piwik no script img

Neustart an der Berliner VolksbühneHeimkehr unter den Baldachin

René Pollesch beginnt seine Intendanz mit einer lustigen Unterforderung. Ob er die Volksbühne nach Dercon und #MeToo wiederbelebt? Offen.

Martin Wuttke mit einem Skelett (dem Geist der Vergangenheit?) auf dem Rücken Foto: Christian Thiel

Die jungen Leute und die alten Leute, jetzt stehen sie wieder in lockeren Gruppen vor der Berliner Volksbühne und warten auf die erste Uraufführung von René Pollesch in seiner neuen Rolle als Intendant. Zumindest sind die Fans dieses Hauses eine gute Mischung der Generationen.

Ein Kinderchor singt neben einem Zirkuszelt zur freundlichen Rahmung des Abends. Querdenker tauchen mit Megafon auf und protestieren gegen die Angepasstheit der Volksbühne. „Liberale. Linke. So was. Ihr seid geimpft. Schon immer“, steht auf ihrem Flugblatt, das kaum einer liest.

Auf der Bühne wird später Kathrin Angerer, die allein schon für ihre Rückkehr an die Volksbühne an diesem Abend geliebt wird, laut denken. „Aber irgendetwas ist dran an dem Jung-und-Alt-Thema“. Die jungen Leute fallen ihr auf, sitzen da, auf müde geschminkt, mit grauen Haaren auf der Wiese, „als wären die großen Werke an den Teenagern hängengeblieben“. Während sie „immer versuche, jung zu bleiben“.

Das ist eine nette Pointe im Denkungszusammenhang dieses Stücks, „Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“. Auch Martin Wuttke zieht einmal die Generationenkarte als 97-jähriger Schauspieler des alten Tolstoi, vor dem eine Delegation der Jugend sich beklagt, warum er ihre Revolution nicht teile.

Und er antwortet, dass er vor allem die jungen Leute, die nicht sprechen können, liebe …, aber da fallen ihm die Schauspielerinnen ins Wort, nur nicht „ich liebe …“ sagen, damit mache er sie zum Objekt. Das L-Wort auf die Rote Liste, man denke an den Streit um das Gomringer-Gedicht an der Alice-Salomon-Hochschule 2018. Eigentlich zwei schöne Anläufe, um den Riss zwischen einem in die Jahre gekommenen, irgendwie linken Selbstverständnis und der Generation Fridays for Future und von jungen Feministinnen in den Blick zu nehmen, aber da will das Stück gar nicht weiter hin.

Eine kollektive Intendanz

Kathrin Angerer und Martin Wuttke, die mit Susanne Bredehöft und Margarita Breitkreiz die Uraufführung bestreiten, standen schon zu Frank Castorfs Zeiten für den Ruhm der Berliner Volksbühne als ein Haus der zu allem bereiten Spie­le­r:in­nen. Sie sind nicht nur auf diese Bühne zurückgekehrt, sondern werden von Pollesch auch als Mitglieder seiner kollektiven Intendanz genannt.

Damit will er markieren, die Autonomie und die Kreativität der vielen an jedem Theaterabend beteiligten Künst­le­r:in­nen nicht der Autorität des Regisseurs zu unterstellen. Das Haus soll von der Lust an Gemeinsamkeit getragen werden.

Ein Wunsch, der heilsam klingt, nach den letzten fünf quälenden Jahren, in denen die Volksbühne zunächst von Chris Dercon geleitet wurde, dem aus dem Haus und aus vielen Ecken der Theaterwelt mit großem Misstrauen begegnet wurde, und der danach folgenden Interimsleitung von Klaus Dörr, die mit dessen Rücktritt wegen Sexismusvorwürfen endete.

Geist der Castorf-Zeit

Mit René Pollesch als neuem Leiter entschied sich der Berliner Kultursenator Klaus Lederer im Juni 2019 für den Kandidaten, der die Gemüter beruhigte, ein Anknüpfen an den Geist der Castorf-Zeit, das gemeinsame Erfinden und das Zulassen von vielen anarchistischen Momenten versprach.

So hat die Inszenierung von „Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“ viel von einer Heimkehr. Dazu gehört auch, dass für den titelgebenden Vorhang, der im Übrigen oft horizontal über der Bühne schwebt, wie ein Baldachin, der junge Bühnenbildner Leonard Neumann verantwortlich ist, Sohn von Bert Neumann, der bis zu seinem Tod den Auftritt des Hauses, den Look des Offenen und Abgenutzten und zufällig Gefundenem prägte.

Der Text, von Pollesch mit den Spielenden entwickelt, folgt den Sprüngen und Abirrungen der Gedanken, die sich oft, aber nicht nur, um das Framing des Theaters drehen, den Anfang und Ende, den ein Vorhang markiert, die nicht einzulösende Erwartung an das Überwältigende einer Tragödie und inwiefern das, was mutmaßlich in den Köpfen der Zuschauer vorgeht, die Spielenden davon abbringt, bei sich selbst zu bleiben.

Alberne Parodien

Es ist nicht das erste der gut 50 Stücke von René Pollesch, in dem das Theater über sich selbst nachdenkt. 2018 etwa in „Cry Baby“, mit Sophie Rois und Bernd Moss und vielen ehemaligen Volksbühnen-Schauspielerinnen am Deutschen Theater in Berlin: Da ging es um den Schein und wer warum was eigentlich bezahlt.

Ein Höhepunkt waren die Rededuelle zwischen Sophie Rois und Bernd Moss dar­um, ob ein Theater mehr wert sei, in dem die Zuschauer bezahlen, oder eines, in dem der Künstler für seinen Auftritt bezahlt, und ob das nicht das wahre Liebhabertheater sei.

Die Szenen werden mit viel Witz und albernen Parodien eines vermeintlich ganz anderen Theaterbetriebs der Repräsentation, der so allerdings, wie ihn Pollesch als stetes Feindbild aufbaut, auch nur noch eingeschränkt existiert, vorgetragen; wie weit sie noch an andere Diskurse andocken, verschiebt sich von Stück zu Stück. Etwas mager bleibt, was an Denknahrung so hängen bleibt.

Wie es weitergeht

Die Inszenierung ist lustig, aber gemessen an dem, was dieses Haus, das sich die Überforderung des Zuschauers lange auf seine Fahnen geschrieben hatte, und gemessen auch an dem, was René Pollesch hier schon an Gedanken bewegt hat, auch eine Unterforderung.

Wie es weitergeht? Es wäre zu viel, das aus dieser einen Inszenierung herauslesen zu wollen. Zurzeit sucht die Volksbühne Zu­schaue­r:in­nen, die sich hypnotisieren lassen wollen, für die nächste Premiere am 23. September, „A Divine Comedy“ von der österreichischen Choreografin Florentina Holzinger, die bei der Ruhrtriennale uraufgeführt wurde. Eine Inszenierung, die den Blick auf den nackten und verletzlichen Körper verhandelt, dabei aber auch vor Oberflächlichkeiten und Kalauern nicht zurückscheut.

Die Volksbühne will, das versteht sie auch als ihren kulturpolitischen Auftrag, weiblicher, queerer und intersektionaler als in der Vergangenheit werden. Darin unterstützen René Pollesch auch neu eingesetze Ku­ra­to­r:innen, wie Marlene Engel für die Musik oder Vanessa Unzalu Troya, die das Jugendtheater der Volksbühne, P 14, seit vielen Jahren leitet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!