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Nach Chaos am SonntagBerliner Wahlleiterin tritt zurück

Nach dem chaotischen Wahlsonntag in Berlin tritt die Landeswahlleiterin zurück. Sie entschuldigte sich bei den WählerInnen für die Pannen.

Petra Michaelis, Landeswahlleiterin aus Berlin, bei einer Pressekonferenz am Montag Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Drei Tage nach dem teils chaotisch verlaufenen Wahlsonntag in Berlin ist die Landeswahlleiterin Petra Michaelis am Mittwoch von ihrem Amt zurückgetreten. „Ich übernehme die Verantwortung im Rahmen meiner Funktion als Landeswahlleiterin für die Umstände der Wahldurchführung“, hieß es in einer Erklärung von Michaelis am Mittwochnachmittag. „Ich bitte den Senat von Berlin, mich nach den Sitzungen des Landeswahlausschusses am 11. und 14. Oktober 2021 unverzüglich abzuberufen und einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu bestimmen.“ Nachfragen zu dieser Erklärung würden „nicht beantwortet“, hieß es knapp.

Am Sonntag hatten Menschen teils stundenlang vor Wahllokalen gewartet; Stimmzettel fehlten oder wurden falsch ausgeliefert. Zunächst hatte Michaelis eine pauschale Schuldzuweisung noch von sich gewiesen: „Wenn da was schiefgegangen ist, dann muss ich leider sagen, sind es die Bezirkswahlämter gewesen“, sagte sie am Dienstagabend im RBB. Allerdings entschuldigte sie sich da bereits ausdrücklich bei allen WählerInnen, die am Sonntag von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch machen konnten.

Nun war der öffentliche Druck offenbar zu groß geworden. In den sozialen Netzwerken und in den Medien, auch in der taz, hatten seit Sonntag etliche Menschen über fehlende oder vertauschte Stimmzettel berichtet. WahlhelferInnen berichteten über schlecht geschulte, überforderte Zählteams, die teils erst nach Mitternacht nach Hause gehen konnten.

Nach Recherchen des RBB wurden wegen falscher Wahlzettel in 99 Berliner Wahlbezirken mindestens 13.120 ungültige Stimmen gezählt. Das zeige eine Datenanalyse des Portals rbb24, teilte der Sender am Mittwoch mit. Die falschen Wahlzettel hätten als ungültig gewertet werden müssen. Die Probleme mit den falschen Zetteln seien der Landeswahlleitung seit Mitte August bekannt gewesen.

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Die nach wie vor offene Frage ist indes, ob die Unregelmäßigkeiten Konsequenzen haben könnten über den Rücktritt der, im übrigen ehrenamtlich tätigen, Landeswahlleiterin hinaus: Ob also eine oder mehrere Wahlen in einigen Stimmbezirken wiederholt werden müssten. Am Sonntag wurden parallel der Bundestag, das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen gewählt. Außerdem wurde über den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen abgestimmt.

Landeswahlleiterin Michaelis hatte am Montag gesagt, man werde jetzt mit den Bezirkswahlämtern auswerten, wie gravierend und zahlreich die Pannen tatsächlich gewesen seien. Vor nächster Woche wird mit diesem Bericht allerdings nicht gerechnet, hieß es auch aus der Geschäftsstelle der Landeswahlleitung. Senatskanzleichef Christian Gaeble (SPD) hatte am Dienstag von Unregelmäßigkeiten in einer zweistelligen Zahl von Wahllokalen gesprochen. Insgesamt wurde in über 2.100 Wahllokalen gewählt.

Konkret über eine mögliche Anfechtung der Wahl wird bereits im Wahlkreis 3 in Pankow diskutiert. Dort hat der Linken-Direktkandidat für das Abgeordnetenhaus Klaus Lederer nur hauchdünn mit 0,1 Prozentpunkten gegen die Grünen-Kandidatin Oda Hassepaß verloren. Lederer forderte eine Nachzählung, es gehe um lediglich etwa 30 Stimmen.

Am Mittwochnachmittag gab Bezirkswahlleiterin Christine Ruflett tatsächlich bekannt, dass das ermittelte Erststimmenergebnis bei der Abgeordnetenhauswahl neu ausgezählt wird. Bei der Wahlleitung sei wegen des sehr knappen Ergebnisses eine entsprechender Antrag der Linken eingegangen. Die Neuauszählung werde am Donnerstag erfolgen, das Ergebnis dann vom Bezirkswahlausschuss bei seiner Sitzung am 11. Oktober bewertet.

Die Innenverwaltung, die die Rechtsaufsicht über die Wahl innehat, hatte zuvor dazu auf taz-Anfrage erklärt, im Fall Pankow 3 müsse „zunächst geprüft werden, ob und wie viele Stimmen in dem betreffenden Wahlkreis zu Unrecht nicht oder falsch gewertet wurden.“ Dafür müssten unter anderem „die Niederschriften der Wahlvorstände ausgewertet werden“. Dann werde „berechnet, ob die falsch oder nicht gewerteten Stimmen potentiell zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.“

Mit anderen Worten: Die Wahlvorstände müssen in Pankow 3 und überall dort, wo es Unregelmäßigkeiten gab, die potenzielle Größe des Fehlers in Bezug auf das Stimmenergebnis abwägen. „Ist eine solche Ergebnisrelevanz festzustellen, muss die Wahl in den von Fehlern betroffenen Stimmbezirken wiederholt werden“, schreibt die Innenverwaltung weiter. Das bedeutet auch: Sollten eine oder mehrere Wahlen in einem Stimmbezirk angefochten werden, muss nicht zwangsläufig im gesamten Wahlbezirk oder gar in ganz Berlin die Wahl wiederholt werden.

Die Entscheidung, ob eine Wahl wiederholt werden muss, weil sich Fehler auf Mandate ausgewirkt haben können, werden durch den jeweiligen Kreis- bzw. Bezirkswahlausschuss getroffen. Anfechten können die Wahl sowohl unterlegene KandidatInnen wie auch Wählende, die ihre Stimme nicht abgeben konnten, weil zum Beispiel – wie aus einem Wahllokal in Prenzlauer Berg berichtet – stundenlang Stimmzettel für die DirektkandidatInnen der Bundestagswahl fehlten.

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Mit dem Rücktritt der Landeswahlleiterin allein ist das Wahldebakel allerdings nicht ausgestanden. „Ich erwarte durchaus einen Bericht von unserem zuständigen Stadtrat und unserem Wahlleiter, was bei uns im Bezirk schief gelaufen ist und warum“, sagte Monika Herrmann (Grüne), Noch-Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, der taz am Mittwoch.

Schließlich habe die Durchführung der Wahl vor Ort in den Händen der Bezirke gelegen: Es sei schwer zu verstehen, wieso in einem Kreuzberger Wahllokal Wahlzettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf austeilt wurden. Deswegen sei auch offen, so Herrmann, wie hoch der Anteil der Landeswahlleiterin an den Pannen wirklich ist.

Die grüne Fraktionschefin Antje Kapek sieht die Innenverwaltung „weiter in der Pflicht. Wir erwarten eine umfassende Aufklärung aller Pannen“, schrieb sie auf Twitter. Wahlen seien das Herz einer parlamentarischen Demokratie. „Sie müssen reibungslos funktionieren.“

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13 Kommentare

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  • Das Land, das bei der Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe Vorreiter und Vorbild für andere Länder sein will, schafft es nicht einmal, in seiner Hauptstadt eine Wahl korrekt abzuhalten. Das ist nicht sexy, sondern einfach nur arm.

    In den Jubel einiger Foristen über die "Übernahme von Verantwortung" durch die Landeswahlleiterin kann ich nicht einstimmen. Sie hat bereits mit der Übernahme ihres Amtes Verantwortung übernommen, ist dieser aber offensichtlich nicht gerecht geworden. Dass bei einer Wahl in großem Umfang Stimmzettel fehlen, kann ja ohne weiteres verhindert werden, wenn man sich rechtzeitig um die erforderliche Ausstattung der Wahllokale kümmert und vor dem Wahltag bei den Bezirkswahlämtern nachhakt. Bei anderen Wahlen ging es ja bisher auch.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Korrekt!

  • Hätten wir denn eine grüne Bürgermeisterin bekommen müssen? So wie ich das sehe waren die Umfragen vor der Wahl zumindest wesentlich knapper als das Ergebnis.



    Waren die Unstimmigkeiten hauptsächlich in den Hochburg-wahllokalen der Grünen?



    Falls ja könnte man sogar von Sabotage ausgehen und dann müsste auf jeden Fall die Wahl wiederholt werden.

    • 3G
      32533 (Profil gelöscht)
      @Magic Dave:

      Ich bin sicher: juristisch gebildete Menschen geben Ihnen gerne Nachhilfe was den Unterschied zwischen 'Unstimmigkeiten' und 'Sabotage' angeht.

      Mir genügt erst einmal der Hinweis auf die semantische Seite.

      Über Magie schweige ich mich aus. Hoch lebe Differenzierungsfähigkeit.

      • @32533 (Profil gelöscht):

        Ich habe lediglich gemutmaßt, das zu erkennen verlangt vom Leser jedoch ein Mindestmaß an intellektueller Fähigkeit das hier nicht vorzuliegen scheint.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Man merkt schon, dass der Wahlvorgang und die Aufgabe des Wahlvorstandes im Wahllokal sowohl für den Autor als auch für die Landeswahlleiterin ein “Böhmisches Dorf” ist. Der Wahlvorstand, kann gar nicht abwägen , da es eine geheime Wahl war. Er kann nur feststellen, dass es Unregelmäßigkeiten gab. Er kann feststellen, ob die Quersummen stimmen, ob der Zählvorgang ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Er kann nicht abschätzen, ob die zugeteilte Menge an Wahlzetteln ausreicht, da der vorausberechnende Bedarf nur dem Bezirksamt und der Landeswahlleiterin bekannt ist. Das Ergebnis der Wahl wurde in jedem Wahllokal korrekt wiedergegeben und vom Wahlvorstand/ Schriftführer bestätigt und in der Niederschrift( die bei Abgabe der Wahlunterlagen auf Plausibilität überprüft wird) nochmals kontrolliert wurde, nochmals bestätigt. Was jetzt herauskommt ist eben, dass in einigen Wahllokalen keine Stimmabgabe möglich war( dies ist in der Niederschrift vermerkt) Die Schuld liegt eindeutig bei den Bezirksämtern und der Landeswahlleiterin. Aber Letztere ist nun beleidigt , ob der Kritik, und wirft den Bettel hin. Sollen doch die blöden Buletten den Kram selber organisieren.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Sie hat sich mit anderen Worten nicht oder doch jedenfalls nicht genügend darum gekümmert.

