Biowarenhändler über Neuland aller Art: „Ich sehe die Leute gern fröhlich“

Ali Shahandeh sieht sich mit seinem Bioladen in Hamburg-Altona als Gentrifizierungsgewinner. Ein Gespräch über Rassismus und sandige Biomöhren.

Der Biowarenhändler Ali Shahandeh

Er hat seinen Kun­d*in­nen Bio nahe gebracht, obwohl sie ihm den Vogel zeigten: Ali Shahandeh Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Shahandeh, Sie haben einmal gesagt: „Ich bin ein Gentrifizierungsgewinnler.“ Das geben nur die wenigsten zu.

Ali Shahandeh: Ja, richtig. Ich habe den Laden jetzt seit 26 Jahren und früher habe ich richtig zu kämpfen gehabt, weil hier Leute gewohnt haben, die nicht so gut verdient haben und mehr Anbieter auf dem Markt waren. Die Ecke ist ein altes Arbeiterviertel. Die Leute, die dann hierhergezogen sind und sich diese Wohnungen entweder als Eigentum oder als Mieter leisten können, haben mehr Kaufkraft. Früher habe ich mehr Kunden gehabt, die mal Salat hochgehoben haben, zweimal geguckt, kostet 1,20 Euro, und ihn dann wieder reingelegt haben. Weil es ihn eventuell bei Aldi oder Lidl für einen Euro gab. Jetzt kaufen die Leute entweder aus solidarischen Gründen oder weil sie mich gut finden und weil sie eben Kaufkraft haben.

Sie haben aber direkt auf Bio gesetzt?

Ich habe nicht direkt mit Bio angefangen. Der Laden war ja ein ganz konventioneller, als ich ihn übernommen habe. Mein erstes Bioprodukt waren Moormöhren und Kartoffeln. Da haben sie mir den Vogel gezeigt: „Was soll ich mit den Moormöhren? Die muss ich ja eine Stunde waschen, damit ich sie essen kann.“

Und wie sind Sie überhaupt zu Bio gekommen?

Auf dem Großmarkt gab es vor 25 Jahren einen Biostand, den eine junge Frau betrieben hat. Bei ihr habe ich die ersten Möhren und Kartoffeln eingekauft und mit ihr habe ich immer darüber gesprochen, wieso Bio gut ist. Ich bin auf dem Großmarkt gewesen, habe meine ganzen anderen Einkäufe gemacht und bin zum Schluss zu ihr gegangen. Wir haben Kaffee getrunken, weil sie nicht so viel Kundschaft hatte.

Inzwischen gibt es in Ihrem Laden auch Kulturveranstaltungen. Brauchten Sie Abwechslung?

Ich lese sehr gerne und ich sehe die Leute gern fröhlich. Und Kulturveranstaltung wollte ich immer machen. Ich war mal in einer Kneipe, wo gelesen wurde, und fand das eine tolle Sache und dachte: So etwas kann ich auch im Laden anbieten. Es hat mit einem Nachbarn angefangen, der Anwalt ist und politische Romane schreibt. Dann meinte ein anderer Nachbar: „Lass uns mal eine Tanzparty machen.“ Da habe ich gesehen, dass die Leute Freunde geworden sind, die sich vorher im Treppenhaus nur mal guten Tag gesagt haben.

60, ist im Iran geboren. 1985 flüchtete er über die Türkei nach Deutschland, wo er Betriebswirtschaft studierte. 1995 übernahm er einen Lebensmittelladen im Hamburger Stadtteil Altona-Nord, einem ehemaligen Arbeiterviertel, und wandelte ihn allmählich in einen Bioladen um.

Man konnte lange bei Ihnen anschreiben – jetzt hängt da ein Zettel, dass es nicht mehr geht. Warum?

Das hat eine Vorgeschichte. 2008 gab es die Wirtschaftskrise und ich stand hier und keiner kam in den Laden. Dann habe ich mit Hilfe eines Kunden ein Schreiben verfasst: Wenn ihr mich hier weiter haben wollt, bräuchte ich ein Polster. In der nächsten Woche kamen die Leute und haben mich gefragt, wie viel Geld ich wollte. Ich habe gesagt: Wer mir 100 Euro gibt, bekommt 2,5 Prozent Zinsen. Wer mir 200 Euro gibt, bekommt fünf Prozent, wer mir 300 Euro gibt, bekommt sieben Prozent Verzinsung. Und dann gab es die Liste mit Einkäufen auf Kredit für die, die mir Geld geliehen hatten. Aber da kamen eben auch Leute, die ihr Geld vergessen haben.

Und wann funktionierte es nicht mehr?

Bei einigen wusste ich, dass sie knapp sind, so wie ich selbst diese Zeit hatte, manche haben es vergessen und die Liste wurde immer länger, einige sind weggezogen und haben nicht gezahlt. Letztes Jahr haben wir den Zettel aufgehängt, dass wir nicht mehr anschreiben – aber wir machen es immer noch.

War der Laden etwas, was sich ergeben hat oder etwas Geplantes?

Ich habe in Hamburg Betriebswirtschaft studiert und dabei immer bei einer Firma gejobbt, von der ich dachte, dass sie mich übernehmen würde. Aber sie sind pleite gegangen. Ich hatte schon eine Familie und stand auf der Straße. Schließlich traf ich einen Freund, der hier im Laden als Aushilfe jobbte und sagte, dass sie jemanden suchen, der ihn übernimmt. Ich hatte eigentlich nicht vor, selbständig zu werden, das Schicksal hat mich dorthin geführt.

