berliner Ruinen nach Pistolenhülsen grub, wie kein Tag ohne Prügelei verging, sein Vater, seine Brüder haben zugeschlagen, später er, wie er nachts mit den Kumpels durch die Belüftungsschächte in die U-Bahn-Tunnel stieg, Züge besprühte. Das gehört dazu, zum Rap, zum Leben. Es wäre zu langweilig gewesen, wenn nicht ab und zu die Polizei ihre Schäferhunde auf sie gehetzt hätte.

Challa braucht Freunde und Feinde, Aufstieg und Abstieg. Er war im Boxclub Viktoria, prügelte auf den Punchingball ein, war Zweiter bei den Bezirksmeisterschaften im Leichtgewicht. Seine Nase ist aus Gummi und seine Schädelplatte aus Stahl, seit ein verrückter Drogendealer versuchte, ihm den Kopf einzuschlagen. Mit vierzehn Hammerschlägen, von hinten.

Die Ärzte gaben Challa keine Chance, der Kopf voller Blutgerinsel, die Familie kam, die Freundin, um Abschied von dem jungen Mann zu nehmen, der so viel Mist gemacht hatte. Aber Challa ist Breakdancer, Challa kann am Boden liegen, und dann drehen sich die Beine wie Hubschrauberrotoren, und dann steht er wieder im Ring, bereit, weiterzumachen, aufzusteigen in die nächste Liga, wenn nicht mit Fäusten, dann mit Worten.

Der Rapper wird Vorbild

Challa saß also im Knast, in dieser acht Quadratmeter großen Zelle, gerade achtzehn und „eigentlich noch ein Kind“. Challa weinte. Das war nicht seine Welt, er passte nicht zwischen die echten Mörder, Dealer, Gangster. Für Challa war das alles ein Spiel gewesen, ein Film, aus dem er wieder raus wollte. Und dann kamen diese Battle-Rapper von Royal Bunker in den Knast und spielten für die Insassen auf. Da kam Challa die Idee, seinen eigenen Rap zu machen, einen Rap, der nicht nur aus Flüchen und coolen Sprüchen besteht, sondern aus Leben: „Ich wollte meine Geschichte erzählen. Ich habe was zu erzählen, ich muss das erzählen.“ Er denkt sich einen Beat aus und fängt an zu texten.

Jahre später steht er in einem Kreuzberger Hinterhofstudio und macht seine erste Aufnahme, er stellt die ewigen Fragen:

Warum, weshalb, wieso ist mein Leben so falsch gelaufen? / Hab ich noch eine Chance oder ist meine Zeit schon abgelaufen?

Es ist der Text seines Lebens.

Ich war noch jung und stand dem Tode nah / Doch scheiß drauf, ich rap mich hoch / Und mach jetzt mein’n Traum wahr.

An diesem Tag ist auch Kane im Studio. Kane, der schon von diesem Straßenkönig namens Challa gehört hat, und der nun Challas Stimme hört. „Vater, heute kannst du sehen: Dein Sohn hat nix umgebracht …“ Und Kane antwortet: „Vater, du sagtest, ich wär nicht dein Sohn, doch heute bin ich groß und ähnel dir wie’n Klon.“

Es war an einem Freitag, einem 13., an dem sie Caglar Budakli in sein neues Leben entließen – der Tag, an dem sein Aufstieg begann und er zu Challa wurde. Der Tag, als der Schüler, von dem die Lehrerin sagte, es sei „schwer, das Potenzial aus ihm herauszuholen“, selbst zum Lehrer wurde, der den Kindern eine neue Sprache beibrachte, die sie verstanden. Sie hörten ihm zu, wenn er erzählte, aus seinem Gangsterleben und davon, wie alles beinahe schiefgegangen wäre. „Es ist nie zu spät, um noch mal von vorn anzufangen!“

Auch Kane will noch mal von vorne anfangen. „Manchmal stand“ er „auf dem Dach und war kurz vor dem Krepieren.“ Aber er ist nicht abgestürzt. Er ist noch da und singt davon, dass seine Hautfarbe nur „Unglück“ bringt. Kane sagt, er sei wie ein wildes Tier, das man in den Zoo gesteckt hat. „Heimat“, sagt er, „kennt keinen Plural!“ Es gibt nur eine Heimat. Seine ist Afrika.

Caglar Budakli war 20, als er zu Challa wurde. Wie alt Kane sein wird, wenn er wieder Kenan Matovu wird, ist nicht sicher. Sicher ist nur, dass Kane noch einmal zurückmuss – nach Afrika.

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