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Aktuelle Nachrichten zu AfghanistanWarnschüsse am Kabuler Flughafen

Um die Menschenmenge zurückzudrängen, haben Talibankämpfer am Flughafen in Kabul Warnschüsse abgefeuert. Die Kritik an der Rolle des BND hält an.

Talibankämpfer patrouillieren am Donnerstag durch Afghanistans Haupstadt Foto: ap

Taliban feuern am Flughafen Warnschüsse ab

Am Flughafen von Kabul spielen sich weiter chaotische Szenen ab. Am Donnerstag feuerten Taliban-Kämpfer Warnschüsse ab, um die Menschenmenge zurückzudrängen, die auf das Flughafengelände gelangen wollte. Viele der Menschen dort liefen darauf in Panik davon, wie Augenzeugen beobachteten.

Zahlreiche Afghanen versuchen verzweifelt, über einen der Evakuierungsflüge westlicher Staaten, vor allem der USA, ins Ausland zu gelangen. Rund um den Flughafen haben die Taliban Kontrollposten errichtet. Für viele, auch Bürger westlicher Staaten, gibt es dort kaum ein Durchkommen. Auch die US-Soldaten auf dem Flughafen wollen verhindern, dass Menschenmassen unkontrolliert aufs Flugfeld strömen, wie das am Montag passiert ist. Mindestens sieben Menschen kamen dabei ums Leben. (ap)

Abgeordnete üben Kritik am BND

Nach dem Siegeszug der Taliban verlangen Bundestagsabgeordnete Aufklärung über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes (BND). Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz sagte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur vor einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sie stelle sich die Frage, warum die Einschätzung der Lage so „fehlgelaufen“ sei. Das neunköpfige Gremium kontrolliert für den Bundestag die deutschen Nachrichtendienste. Es tagt geheim.

„Warum hat man das nicht absehen können, wie schnell der Vormarsch der Taliban ist?“, fragte Lindholz. „Bei allen Erkenntnissen, die man hat: Warum kam man zu dieser Fehleinschätzung?“ Linksfraktionsvize André Hahn, ebenfalls Mitglied des Gremiums, sagte der dpa: „Ich will vor allen Dingen wissen, warum der Bundesnachrichtendienst offenbar vollständig ahnungslos gewesen ist. Man hat sich scheinbar komplett auf die Amerikaner verlassen, die in diesem Fall auch nicht wussten, wie schnell es gehen kann. Man hatte keine eigenen Erkenntnisse.“

Jetzt stehe der BND „komplett nackt“ da, kritisierte Hahn. „Wofür hält man sich einen solchen Auslandsgeheimdienst, wenn er nicht in der Lage ist, eigene Erkenntnisse zu generieren und rechtzeitig die Bundesregierung zu informieren?“ Der BND habe die Pflicht, die Bundesregierung zu warnen oder ihr Hinweise zu geben – und habe „offenbar komplett versagt“. (dpa)

Bürokratie erschwerte Visa-Vergabe für Ortskräfte

Wegen umständlicher bürokratischer Verfahren sind Tausende afghanische Ortskräfte deutscher Organisationen nicht rechtzeitig an ein Visum für Deutschland gekommen. Nach Informationen des Evangelischen Pressedienstes epd gingen im Zeitraum von Anfang Juli bis Mitte August mehr als 9.000 Gefahrenanzeigen von Afghaninnen und Afghanen bei den zuständigen Stellen ein. Nach Abzug von Duplikaten waren es knapp 4.200.

Doch bis zum Montag, also einen Tag nach der Machtübernahme der Taliban, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) der dem epd vorliegenden Statistik zufolge nur in 237 Fällen eine Berechtigung zur Visa-Ausstellung erteilt. In 329 weiteren Fällen wurde dies wiederum abgelehnt. Über die übrigen Gefahrenanzeigen waren zu dem Zeitpunkt noch nicht entschieden worden. Erst wenn die Berechtigungen erteilt waren, konnte mit der Abnahme der Fingerabdrücke der eigentliche Visa-Prozess eingeleitet werden.

Die meisten Fälle (rund 1.750) betrafen Ortskräfte der Bundeswehr, knapp 300 Fälle die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Anträge von lokalen Beschäftigten deutscher Entwicklungsorganisationen und Stiftungen gingen wiederum zum überwiegenden Teil erst ab Anfang August ein. Viele Entwicklungsorganisationen waren davon ausgegangen, auch nach dem internationalen Truppenabzug in Afghanistan arbeiten zu können.

Die große Koalition hatte sich im Juni darauf verständigt, afghanischen Ortskräften, die ab 2013 ein Visum für Deutschland anstrebten, dieses zu bewilligen. Zuvor galt, dass ein Visum spätestens zwei Jahre nach der Tätigkeit für die Bundeswehr vor Ort gestellt werden musste – und für diese Gruppe wurden bis Ende Juni rund 2.400 Visa ausgegeben. Die neu hinzugekommene Gruppe musste wiederum zum großen Teil vergeblich auf eine Berechtigung für den Visa-Prozess warten.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung am Donnerstag hat die Bundesregierung noch eine weitere Möglichkeit verstreichen lassen, frühzeitig afghanische Helfer der Bundeswehr aus dem Land zu bringen. So hatte das Verteidigungsministerium bereits für den 25. Juni, vier Tage vor dem Ende des Bundeswehreinsatzes in dem Land, zwei Charterflugzeuge bei zwei spanischen Airlines organisiert. Damit sollten in einer „einmaligen“ Aktion 60 Ortskräfte und ihre Angehörigen – maximal 300 Personen – von Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr ihren letzten Stützpunkt hatte, nach Deutschland gebracht werden.

In Deutschland hat alles seine Ordnung! Foto: imago

Doch die Flüge kamen wegen bürokratischer Hindernisse nicht zustande. Das Verteidigungsministerium bestätigte der Zeitung den Vorgang. „Zu dem geplanten Durchführungszeitpunkt konnten die Voraussetzungen wie Pass und Visa für die sichere Abfertigung der möglichen Passagiere vor Ort nicht mehr erfüllt werden“, sagte ein Sprecher dem Blatt. Dabei sei es vor allem darum gegangen, die Ortskräfte und ihre Angehörigen zweifelsfrei zu identifizieren und vor der Ausreise zu prüfen, ob sie berechtigt seien, nach Deutschland gebracht zu werden.

Das Innenministerium hatte sich laut Bericht über Wochen und Monate geweigert, das Verfahren für Ortskräfte zu vereinfachen. Erst vergangene Woche, als sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert hatte, ermöglichte Innenminister Horst Seehofer (CSU), dass Ortskräfte auch ohne fertige Papiere nach Deutschland kommen konnten. (epd)

Ortskräfte berichten von Problemen am Flughafen Kabul

In Kabul haben einheimische Helfer von deutschen Organisationen Schwierigkeiten, zu Evakuierungsflügen auf den Flughafen zu kommen. Das berichteten zwei Ortskräfte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Einerseits seien die Straßen zu den Flughafen-Eingängen völlig verstopft und teils unpassierbar. Andererseits ließen US-Soldaten sie dann direkt bei den Eingängen nicht vor.

Die amerikanischen Soldaten lassen nur ihre Leute durch“, sagte eine Ortskraft. Es habe zu der Zeit, als die Person zum Flughafen gerufen wurde, von deutscher Seite niemanden am Eingang gegeben. Eine andere Ortskraft berichtete, sie habe von 20 Uhr abends bis 2 Uhr morgens versucht, in den Flughafen zu gelangen. Ein US-Soldat habe gesagt, jemand müsse herkommen und überprüfen, ob er wirklich eine Ortskraft der Deutschen sei. Immer wieder seien Schüsse in die Luft gefeuert worden. Auch Tränengas sei eingesetzt worden. Zudem blockierten Afghanen, die keine Dokumente hätten, den Zugang.

Am Flughafengelände von Kabul gibt es verschiedene Eingänge. Viele Menschen befinden sich beim Zugang zum zivilen Teil, der am südlichen Ende des Flughafens liegt. Von dort aus werden kommerzielle Flüge abgewickelt, die allerdings aktuell eingestellt sind. Am nördlichen Ende gibt es einen Zugang zum militärischen Teil. Ein weiterer Eingang liegt rund ein Kilometer östlich vom Eingang zum zivilen Teil. Rund um diese Eingänge – aber auch entlang der Sprengschutzwände, die das Gelände umgeben – harren Tausende Menschen aus oder versuchen irgendwie, auf das Gelände zu gelangen.

Zudem fordern die Taliban alle Menschen ohne Reisegenehmigung auf, den Flughafen zu verlassen. Ein Vertreter der Islamisten erklärt zudem, seit Sonntag seien zwölf Menschen bei Massenpaniken gestorben oder erschossen worden. „Wir wollen niemanden am Flughafen verletzen“, sagt der Taliban-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden will. (dpa/rtr)

IWF friert Gelder ein

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat der Internationale Währungsfonds den Zugang Kabuls zu IWF-Ressourcen wegen der unsicheren politischen Lage ausgesetzt. „Derzeit herrscht innerhalb der internationalen Gemeinschaft Unklarheit über die Anerkennung einer Regierung in Afghanistan, was dazu führt, dass das Land keinen Zugang zu SZR (Sonderziehungsrechten) oder anderen IWF-Ressourcen hat“, erklärte eine IWF-Sprecherin am Mittwoch.

Für Montag ist eine Zuteilung von Sonderziehungsrechten in Höhe von 650 Milliarden Dollar (560 Milliarden Euro) an alle berechtigten Mitglieder geplant. Die Taliban werden dann voraussichtlich keinen Zugang zum afghanischen Anteil haben, der laut dem ins Ausland geflohenen Chef der afghanischen Zentralbank, Adschmal Achmady, 340 Millionen Dollar beträgt.

Auch ein 370 Millionen Dollar schweres Kreditprogramm des IWF, mit dem die Wirtschaft Afghanistans in der Corona-Krise angekurbelt werden sollte, ist damit ausgesetzt. Laut Achmady belaufen sich die Devisenreserven der afghanischen Zentralbank auf rund neun Milliarden Dollar. Ein Großteil des Geldes befinde sich jedoch außerhalb Afghanistans, erklärte Achmady auf Twitter. Allein sieben Milliarden Dollar befänden sich bei der US-Zentralbank.

Ein US-Regierungsvertreter hatte bereits am Montag erklärt: „Zentralbankreserven der afghanischen Regierung, die in den USA liegen, werden den Taliban nicht zur Verfügung gestellt.“ Zentralbank-Chef Achmady teilte zudem mit, dass die Lieferung von US-Dollar in das Land „unterbrochen“ sei. Dollar in Form von Bargeld seien dort kaum noch erhältlich. Der Wert der afghanischen Währung war mit der Übernahme der Islamisten stark gefallen. (afp)

Bundeswehr hat mehr als 900 Menschen evakuiert

Die Bundeswehr hat in der Nacht auf Donnerstag mehr als 200 weitere Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul ins Nachbarland Usbekistan gebracht. Eine Transportmaschine mit insgesamt 211 Bundesbürgern, afghanischen Ortskräften und weiteren Passagieren landete in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, wie das Verteidigungsministerium in Berlin mitteilte. Von dort geht es dann mit zivilen Flugzeugen weiter nach Deutschland. Damit wurden nach Angaben des Ministeriums von der Bundeswehr seit dem Machtwechsel in Afghanistan bereits mehr als 900 Menschen evakuiert. (dpa)

Ankunft in Taschkent: Kurz nach der Landung der Bundeswehrmaschine am 18. August 2021 Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/reuters