Können Sie im Rückblick auch so gelassen darauf sehen, dass Sie den Iran verlassen mussten?

Ich bin 1985 gekommen, da war ich 25 Jahre alt. Ich bin sozusagen Revolutionskind und von dieser Welle mitgenommen worden. Nach meinem Abi hatte ich als Gehilfe für Vermesser gearbeitet, die Unis waren geschlossen. Ich habe mich freiwillig als Soldat gemeldet und zwei Jahre den Iran-Irak-Krieg mitgemacht. Danach wurde es im Land sehr brutal und diktatorisch. Meine Schwester und ich wurden verhaftet, mein Vater hat lange im Gefängnis gesessen. Ich bin alleine mit zwei, drei anderen Leuten geflüchtet und über die Berge in die Türkei gekommen. Ich habe mir überlegt, in welchem Land ich mich wohler fühlen würde, wo ich eine Zukunft sehe. Und ich würde sagen, ich bin auch glücklich, dass ich in Deutschland bin. Ich fühle mich mehr wie ein Deutscher als wie ein Perser, weil ich mehr hier gelebt habe und die letzten Jahre in Iran waren sehr, sehr harte Jahre.

Haben Sie noch Kontakte in den Iran?

Ich habe eine Schwester und zwei Brüder dort. Wir sind auch jetzt sehr eng mit dem Iran verbunden, jeden Tag höre ich iranische Nachrichten, sehe die Berichte im Fernsehen. Ich wundere mich, wie wenig berichtet wird, obwohl die Lage sehr ernst ist: Wassermangel, Inflation, Unterdrückung von Frauen, die Kinder gehen nicht richtig zur Schule. Ich bin ungern dort. Du kannst nicht einmal etwas zu dir nehmen, ohne dass du danach denkst: Der andere an der Ecke stirbt, weil er nichts zu essen hat.

Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass Sie im Reinen damit sind, dass Ihr Leben ganz anders verlaufen ist, als Sie es erwartet haben.

Ich habe mich damit abgefunden. Am Anfang war es sehr erschreckend: Du hast einen Diplomabschluss gemacht als Ausländer, der dazu eine Fremdsprache lernen musste, und wirst nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, obwohl du 50 Bewerbungen geschickt hast. Ich will nicht mehr an diese Zeit zurückdenken und nicht mehr in dieser Haut stecken. Ich konnte mir nur die Erklärung geben, dass ich ein bisschen älter war als die anderen, ich habe meinen Abschluss gemacht, als ich 31 war, die anderen waren 24.

Das ist ein milder Blick auf die Arbeitgeber.

Es ist nicht gut für den Arbeitgeber, der jemanden sucht, dass er sich nicht mal zutraut, so jemanden einzuladen. Wenn man sich meinen Lebenslauf einmal anschaut: Der Mensch hat immer etwas getan, er hat sich nicht in die Ecke gesetzt und geheult, weil die Leute nicht kommen. Selbst in der Zeit, als ich es offiziell nicht durfte, habe ich die Sprachschule besucht.

Es ist bemerkenswert, dass Sie überhaupt nicht erwähnen, dass es daran liegen könnte, dass Sie aus dem Iran kommen.

Ich möchte nicht diese Vorurteile stützen. Wenn ich es nicht weiß, dann will ich nicht sagen: „Die, die mich nicht eingeladen haben, waren rassistisch.“ Ich weiß nicht, aus welchen Gründen sie mich nicht eingeladen haben. Ich mache mir das Leben nicht schwer. Wenn du sagst, „das waren Rassisten“, dann schließt du eine große Menge mit den Rassisten zusammen. Aber wenn du sagst: „Nein, die haben sich für jemanden entschieden, der jünger war“, ist es leichter, in dieser Gesellschaft zu leben.

Haben Sie rassistische Erfahrungen gemacht?

Natürlich habe ich die auch gemacht. Auf dem Weg zu meinem Asylverfahren bin ich in Zirndorf ausgestiegen und wollte nachfragen, welchen Zug ich nehmen sollte. Da haben sie laut geschrien: „Raus, du Schwein.“ Jetzt hast du auch an der Post Leute, die ausländisch aussehen, an der Bank hast du welche, an der Müllabfuhr, auf der Straße. Damals, als ich meinen Job gesucht habe, hast du weder in der Bank noch auf der Post noch bei den Müllmännern Leute mit ausländischer Herkunft gesehen. Einfache Leute, die irgendwo auf dem Großmarkt arbeiteten, das konnten Ausländer sein.

Haben Sie oft solche Erfahrungen wie die in Zirndorf gemacht?

Nein, nicht so oft. Wenn ich alles zusammenzähle, vielleicht fünf, sechs Mal.

Sechs Mal zu oft.

Es ist so. Früher war es mehr. Jetzt ist es viel humaner geworden, weil sie entweder ausgestorben sind oder sich gebildet haben, eine andere Ansicht angenommen haben. Die Gesellschaft ist bunter geworden. Vor etwa 20 Jahren hat mir ein Ghanaer immer morgens beim Auspacken geholfen. Nach einem Monat kam ein Kunde von der Ecke zu mir und sagte: „Da drüben wird gesprochen, wenn Alis Ware noch mal von dem Afrikaner angefasst wird, gehen wir nicht mehr hin.“

Und dann?

Er ist dann für eine Zeit nach Ghana gegangen und als er zurückkam, hatte er einen anderen Job und ist von selbst gegangen.

Hätten Sie ihn denn entlassen?

Nein, ich hätte ihn nicht entlassen.

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