Favourites Film Festival in Berlin: Lieblinge des Publikums
Das Favourites Film Festival in Berlin zeigt nur Werke, die mit Zuschauerpreisen bedacht wurden. Und die Menge ist in dem Fall sehr geschmackssicher.
Die Grundidee des Favourites Film Festival, das nun zum neunten Mal in Berlin statt findet, ist so simpel wie bestechend. Gezeigt werden hier ausschließlich preisgekrönte Werke. Jedoch nicht solche, die von den sicherlich stets fachkundigen Jurys diverser Filmfestivals mit dem Prädikat “außerordentlich“ bedacht wurden, sondern von den vielleicht nicht ganz so cineastisch versierten Besuchern dieser Festivals geliebt und mit sogenannten Publikumspreisen bedacht wurden.
Das heißt nun freilich nicht, dass man beim Favourites Film Festival eher massenkompatiblen Mainstream zu erwarten hat. Das Publikum, das auf den diversen Filmfestivals zugegen ist, mit denen “Favourites“ kooperiert, scheint vielmehr weitgehend geschmackssicher zu sein. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls angesichts des hervorragenden Programms, das vom 22. bis zum 26. September im City Kino Wedding geboten wird.
Schon der Eröffnungsfilm des Festivals, “A Son“, der Debütfilm von Mehdi M. Barsaoui aus dem Jahr 2019, ist ein außergewöhnlich intensives Familiendrama, das während des Arabischen Frühlings 2011 in Tunesien spielt. Ein Paar gerät hier unvermittelt auf einer Urlaubsreise in einen Konflikt mit Islamisten, die ihr Auto beschießen. Dabei wird ihr Sohn lebensbedrohlich verletzt. Schnell ist klar: er braucht eine Lebertransplantation. Fares, der Vater des Jungen, will sich als Organspender zur Verfügung stellen.
Doch es stellt sich heraus: er ist gar nicht dessen Vater. Dieser Schock für Fares droht die Familie zu zerreißen, gleichzeitig muss nun aber schnell der Junge gerettet werden. Während der hektischen Suche nach einer Ersatzleber spiegelt sich der Familienkonflikt in einer Region, die sich gerade im Aufruhr befindet, und in einer Gesellschaft, die sich in ihrer Verhaftung in Traditionen und dem Willen nach Aufbruch noch nicht gefunden hat.
Nahost-Drama um Einreise nach Israel
Ebenso mitreißend ist das Nahost-Konflikt-Drama “200 Meters“ aus dem Jahr 2020 von Ameen Nayfeh. Auch in diesem Film will ein Vater um jeden Preis seinem Sohn zur Hilfe kommen, der gerade im Krankenhaus liegt. Nur liegt der Sohn in Israel, während der Palästinenser Mustafa im Westjordanland lebt und seine Papiere, die ihn zur Einreise nach Israel berechtigen, abgelaufen sind.
Also macht er sich auf, um in einem Schmugglerauto doch noch irgendwie in den jüdischen Staat zu kommen. Ein wilder Roadtrip durch ein zerrissenes Land beginnt. Es geht vorbei an jüdischen Siedlern und Checkpoints und Mustafa wird ständig begleitet von der Angst, dass sein Vorhaben entdeckt wird. Was die Konsequenz hätte, seine Einreiseberechtigung nach Israel endgültig und damit vielleicht auch seine Familie zu verlieren.
Private Rettungswagen in Mexiko
Der wahre Knüller des Favourites Film Festival aber ist der Dokumentarfilm “Midnight Family“ von Luke Lorentzen (2020). Begleitet wird hier die Familie Ochoa in Mexico City bei der Arbeit. Und was man hier zu sehen bekommt, kann man streckenweise eigentlich kaum glauben. Ein Vater und seine beiden Söhne betreiben in der Metropole ein privates Rettungswagen-Business. Nachts hängen sie in ihrem Krankentransporter ab und hören den Polizeifunk. Wenn es dann dort heißt: Schrecklicher Unfall an dieser oder jener Straßenecke, rasen sie dorthin, um den oder die Verletzte ins nächste Krankenhaus zu kutschieren.
Straßenrennen mit konkurrierenden Rettungswagen gehören dabei mit zum Arbeitsalltag. Die Verletzten, die gleichzeitig Kunden sind, haben Schusswunden, eine gebrochene Nase oder sind aus dem vierten Stock eines Hauses gefallen. Was halt so vorkommt in einer Stadt wie Mexiko City. Sie wollen nun begutachtet, notverarztet, auch mal in den Arm genommen und möglichst schnell zur nächsten Rettungsstelle gefahren werden. Mal haben sie eine Krankenversicherung, mal nicht, es kommt nicht selten vor, dass die Ochoas nach getaner Arbeit keinen Peso sehen. Dann gibt es als Imbiss leider keine Tacos, sondern bloß wieder Thunfisch aus der Dose mit Majonnaise auf Crackern. Und korrupte Polizeibeamte wollen immer mal wieder auch noch bestochen werden.
Wer “Midnight Family“ sieht, ist schlagartig ziemlich dankbar, dass derartige Zustände in Deutschland undenkbar scheinen. Und erlebt gleichzeitig eine Familie im Überlebenskampf, die bei aller Notwendigkeit, sich auf zweifelhafte Art und Weise ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, ihren Ethos gegenüber Mitmenschen in Not nicht verliert. Die Ochoas sind als Teil eines kaputten Systems in gewisser Weise auch Helden.
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