Erdoğan spricht Afghanistan Unterstützung aus

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dem Land seine Unterstützung zugesagt. Wer auch immer die Führung innehabe, man stehe Afghanistan in guten wie in schlechten Zeiten bei, sagte Erdogan laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch. Die Türkei habe bereits zuvor erklärt, man könne die Führung der Taliban empfangen, das gelte auch heute. Bisher sind Erdogan zufolge 522 türkische Staatsbürger aus dem Land gebracht worden. (dpa)

Ex-Präsident Ghani von Vereinigten Arabischen Emiraten aufgenommen

Der afghanische Präsident Aschraf Ghani hält sich nach seiner Flucht mit seiner Familie in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Das bestätigte die Regierung in Abu Dhabi am Mittwoch. Ghani und seine Familie seien aus „humanitären Erwägungen“ aufgenommen worden, zitierte die staatliche Agentur WAM das Außenministerium. Wo im Land sich Ghani aufhält, blieb unerwähnt. Ghani hatte das Afghanistan verlassen, als die militant-islamistischen Taliban auf Kabul vorrückten.

In einem Video auf Facebook verteidigte Ghani am Mittwochabend seine vielfach kritisierte Abreise aus Kabul. Es sei die einzige Möglichkeit gewesen, ein Blutvergießen zu verhindern, sagte er in seiner ersten öffentlichen Äußerung seit seiner Flucht. In dem Video dankte er den afghanischen Sicherheitskräften und sagte, das „Scheitern des Friedensprozesses“ habe zur Machtübernahme der Taliban geführt.

Zugleich wies er indirekt Vorwürfe des afghanischen Botschafters in Tadschikistan zurück, er habe 169 Millionen Dollar (144 Millionen Euro) öffentlicher Gelder mitgenommen. „Ich war gezwungen, Afghanistan mit einem Satz traditioneller Kleidung, einer Weste und den Sandalen, die ich getragen habe, zu verlassen“, sagte er.

Er begrüße die Gespräche, die der frühere Präsident Hamid Karsai und ein Repräsentant der gestürzten Regierung, Abdullah Abdullah, mit den Taliban führten, sagte er. Karsai und Abdullah trafen sich mit dem Führer der mächtigen, von den USA als terroristisch eingestuften Taliban-Fraktion Hakkani-Netzwerk, Anas Hakkani.

Der bisherige Vizepräsident Afghanistans, Amrullah Saleh, hatte sich am Dienstag bei Twitter zum Übergangspräsidenten seines Landes erklärt und auf die Verfassung verwiesen. De facto haben aber die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen. (ap)

USA bleiben notfalls länger als 31. August

Die US-Streitkräfte werden nach den Worten von US-Präsident Joe Biden so lange in Afghanistan bleiben, bis die Evakuierung aller Amerikaner abgeschlossen ist – notfalls auch über den 31. August hinaus. „Wenn es dort noch amerikanische Staatsbürger gibt, werden wir bleiben, bis wir sie alle rausgeholt haben“, sagt Biden dem Sender ABC News. (rtr)

Großbritannien verdoppelt Entwicklungshilfe für Afghanistan

Großbritannien will seine Entwicklungshilfe für Afghanistan in diesem Jahr deutlich anheben. Die Hilfen sollen auf 286 Millionen Pfund verdoppelt werden, teilt Außenminister Dominic Raab mit. „Wir fordern andere auf, unserem Beispiel zu folgen, um sicherzustellen, dass die am meisten gefährdeten Afghanen auch die humanitäre Hilfe erhalten, die sie brauchen.“ (rtr)

Talibangespräche mit ehemaliger Regierung

Die Taliban wollen Mitgliedern der früheren Regierung Posten in ihrer neuen Regierung anbieten. Das kündigt ein Vertreter der Taliban an. Nach seinen Angaben dauern die Gespräche zwischen Vertretern des Taliban und der alten Regierung an. Der Sprecher erklärt auch, Frauen sollten bei der Bildung der neuen Verwaltung gehört werden. Ihnen sollten auch neue Rollen in der Verwaltung angeboten werden. (rtr)

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