    • 3G
      32533 (Profil gelöscht)
      @97287 (Profil gelöscht):

      Schön zu lesen, dass es immer wieder Menschen gibt, die alles besser wissen - oder zu wissen glauben.

      Das Erstaunliche an Ihrem Post ist für mich, dass Sie trotz sichtbarer Faktenkenntnis keine gescheite Schlussfolgerung hinbekommen.

      Zum Einen ist Schuld etwas Anderes als VERANTWORTUNG. Gerade in Deutschland empfiehlt sich ein behutsamer Umgang mit dem Begriff 'Schuld'. Andernfalls wir er entwertet und wird völlig sinn-frei.

      Zum Anderen ist "Beleidigtsein" eine Interpretation oder Wertung, die durch Ihren Schlusssatz auf geschmacklose Weise abgerundet wird.

      Damit schaffen Sie es, die löbliche Konsequenz eines Menschen ins Gegenteil zu verkehren.

      Angemessenheit ist etwas Anderes für mich.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @32533 (Profil gelöscht):

        Und nochmal: Die Probleme mit den falschen Wahlzetteln seien der Landeswahlleitung seit Mitte August bekannt( RBB s.o.)., Daß der Berlinmarathon stattfindet und dass Corona- Maßnahmen den Wahlablauf beeinflussen, dürfte sich auch in den letzen 6 Monaten bis zur Landeswahlleiterin herumgesprochen haben.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @32533 (Profil gelöscht):

        Nachsatz: Ich spreche von Schuld, da ja auch die Landeswahlleiterin davon spricht. Die Wähler waren schuld, da sie so langsam ankreuzten und die Bezirksämter. Der Rücktritt der Wahlleiterin hat keine Konsequenzen, da es ein Ehrenamt ist. Die Dame muss weder um Versorgungsansprüche bangen noch um den Job in der Landesstatistik - Behörde. Was mich störte war die Art, mit der Kritik an Ihrer Tätigkeit( Für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl hat Sie die Verantwortung) mit Schuldzuweisung an Wähler und Bezirksämter zurück gewiesen wurde.



        Ich verstehe nicht, was Sie als löbliche Konsequenz bezeichnen. Sie übernimmt eben nicht die Verantwortung, sondern schmeißt hin und verhindert damit eine Aufklärung.Da die verantwortliche Dame jetzt zurückgetreten ist, wird man den/ die Schuldige vermutlich auch nicht mehr finden. Glauben Sie, dass die Bezirksbürgermeisterin zurück treten wird? Am Ende wird’s der Kofferbefüller gewesen sein.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @32533 (Profil gelöscht):

        Eigentlich ist es ganz einfach. Wenn man bisher an 6 Wahlen als Wahlhelfer bei verschiedenen Wahlen( Bundestag/Landtag/ Bürgerentscheid) mitgemacht hat, bekommt man eine gewisse Routine. Normalerweise holt der Wahlvorstand am Morgen ab 6.30 einen großen schwarzen Koffer ab, der mit den nötigen Unterlagen, Wahlzetteln usw. gefüllt ist. Er begibt sich in das zugewiesene Wahllokal und teilt seine Helfer ein und organisiert den Wahlablauf. Ab 8.00 wird der erste Wähler eingelassen. Der Schriftführer kontrolliert ob der Wâhler in der Liste eingetragen ist, Briefwähler haben einen Sperrvermerk . Abends wird ausgezählt und das kann dauern. Wurden die Koffer mit falschen Wahlzetteln bepackt merkt man es frühestens wenn den entsprechenden Zettel auf den Tisch legt, dann ist es schon zu spät, da im Bezirksamt niemand zu erreichen ist oder nur mit Verzögerung und draußen maulen die im Wahlverzeichnis stehenden. Wer ist nun schuld?

  • Korrekt. Da übernimmt endlich mal jemand Verantwortung für Dinge, die nicht gut gelaufen sind. Bitte mehr davon!

  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Respekt. So sollte es sein, dass Verantwortung übernommen wird.

    Viele verwechseln Rücktritte heutzutage mit innerer Schwäche. Das Gegenteil ist für mich der Fall. Große (nicht nur lange) Menschen übernehmen VERANTWORTUNG für die Böcke, die sie geschossen haben - oder verfehlt.

    Großer Respekt, Frau Michaelis. Ein dickes Lob.