Robert Habecks erstes Mal Wählen: Ein durchaus feierlicher Moment
Robert Habeck stimmte für die SPD, als er 1987 erstmals wählen durfte. Kurz zuvor war die Affäre um CDU-Mann Barschel bekannt geworden.
Bei meiner ersten Wahl habe ich die SPD gewählt. Und das kam so: Uwe Barschel vs. Björn Engholm – für die Schleswig-Holsteiner*innen ist diese Auseinandersetzung, obwohl nun über dreißig Jahre her, so was wie die Mutter aller Wahlkämpfe. Und für mich auch. Die Skandale und Intrigen bis hin zum Tod von Uwe Barschel in einer Hotelbadewanne in Genf füllen Bücher, und immer wieder werden neue Geschichten geschrieben. Und wenn man heute mit Protagonisten der Zeit redet, dann ist für sie diese Wahl noch immer gegenwärtig.
Schon vor der Bundestagswahl am 26. September 2021 blicken wir zurück: Bekannte Persönlichkeiten erzählen von der ersten Wahl, bei der sie abstimmen durften. Alle Texte hier.
Protagonist war ich nicht. Aber die Landtagswahl 1987 war meine erste Wahl. Und ich erinnere mich noch gut an die Stimmung im Land, die offene Feindschaft zwischen den Parteien, ein Wahlkampf, der keine Gegner hatte, sondern Feinde. Ich war knapp vor der Landtagswahl 18 Jahre alt geworden. Am Wahltag selbst hatte ich irgendwas vor, deshalb ging ich ein paar Tage vorher ins Rathaus und machte Briefwahl.
Ich weiß, dass ich das als durchaus feierlichen Moment empfand. Vergleichbar vielleicht nur mit meiner Vereidigung als Minister eine paar Jahrzehnte später. Ich fühlte mich als Bürger und erwachsen und mündig und ernst genommen. Wahlen sind nicht nur ein Recht, sie nehmen einen auch in die Pflicht. Sie binden einen in die Verantwortung mit ein.
Am 11. Oktober 1987 wurde Uwe Barschel (CDU) von Reportern des Stern tot in der Badewanne seines Genfer Hotelzimmers gefunden. Neun Tage vorher war er als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zurückgetreten, nachdem der Spiegel über Tricks der Staatskanzlei im Wahlkampf gegen Björn Engholm (SPD) berichtete. Sein „Ehrenwort“, er habe davon nichts gewusst, nützte nichts. Politisch war er erledigt.
Die Todesumstände Barschels sind nicht geklärt. Der seinerzeit mit den Ermittlungen beauftragte Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille ist von Mord überzeugt, wurde aber vom Generalstaatsanwalt ausgebremst.
Im Mittelpunkt der Affäre stand Journalist, Grabredner und Eisverkäufer Reiner Pfeiffer. Nach Station beim Weser-Report wurde er vom Springer-Verlag an die schleswig-holsteinische CDU vermittelt, die ihn im Büro des Ministerpräsidenten als Medienreferenten einsetzte.
Pfeiffer starb am 12. August in einem Pflegeheim in Hambergen. Zuletzt hatte er als Kreditvermittler gearbeitet. Nach dem Auffliegen seiner Anti-Engholm-Aktionen (siehe Interview) bezog er vom Spiegel bis Ende 1988 einen monatlichen „Verdienstausfall“ von 5.700 Mark. Dieses Geld investierte er größtenteils in ein Sonnenstudio, das jedoch Insolvenz anmelden musste.
Und es war für mich völlig klar, dass ich Björn Engholm wählen würde. Er war damals für viele Menschen der Hoffnungsträger, klug, intellektuell, progressiv, charismatisch und vor allem gewillt, sich mit der schwarzen Macht, die das Land seit Dekaden regierte, anzulegen. Später traf ich Björn Engholm als Politiker ein paar Mal. Und jedes Mal dachte ich: Er hat vielleicht die Enttäuschung verarbeitet, mir hing sein politisches Scheitern noch nach.
Denn die Geschichte geht so weiter: Die SPD unter Björn Engholm brach die absolute Mehrheit der CDU und wurde stärkste Kraft (mit 45 Prozent), nachdem der Spiegel wenige Tage vor der Wahl die Barschel-Affäre enthüllt hatte. Die Grünen scheiterten erneut an der 5-Prozent-Hürde. Die FDP kam jedoch in den Landtag, sodass es ein Patt gab zwischen CDU/FDP und SPD und der Partei der dänischen Minderheit, dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW).
Uwe Barschel trat Anfang Oktober zurück und nach einer dramatischen Hängepartie wurde neu gewählt, am 8. Mai 1988. Auch da gab ich Björn Engholm meine Stimme. Wie 54 Prozent der Wähler*innen. Die Grünen verloren nochmals gegenüber 1987.
Björn Engholm wurde Ministerpräsident, das Land begann einen liberalen Aufbruch, er wurde Parteivorsitzender der SPD – und musste dann selbst ein paar Jahre später zurücktreten, nachdem die sogenannte Schubladenaffäre ans Licht brachte, dass die SPD von den Machenschaften Barschels schon vorher wusste und sie sich zunutze gemacht hatte. Danach wählte ich immer die Grünen.
Als ich selbst in den Landtag einzog, 2009, versuchte ich, so gut ich konnte, meinen Beitrag zu leisten, damit mein Land mit seiner wüsten politischen Kultur aus den Schützengräben rauskommt. Sicher ist: Die Person, die ich politisch geworden bin, und die Rolle, die ich für die Grünen im Parteiensystem sah und sehe – beides liegt auch an den Erfahrungen meiner ersten Wahl.
Protokoll: Adrian Breitling
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen